„Wenn ihr mich erschießt, dann erschießt ihr mich“ – Omer Shem-Tov und die stille Rebellion in der Dunkelheit„Wenn ihr mich erschießt, dann erschießt ihr mich“ – Omer Shem-Tov und die stille Rebellion in der Dunkelheit
Monate in Gefangenschaft. Ohne Licht, ohne Würde, ohne Gewissheit. Und doch spricht Omer Shem-Tov heute von einem inneren Licht, das nicht erlosch. Es war sein Glaube, der ihn trug – und der Mut, sich selbst in der Ohnmacht treu zu bleiben.
Omer Shem-Tov war kein Soldat, kein Politiker, kein Kämpfer. Er war einer von über 200 Menschen, die am 7. Oktober von der Hamas verschleppt wurden – als Faustpfand, als Druckmittel, als menschliches Gut. Monate verbrachte er in einem dunklen, stickigen Verlies irgendwo im Gazastreifen. Kein Sonnenlicht, kaum Nahrung, kein Kontakt zur Außenwelt. Und doch bewahrte er etwas, das ihm niemand entreißen konnte: seine Würde.
In einem bewegenden Fernsehinterview mit dem israelischen Kanal 12 gibt der junge Mann nun Einblicke in die Abgründe, die er überlebt hat – und in die seelische Kraft, die ihn durchhalten ließ. „Jeden Tag sprach ich mit Gott“, erzählt Shem-Tov. Kein Gebet aus dem Buch, keine auswendig gelernte Litanei. Es war eine direkte, persönliche Verbindung, oft beginnend mit den Worten: „Wie geht es Dir heute?“ Nicht er klagte, sondern er fragte. Eine stille Umkehrung der Rollen, ein Gespräch auf Augenhöhe mit dem Schöpfer – aus der Tiefe eines Kerkers.
Diese Haltung war kein religiöser Reflex, sondern eine Entscheidung gegen die Verzweiflung. Sie wurde auf die härteste Probe gestellt, als seine Entführer ihn zwangen, eine Waffe zu ergreifen – um damit auf israelische Soldaten zu schießen. Shem-Tov stand vor einer unmenschlichen Wahl. Doch seine Antwort war klar: „Wenn ihr mich erschießt, dann erschießt ihr mich.“ Keine Verhandlung, keine Ausrede, kein Zögern. Nur Standhaftigkeit. In einem Moment, in dem sein Leben an einem dünnen Faden hing, sagte er: Nein. Lieber sterben als Täter werden.
Seine Eltern hatten bereits öffentlich über die Zustände gesprochen, unter denen ihr Sohn gefangen war: ein Loch im Boden, kaum größer als ein Kleiderschrank, keine Elektrizität, rationierte Wasserreste, ständige Angst. Die seelischen und körperlichen Wunden dieser Zeit werden bleiben – doch Omer Shem-Tov trägt auch etwas anderes mit sich: das Wissen, dass er nicht gebrochen wurde.
In einer Zeit, in der viele zu Recht über die politische Dimension der Geiselhaft sprechen, über Hamas, Katar, Vermittler und Waffenstillstände, geht diese Geschichte tiefer. Sie zeigt, was es wirklich bedeutet, in Unfreiheit frei zu bleiben. Sie zeigt einen Menschen, der nicht in den Schlagzeilen gesucht hat, sondern in sich selbst. Einen jungen Mann, der in völliger Isolation täglich einen Dialog mit Gott begann – und dadurch mit sich selbst im Reinen blieb.
Sein Zeugnis ist keine Heldengeschichte im klassischen Sinn. Es ist leise, menschlich, unbeugsam. Es geht nicht um militärischen Widerstand oder politische Parolen, sondern um den Mut, Nein zu sagen, wo andere den eigenen Willen auslöschen wollten.
Omer Shem-Tov ist heute wieder zu Hause. Aber er ist nicht derselbe wie zuvor. Und auch wir sollten es nicht sein. Wer seine Worte hört, wer seine Geschichte liest, der versteht: Die größte Waffe gegen Terror ist nicht der Gewehrlauf, sondern die Fähigkeit, Mensch zu bleiben – auch im Angesicht des Unmenschlichen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Channel 12 News Israel
Donnerstag, 08 Mai 2025