Warum die Menschen in Gaza nicht gegen Hamas aufbegehren – und was sich ändern müssteWarum die Menschen in Gaza nicht gegen Hamas aufbegehren – und was sich ändern müsste
Trotz Zerstörung, Hunger und Angst bleibt der Aufstand aus. Das liegt nicht an Zustimmung, sondern an etwas viel Tieferem – und daran, dass eine echte Alternative fehlt.
Der Gazastreifen liegt in Trümmern. Hunderttausende haben ihre Wohnungen verloren, viele ihre Familien, ihre Hoffnung, ihre Stimme. Doch wer erwartet, dass sich die Bevölkerung gegen Hamas erhebt, verkennt die Realität. Die islamistische Organisation kontrolliert nicht nur die Politik des Gazastreifens, sondern beherrscht das soziale, wirtschaftliche und alltägliche Leben bis in die privatesten Winkel. Wer sich von ihr lossagen will, verliert oft mehr als nur seinen Job – er riskiert sein Leben.
Viele Menschen in Gaza stehen in irgendeiner Weise mit Hamas in Verbindung. Sei es durch Verwandtschaft, Abhängigkeiten im Berufsleben oder einfach durch das pure Überleben in einem System, in dem Hamas alles verteilt: Lebensmittel, Hilfen, Einfluss. Diese Verflechtung macht es beinahe unmöglich, sich innerlich oder öffentlich von der Organisation zu lösen. Für viele ist selbst in der tiefsten Verzweiflung jede denkbare Alternative zur aktuellen Ordnung schlimmer – weil sie entweder in Anarchie, Hunger oder in der offenen Bestrafung durch Hamas enden könnte.
Dabei ist der Unmut da. Nur: Er wird im Keim erstickt. Sobald Kritik aufkeimt – sei es in Gesprächen, auf den Straßen oder in den sozialen Medien – greift die Organisation hart durch. Bewaffnete Milizen patrouillieren in „unruhigen Vierteln“, Menschen verschwinden, werden gefoltert, eingeschüchtert oder ermordet. Schon der Versuch, sich zu organisieren, endet oft in Gewalt. Protestführer, so berichten israelische Quellen, wurden entführt oder hingerichtet. Die Angst sitzt tiefer als jede Wut.
Gleichzeitig ist in der kollektiven Identität Gazas eine jahrzehntelange Erzählung verankert: der Mythos des „Durchhaltens“, der „Standhaftigkeit“ gegen äußere Feinde. Israel wird als ewiger Aggressor dargestellt, Hamas als letzte Bastion des Widerstands – auch wenn dieser Widerstand in erster Linie die eigene Bevölkerung verschlingt. Diese Narrative werden von der Hamas gepflegt, instrumentalisiert und propagandistisch aufgeladen. Ein Großteil der Bevölkerung kennt kein anderes Weltbild.
Doch selbst in dieser verzweifelten Lage gibt es Brüche. Israelische Verteidigungskreise sehen eine strategische Chance, den Einfluss der Hamas dort zu schwächen, wo sie besonders verwundbar ist: bei der Verteilung von Hilfsgütern. Denn wer Lebensmittel, Medikamente und Wasser kontrolliert, kontrolliert die Menschen. Verteidigungsminister Israel Katz treibt ein Konzept voran, das genau hier ansetzt: Die humanitäre Versorgung soll über israelisch kontrollierte Logistikzentren laufen – ohne Hamas, dafür in Kooperation mit internationalen Organisationen und amerikanischen Firmen. Hamas wäre damit aus dem Spiel.
Dass dieser Plan funktioniert, ist noch ungewiss – doch die Nervosität innerhalb der Hamas ist spürbar. Internen Informationen zufolge hat die Organisation bereits bei Ägypten, Katar und weiteren Verbündeten Alarm geschlagen. Der drohende Verlust der Lebensmittelverteilung wäre für sie ein Machtverlust, den sie kaum ausgleichen könnte. Denn wo Menschen spüren, dass Hilfe auch ohne Hamas funktioniert, wächst das Denken in Alternativen.
Und genau das wäre der erste Riss in der Mauer der Angst. Noch fehlt eine glaubwürdige, palästinensische Alternative zur Hamas – ein politisches, soziales und organisatorisches Gegenmodell. Doch wenn die Grundversorgung Hamas entzogen wird, könnten erste Stimmen laut werden. Vielleicht nicht auf den Straßen. Aber in Gedanken. Und das wäre ein Anfang.
Autor: Redaktion
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Samstag, 19 April 2025