Normalerweise ist Recep Tayyip Erdogan nicht für Zurückhaltung bekannt. Der türkische Präsident hat Israel in der Vergangenheit mit scharfen Worten angegriffen, es mit Nazi-Deutschland verglichen und lautstark gedroht, wenn es um Konflikte im Nahen Osten ging. Doch jetzt, während Israel seine Luftangriffe in Syrien verstärkt – etwa auf die T-4-Luftbasis nahe Palmyra – und die israelische Presse offen sagt, das sei eine Botschaft an Ankara, bleibt Erdogan auffällig ruhig. Keine Drohungen, keine großen Reden. Warum dieser Wandel?
Ein Grund liegt auf der Hand: die Beziehung zu Donald Trumps neuer US-Regierung. Die Türkei weiß, dass Trump Israel bedingungslos unterstützt. Während das Weiße Haus Zölle gegen alte Verbündete wie Kanada verhängt oder Handelspartner weltweit unter Druck setzt, bleibt die Nähe zu Israel unerschütterlich. Netanyahu hat schon jetzt Treffen mit Trump in Washington, während Erdogan noch auf einen Termin wartet. Ankara hatte in Trumps erster Amtszeit gute Karten – doch diesmal scheint man vorsichtig, um diese Verbindung nicht zu gefährden. Außenminister Hakan Fidan hat bereits Kontakt zu US-Außenminister Marco Rubio gesucht, ein Zeichen, dass die Türkei auf Diplomatie statt Konfrontation setzt.
Früher war das anders. Als die USA 2018 ihre Botschaft nach Jerusalem verlegten, führte Erdogan den Widerstand an. Vor den Abraham-Abkommen drohte er gar, die Beziehungen zur UAE abzubrechen. Griechenland, US-Truppen in Syrien, sogar die NATO – Ankara scheute keinen Streit. Doch jetzt könnte die Türkei ihre Taktik ändern. Vielleicht sieht Erdogan in Syrien eine Chance, mit Geduld mehr zu gewinnen. Statt laut zu poltern, könnte Ankara abwarten, um später Einfluss zu sichern – eine Art strategisches Schachspiel.
Israels Vorgehen in Syrien könnte die Türkei zudem überrascht haben. Luftangriffe dort sind nichts Neues, aber die klare Botschaft – etwa durch Schläge auf T-4 oder den Militärflughafen nahe Hama – ist ein neuer Ton. Israelische Medien wie Ynet machen keinen Hehl daraus: Das ist eine Warnung an Ankara. Experte Ron Ben-Yishai schrieb kürzlich, Israel und die Türkei könnten Syrien in Einflusszonen aufteilen, bis Stabilität eintritt. Israel will die türkische Präsenz eindämmen, und die Türkei spürt, dass man sie ernst nimmt. Anders als bei Hamas oder der Hisbollah, die Israel oft unterschätzte, zeigt man hier Prävention: Türkei soll gar nicht erst groß werden in Syrien.
Das könnte wirken. Während Iran oder die Huthi-Rebellen sich von Israels Drohungen selten beeindrucken ließen, scheint Ankara nachzudenken. Die Türkei will Basen in Syrien übernehmen, das ist kein Geheimnis. Doch Israels Signale – unterstützt von Trump – könnten Erdogan dazu bringen, den Ton zu senken. Zumindest vorerst. Denn die Türkei hat auch innenpolitische Sorgen: Proteste nach der Verhaftung von Erdogans Rivalen Ekrem Imamoglu zeigen, dass die Lage fragil ist. Ein offener Streit mit Israel und den USA könnte diese Spannungen verschärfen.
Wie lange hält dieser Kurs? Schwierig zu sagen. Erdogan ist unberechenbar – heute still, morgen laut. Doch momentan scheint Ankara abzuwägen: gute Beziehungen zu Trump pflegen, Israels Aggression nicht überreizen, und in Syrien geduldig auf Chancen warten. Für die USA ist das ein Gewinn: Ein ruhigerer Erdogan könnte Stabilität fördern. Ob das klappt, hängt davon ab, wie weit Israel geht – und wie lange die Türkei das Spiel mitspielt. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das Schweigen Taktik ist oder Schwäche.