Israel plant Atomkraftwerk – doch das größte Hindernis liegt nicht unter der ErdeIsrael plant Atomkraftwerk – doch das größte Hindernis liegt nicht unter der Erde
Ein Land ohne Gasreserven hat keine Zukunft – ein Land ohne Weitblick auch nicht. Israel steht vor einer historischen Entscheidung.
Still und leise, aber mit wachsender Entschlossenheit, bereitet sich Israel auf die Ära nach dem Gas vor – und erwägt die Errichtung eines Atomkraftwerks zur Stromerzeugung. Was vor wenigen Jahren noch als politisch undenkbar galt, gewinnt angesichts des globalen „nuklearen Comebacks“ an Gewicht. Immer mehr Staaten setzen wieder auf Kernenergie – als Antwort auf die sich verschärfende Klimakrise, den Bedarf an Versorgungssicherheit und die Risiken durch geopolitische Abhängigkeiten. Israel will da nicht zurückbleiben. Doch der Weg ist steinig – und die größte Hürde liegt nicht in der Technik, sondern in der Politik.
Denn Israel ist eines der wenigen Länder mit einem nicht erklärten, aber weithin vermuteten Atomwaffenarsenal – und kein Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags (NPT). Diese nukleare Ambiguität war jahrzehntelang Teil seiner strategischen Abschreckung. Doch genau diese Haltung könnte jetzt zur Falle werden. Denn ohne die NPT-Mitgliedschaft wird es für Israel fast unmöglich, internationale Unterstützung, Technologie und Genehmigungen für ein ziviles Atomkraftwerk zu erhalten – selbst wenn der Wille im Land vorhanden ist.
Ein Zukunftsprojekt mit hoher Sprengkraft
Das israelische Energieministerium bestätigt: Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dr. Tamir Reisin, Chef des Bereichs Nuklearenergie im Wissenschaftsministerium, prüft aktuell die regulatorischen und technischen Rahmenbedingungen für den Bau eines Reaktors. Die Ergebnisse sollen bereits in der zweiten Jahreshälfte der Regierung vorgelegt werden. Als möglicher Standort gilt die Wüstenregion nahe Ramat Negev – fernab von Ballungszentren, aber nah genug, um in das bestehende Stromnetz eingebunden zu werden.
Energieminister Eli Cohen bringt es auf den Punkt: „Atomenergie ist die Zukunft des israelischen Energiemarkts.“ Seine Worte klingen fast wie ein Bekenntnis zu einer strategischen Wende – weg von fossilen Brennstoffen, hin zu einem Energiemix, der auf Stabilität, Unabhängigkeit und Emissionsfreiheit setzt.
Warum jetzt?
Die Zeit drängt. Israels Gasreserven, vor allem aus den Feldern Tamar, Leviathan und Karish, haben dem Land in den letzten Jahren eine gewisse Unabhängigkeit verschafft. Doch sie sind endlich. Laut dem Gas-Strategiebericht („Dajan-Kommission“) könnte die Produktion um das Jahr 2048 zurückgehen – mit dramatischen Folgen für die Stromversorgung, die Industrie und die gesamte Wirtschaft.
Gleichzeitig scheitern aktuelle Pläne zur massiven Integration von Solarenergie an der Realität: Die Sonne scheint nicht nachts, kaum im Winter – und Strom kann bislang nicht in ausreichender Menge gespeichert werden. Die Speichertechnologie ist teuer, unausgereift und nicht für saisonale Schwankungen geeignet. Während am Mittag ein Überschuss herrscht, geht am Abend das Licht fast aus – buchstäblich. Es fehlt ein stabiler Grundlastträger, der rund um die Uhr Strom liefern kann. Und genau hier beginnt das Interesse an der Kernenergie.
Energiepolitik mit Risiken und Nebenwirkungen
Ein Atomkraftwerk bietet genau das, was Israel künftig braucht: konstante Energieproduktion, geringe Emissionen, geringe Flächenbeanspruchung – und eine Alternative zur importabhängigen Technologie. Doch der Preis ist hoch. Finanziell, sicherheitspolitisch und diplomatisch. Denn ein Reaktor kostet Milliarden, seine Planung Jahrzehnte. Und ohne internationale Hilfe – sei es durch Bauunternehmen, Reaktortechnologie oder Uranlieferungen – bleibt das Projekt eine theoretische Spielerei.
Die internationale Gemeinschaft dürfte kaum bereit sein, einem Land ohne NPT-Beitritt bei der Errichtung eines zivilen Reaktors zu helfen. Saudi-Arabien, das selbst mit Unterstützung der USA einen Einstieg in die Kernkraft plant, könnte hier zum Türöffner werden – wenn auch mit Nebenwirkungen. Sollte Israel als Gegenleistung zur Aufnahme in ein multilaterales nukleares Kontrollregime gezwungen werden, stünde nicht nur die militärische Abschreckung, sondern auch die nationale Souveränität zur Debatte.
Israel am energiepolitischen Scheideweg
Die Alternative? Ein energietechnologisches Abseits. Ohne neue Lösungen wird Israel entweder auf teure, emissionsreiche Alternativen zurückgreifen müssen – oder riskieren, bei Blackouts, Preisexplosionen und internationalem Druck unterzugehen. Klimaziele, Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Stabilität lassen sich nicht gleichzeitig erreichen, wenn die Weichen heute nicht neu gestellt werden.
Es geht also nicht nur um ein Kraftwerk. Es geht um die Frage, ob Israel bereit ist, seine strategische Ambiguität einem langfristigen Ziel unterzuordnen – und ob die Welt bereit ist, einem besonderen Land auch eine besondere Lösung zuzugestehen. Eine Lösung, die weder blauäugig technokratisch noch ideologisch verbohrt ist. Sondern pragmatisch, vorausschauend und – ja – mutig.
Denn wer sich nicht bewegt, wird bewegt. Und das ist für ein Land wie Israel keine Option.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Symbolbild Pixabay
Sonntag, 18 Mai 2025