Qatargate und das Machtvakuum im Herzen Israels – Ex-Shin-Bet-Offizier warnt vor VerfassungskriseQatargate und das Machtvakuum im Herzen Israels – Ex-Shin-Bet-Offizier warnt vor Verfassungskrise
Ein Ex-Agent schlägt Alarm: In Israels „Heiligtum“ agierten mutmaßlich ausländische Agenten – und die politische Führung gefährdet gezielt die Sicherheit des Landes.
Mitten in einem der schwersten politischen und gesellschaftlichen Krisenmomente Israels erhebt ein ehemaliger Spitzenoffizier des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet schwere Vorwürfe gegen die Führung des Landes – und warnt eindringlich vor einem Zerfall staatlicher Institutionen. Dvir Kariv, ehemaliger Feldoffizier in der jüdischen Abteilung des Shin Bet, sprach in einem Radiointerview mit 103FM offen über den Skandal rund um die mutmaßliche Einflussnahme Katars auf das israelische Regierungsumfeld – und über den brisanten Machtkampf zwischen Justiz, Geheimdienst und Regierung.
Was Kariv schildert, klingt wie ein Spionage-Thriller – und ist doch erschreckende Realität: „Es gab eine katarische Geheimdienstoperation im Büro des Premierministers – im Allerheiligsten des Staates Israel.“ Laut Kariv haben katarische Akteure gezielt Schwachstellen identifiziert: Geld, Geschenke, Eitelkeit. Junge, unerfahrene Berater, die nicht direkt angestellt, sondern als externe Kräfte ohne Sicherheitsfreigabe in sensiblen Rollen tätig waren, wurden laut seiner Analyse zu idealen Angriffspunkten für ausländische Manipulation.
Dass ausgerechnet diese sensiblen Strukturen nicht ausreichend geschützt wurden, macht Kariv zufolge ein tieferes Problem deutlich: „Ein geschwächter Shin Bet bedeutet ein geschwächter Staat – und ein schwacher Staat wird angegriffen.“ Die politische Führung, allen voran Justizminister Yariv Levin und Premierminister Benjamin Netanjahu, betreibe laut Kariv eine systematische Aushöhlung der demokratischen Ordnung. Der offen zur Schau gestellte Unwille, Urteile des Obersten Gerichtshofs zu respektieren, sei nichts weniger als der Vorbote einer veritablen Verfassungskrise.
Geheimdienst warnt vor Manipulation – und wird ignoriert
Im Zentrum der aktuellen Aufregung steht neben dem Qatargate-Skandal auch ein geleaktes Gespräch, das auf Kan 11 ausgestrahlt wurde. Darin hört man, wie ein führender Beamter des Shin Bet mit einem Polizeioberst darüber spricht, Verdächtige im Westjordanland ohne konkrete Beweise festzunehmen – mit Hilfe der umstrittenen Maßnahme der administrativen Haft. Kariv rechtfertigte in dem Gespräch das Vorgehen grundsätzlich, betonte jedoch auch die notwendige Zurückhaltung: „Man spricht nicht so. Ein Shin-Bet-Mitarbeiter darf sich nicht wie ein Kollege in einer Kaffeepause äußern.“
Die Kritik an der Ausdrucksweise lenke jedoch vom Wesentlichen ab: „Natürlich werden Menschen ohne Beweise festgenommen – das ist das Prinzip präventiver Geheimdienstarbeit.“ Ziel sei es, Anschläge zu verhindern, bevor sie stattfinden. Informationen statt forensischer Beweise seien die Währung der inneren Sicherheit – bei arabischen wie nicht-arabischen Gefahrenlagen gleichermaßen.
Ablenkungsmanöver inmitten einer politischen Abwärtsspirale
Kariv sieht in der aktuellen Berichterstattung ein gezieltes Ablenkungsmanöver: „Wir reden über diese Tonaufnahme, während 59 unserer Leute in Tunneln gefangen sind. Wir sollten über die wahren Krisen sprechen: über Qatargate, über den Premierminister, der auf dem Donaufluss fährt, während in Israel das Chaos herrscht.“
Der Fokus auf Skandälchen statt auf staatliche Versäumnisse sei symptomatisch für ein tieferes Problem: Die Regierung nutze die Schwächung des Shin Bet als politisches Instrument – ohne Rücksicht auf die Sicherheitsrisiken. Dass Netanjahu laut Kariv mehrfach versucht habe, Geheimdienstmittel gegen israelische Bürger einzusetzen, sei eine rote Linie, die weder unter Nadav Argaman noch unter Yoram Cohen überschritten wurde. Doch mit einer möglichen Marionette an der Spitze des Geheimdienstes könnte diese Zurückhaltung bald Vergangenheit sein.
„Die Machtkontrolle innerhalb des Shin Bet ist ein fundamentaler Wert – und wenn dieser Wert untergraben wird, dann sind wir keine liberale Demokratie mehr, sondern eine Wahl-Demokratie mit autoritären Zügen.“ Kariv geht sogar so weit zu sagen: Israel sei nur noch einen Schritt davon entfernt, die eigene demokratische Substanz zu verlieren.
Qatar im Zentrum eines brillanten Spionage-Coups?
Die Enthüllungen über katarische Einflussnahme im Premierministerbüro lesen sich wie ein klassischer Spionagefall: Zielpersonen werden anhand psychologischer Profile identifiziert, persönliche Schwächen ausgenutzt, Informationskanäle unterwandert. Zwei Berater sollen auf diesem Weg zum Einfallstor für katarische Interessen geworden sein – mit möglicherweise gravierenden sicherheitspolitischen Folgen. Einer von ihnen, so Kariv, soll drei verschiedene Mobiltelefone bei sich getragen haben – ein untrügliches Zeichen für parallele Kommunikationsstränge und potenziell illegale Aktivitäten.
„Das ist keine Verschwörungstheorie, das ist ein brillanter katarischer Geheimdienstcoup – mitten im Herzen der israelischen Exekutive.“ Dass dies möglich war, sei nur durch ein Klima systemischer Schwächung des Shin Bet und fahrlässiger politischer Personalpolitik erklärbar.
Ein Land am Scheideweg
Was Kariv offenbart, ist mehr als nur ein Spionageskandal. Es ist das Porträt eines Landes, das sich selbst im Innersten destabilisiert – und dessen Führung in einem gefährlichen Spiel mit Feuer steht. Wer den eigenen Geheimdienst schwächt, ausländischen Agenten Tür und Tor öffnet und gleichzeitig den Rechtsstaat ignoriert, riskiert nicht nur politische Instabilität, sondern den Zusammenbruch der nationalen Sicherheitsarchitektur.
„Ich hoffe, dass der Oberste Gerichtshof noch rechtzeitig eingreift“, sagt Kariv abschließend. Viel Hoffnung scheint ihm dabei nicht mehr geblieben zu sein.
Autor: Redaktion
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Sonntag, 06 April 2025