Israels Tech-Sektor zwischen Krieg, Auswanderung und Milliarden-Deals: Warum jetzt kluge Weichen gestellt werden müssenIsraels Tech-Sektor zwischen Krieg, Auswanderung und Milliarden-Deals: Warum jetzt kluge Weichen gestellt werden müssen
Israels Innovationsmotor brummt trotz Krieg – doch wie lange noch? Die Zukunft des Hightech-Landes hängt nicht nur von Geld ab, sondern von Mut, strategischen Entscheidungen und einem klaren Bekenntnis zur Heimat.
Israels Tech-Sektor gilt seit Jahrzehnten als das schlagende Herz der Wirtschaft. Die kleine Nation, umgeben von Feinden, hat sich zu einem globalen Hightech-Hub entwickelt – mit einem Beitrag von 20 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt und mehr als 50 Prozent der Exporte. Tech-Mitarbeiter tragen mehr als ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen. Diese beeindruckenden Zahlen klingen wie eine Erfolgsgeschichte. Doch wer genau hinschaut, sieht, wie tief die Einschläge des anhaltenden Kriegs gegen Hamas und der inneren politischen Turbulenzen reichen.
Seit dem brutalen Überfall Hamas-geführter Terroristen auf südisraelische Gemeinden am 7. Oktober 2023, bei dem 1.200 Menschen ermordet und 251 entführt wurden, kämpft die Hightech-Branche mit beispiellosen Herausforderungen. Zehntausende wurden zu Reserveübungen eingezogen, der Fachkräftemangel spitzt sich zu, Unsicherheit lähmt Investitionsentscheidungen. Dennoch konnte die israelische Wirtschaft 2024 noch um rund 1 Prozent wachsen – erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die militärischen Ausgaben in die Höhe schnellten und Exporte wie Investitionen litten.
Und trotzdem: Die Startup-Nation trotzt der Krise. Allein 2024 gab es Tech-Fusionen und Übernahmen im Wert von 13,4 Milliarden Dollar, fast doppelt so viel wie 2023. US-Chipgigant Nvidia griff gleich zweimal zu: 300 Millionen Dollar für das israelische KI-Startup Deci und 700 Millionen Dollar für Run:ai. Der größte Coup: Googles Mutterkonzern Alphabet schnappte sich den israelischen Cybersecurity-Riesen Wiz für atemberaubende 32 Milliarden Dollar – das größte Buyout in der Geschichte Israels. Dieses eine Geschäft spült allein 4 Milliarden Dollar an Steuern in die Staatskassen.
Doch die glänzenden Deals täuschen nicht über die Schattenseiten hinweg. Immer mehr israelische Startups werden in Delaware registriert, immer mehr Firmen verlagern Teile ihrer Belegschaft ins Ausland. Im Jahr 2024 haben laut offiziellen Zahlen rund 8.300 Tech-Mitarbeiter Israel langfristig verlassen – ein ernstes Alarmsignal. „Es geht längst nicht mehr nur um Geld“, warnt der Investor Yonatan Sela vom australischen Venture-Capital-Fonds Square Peg. „Es geht darum, ob Israel als Heimat, als sicherer Ort für Unternehmer wahrgenommen wird.“
Denn der Krieg hat nicht nur das Image Israels im Ausland beschädigt. Er hat die Unsicherheit im Land verstärkt, vor allem in Verbindung mit der umstrittenen Justizreform, die seit 2023 das Vertrauen vieler erschüttert. Unternehmer spüren das am eigenen Leib: Bei europäischen und asiatischen Investoren ist es zunehmend schwerer, israelische Investments genehmigt zu bekommen. Manche internationalen Konzerne haben ihre Niederlassungen im Land bereits verkleinert oder ganz geschlossen.
Was also tun? Experten wie Ian Rostowsky von der renommierten Kanzlei Amit, Pollak, Matalon & Co. fordern gezielte politische Maßnahmen: Steuervorteile, Anreize, gezielte Förderungen. „Wir müssen als Land sicherstellen, dass die besten Talente sich hier zu Hause fühlen“, sagt er. Wenn die klügsten Köpfe Israels lieber im Ausland bleiben, nach Studien oder wegen besserer wirtschaftlicher Anreize, dann wird der allmähliche Aderlass zum massiven Problem.
Dabei hat sich die Abhängigkeit vom Hightech-Sektor in den letzten zehn Jahren noch verstärkt. Während 1995 noch 6,2 Prozent des BIP aus der Tech-Branche kamen, sind es heute 20 Prozent. Wer denkt, dass hier nur ein paar hippe Startups betroffen wären, täuscht sich: Der Tech-Sektor ist Israels Steuerzahler, Jobmotor, Exportsäule – und damit das Fundament der wirtschaftlichen Stabilität.
Es reicht also nicht, dass Israel weiterhin internationale Investoren anzieht. Das Land muss dafür sorgen, dass diese Investoren nicht fordern, dass Teams ins Ausland verlagert werden. Es braucht eine strategische Neuausrichtung: mehr Talententwicklung, mehr Diversifizierung der Sektoren, mehr Verbindung zwischen den nationalen Prioritäten und der Innovationskraft der Wirtschaft. „Resilienz war wichtig, aber die nächste Phase braucht strategisches Handeln“, sagt Dr. Karin Hasson, eine der führenden Stimmen der Branche.
Das bedeutet auch: Die Regierung muss nicht nur auf den Krieg reagieren, sondern auch langfristig planen. Denn eines ist klar: Auch wenn die beeindruckenden Zahlen bei Fusionen, Übernahmen und Finanzierungsrunden derzeit Mut machen, könnten sie bald bröckeln, wenn Israel die Abwanderung der Talente nicht stoppt. Die entscheidende Frage lautet also: Wird Israel auch in Zukunft ein Ort sein, an dem junge, ehrgeizige Gründer nicht nur globale Erfolge feiern, sondern diese Erfolge auch im eigenen Land versteuern und reinvestieren?
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Zvi Roger - Haifa Municipality - The Spokesperson, Publicity and Advertising Division, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10771567
Donnerstag, 01 Mai 2025