Entweder Geiseln befreien oder Hamas zerschlagen: Netanyahu steht vor der brutalsten Entscheidung seiner Amtszeit

Entweder Geiseln befreien oder Hamas zerschlagen: Netanyahu steht vor der brutalsten Entscheidung seiner Amtszeit


Während in den Tunneln von Gaza Israelis ausharren, ringt Israels Premier mit einem Dilemma, das die Zukunft des Landes prägen wird.

Entweder Geiseln befreien oder Hamas zerschlagen: Netanyahu steht vor der brutalsten Entscheidung seiner Amtszeit

Israels Krieg gegen die Hamas dauert nun schon über eineinhalb Jahre – der längste, verlustreichste und moralisch herausforderndste seit der Staatsgründung. Was am 7. Oktober 2023 mit einem brutalen Massaker begann, hat sich in einen erbitterten Kampf verwandelt – nicht nur gegen eine Terrororganisation, sondern gegen die Zeit, den internationalen Druck und gegen die wachsenden Risse in der israelischen Gesellschaft selbst.

Während täglich Bomben auf Hamas-Stellungen fallen und Soldaten in die Ruinen Gazas vorrücken, liegt das Schicksal von 58 Geiseln noch immer im Dunkel der Tunnel. Einige von ihnen sind vermutlich tot. Andere leben – zumindest noch. Doch ihre Rettung steht im Zentrum eines Dilemmas, das Premierminister Benjamin Netanyahu nicht mehr aufschieben kann: Will Israel alles geben, um die Geiseln zu retten, auch um den Preis, dass Hamas überlebt – oder geht es den Weg der vollständigen militärischen Zerschlagung und nimmt dabei in Kauf, dass viele der Geiseln nie wieder lebend zurückkehren?

Verhandlungen oder Vernichtung?

In Katar laufen derzeit erneut Gespräche – "kritische Stunden", heißt es. Doch diese Formulierung kennt man bereits. Israel verhandelt indirekt, Hamas stellt Maximalforderungen: vollständiger Rückzug der IDF, Garantie auf ein Kriegsende, Abzug vom Philadelphi-Korridor. Für Israel ist das gleichbedeutend mit Kapitulation. Für Hamas wäre es ein Sieg.

Und doch hält Netanyahu seine Verhandler in Katar. Warum? Aus Kalkül, sagen Kritiker. Ein Abkommen, das den Krieg beendet, könnte seine Regierung sprengen. Ultrarechte Koalitionspartner würden einen Waffenstillstand als Verrat brandmarken. Der Premier steht damit nicht nur unter internationalem, sondern massivem innenpolitischen Druck. Demonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem fordern jede Woche lautstark die Rückkehr der Geiseln – koste es, was es wolle. Andere fordern genau das Gegenteil: endlich den finalen Schlag gegen Hamas, auch wenn das bedeutet, dass die meisten Geiseln nicht mehr lebend befreit werden können.

Die militärische Realität: Operation „Gideons Streitwagen“

Mit „Operation Gideons Streitwagen“ hat Israel in Gaza eine neue Phase eingeläutet. Zehntausende Reservisten wurden einberufen, massive Luftschläge begleiten die Bodenoffensive. Das Ziel ist klar: operative Kontrolle über große Teile des Gazastreifens, Zerschlagung der Hamas-Infrastruktur, langfristige Schwächung der terroristischen Kapazitäten.

Die israelische Armee geht offenbar nicht mehr nur gegen Kommandeure oder Waffendepots vor – sondern gegen die Logistik des Hamas-Staates selbst: Tunnel, Versorgungslinien, Kommunikationsnetzwerke. Besonders der „Gaza-Metro“ genannte Tunnelkomplex bleibt das Hauptziel. Bisher, so schätzen Sicherheitsexperten, ist höchstens ein Viertel zerstört worden. Der Rest ermöglicht Hamas weiterhin Mobilität, Waffenverstecke und – entscheidend – die Verbringung und das Verstecken der Geiseln.

Die vollständige Zerstörung dieser Unterwelt wird Jahre dauern, meint Militärexperte Hanan Shai. Dafür braucht Israel High-Tech-Unternehmen, geologische Expertise – und vor allem eines: Zeit. Zeit, die den Geiseln fehlt. Zeit, die die internationale Gemeinschaft Israel kaum noch zugestehen will.

Humanitäre Hilfe als Waffe

Seit dem Bruch der letzten Feuerpause Mitte März ist Gaza von jeglicher humanitärer Hilfe abgeschnitten. Kein Wasser, kein Treibstoff, kein Essen. Israel hat die Blockade als Druckmittel verschärft. Doch internationale Hilfsorganisationen warnen: Gaza steht kurz vor einer Hungersnot. Dass Hamas Teile der Hilfe regelmäßig für sich selbst abzweigt, hat sich längst herumgesprochen. Für Jerusalem war das der Beweis: Solange Hilfsgüter fließen, hat Hamas Zeit zum Luftholen.

Und doch bleibt auch diese Strategie ambivalent. Denn mit jedem toten Kind, mit jedem hungernden Zivilisten sinkt Israels moralische Glaubwürdigkeit in den Augen der Welt. Auch wenn die Schuld objektiv bei Hamas liegt – die Bilder erreichen Europa, nicht die Bilanzen der Tunnelkriege.

Was steht wirklich auf dem Spiel?

Israel steht am Scheideweg: Entweder es geht den Deal ein, rettet einige Geiseln, verliert aber womöglich die strategische Oberhand – oder es zieht den Krieg durch, mit dem Ziel, Hamas endgültig zu vernichten. Beides hat seinen Preis.

Doch noch drängender ist eine dritte Frage: Wer soll Gaza regieren, wenn Hamas fällt? Wer kann eine Region kontrollieren, deren Gesellschaft jahrzehntelang ideologisch auf Krieg gegen Juden eingeschworen wurde? Selbst Trump, dessen Plan zur Umsiedlung der Bevölkerung aus Gaza zwar realpolitisch gedacht war, aber international auf massive Ablehnung stößt, weiß, dass die Nach-Hamas-Phase keine einfache sein wird.

Die Geiseln in den Tunneln können dieses strategische Rätsel nicht lösen. Sie sind das tragische Symbol für einen Krieg, in dem es längst nicht mehr nur um Territorium oder Terror geht – sondern um Identität, Sicherheit und Zukunft. Für Israel. Für seine Regierung. Für jede Familie, die hofft, dass ihr Kind noch lebt.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: IDF


Montag, 19 Mai 2025

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