Zersplittert, zahnlos, zerstritten: Warum Israels Opposition Netanjahu nicht gefährlich wird

Zersplittert, zahnlos, zerstritten: Warum Israels Opposition Netanjahu nicht gefährlich wird


Trotz wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung, schwindender Autorität der Regierung und einem umstrittenen Wehrdienstgesetz als möglichem Sprengsatz – Israels Opposition versagt kläglich. Statt gemeinsam für den Machtwechsel zu kämpfen, beschäftigt sie sich mit Grabenkämpfen und Ego-Showdowns.

Zersplittert, zahnlos, zerstritten: Warum Israels Opposition Netanjahu nicht gefährlich wird

Es ist eine Ironie, die kaum zu überbieten ist: Während Premierminister Benjamin Netanjahu von einer tiefen Krise zur nächsten taumelt, während das Vertrauen der Bevölkerung auf einem historischen Tiefpunkt liegt und selbst traditionelle Koalitionspartner wie die ultraorthodoxen Parteien mit Rückzug drohen – gelingt es der Opposition nicht einmal, gemeinsam einen Fuß in die Tür der Macht zu setzen. Kein Plan, keine Strategie, kein echter Wille zur Verantwortung.

Stattdessen tobt zwischen den führenden Köpfen der Opposition ein Kleinkrieg, der nicht nur persönliche Eitelkeiten offenlegt, sondern das gesamte Lager lähmt. Yair Lapid, einst Hoffnungsträger der politischen Mitte, lässt kaum eine Gelegenheit aus, seinen innerparteilichen Rivalen Yair Golan als „linken General“ zu diskreditieren – ein Seitenhieb, der nicht nur kalkuliert ist, sondern auch die Angst verrät, vom eigenen Image als „Mitte der Mitte“ abgedrängt zu werden.

Golan wiederum lässt sich nicht lumpen. Seine verbalen Entgleisungen, wie die jüngste Behauptung, Israel töte „Babys als Hobby“, bieten nicht nur der Rechten Munition, sondern entfremden auch potenzielle Wähler. Selbst der Generalstabschef sah sich zu einer Klarstellung gezwungen. Währenddessen äußert sich Benny Gantz, der ehemalige Verteidigungsminister und heutige Vorsitzende des sogenannten „Staatlichen Lagers“, nur zögerlich – nicht aus Schwäche, sondern aus Kalkül. Er will weder mit Lapid noch mit Golan auf ein gemeinsames Ticket – zu groß die Gefahr, im linken Sog unterzugehen.

Und dann ist da noch Avigdor Lieberman. Der ehemalige Hardliner hat den Richtungswechsel zwar geschafft – vom ultrarechten Rabauken zum staatsmännischen Kritiker Netanjahus – doch seine Angst, als „linker Kollaborateur“ abgestempelt zu werden, blockiert jeden Schulterschluss mit Golan oder den arabischen Listen. Der Preis? Ein politisches Niemandsland, in dem jeder für sich kämpft – und keiner für das Land.

Schwäche aus Prinzip

Dabei gäbe es genug Angriffspunkte. Das geplante Wehrdienstgesetz, das ultraorthodoxe Männer weiterhin vom Armeedienst befreit, sorgt selbst in Likud-Kreisen für Stirnrunzeln. Doch während das Thema in der Öffentlichkeit gärt, herrscht im Plenum Stille. Keine Offensive, kein Aufbegehren – nicht einmal ein ernstzunehmender Antrag auf Misstrauensvotum. Der Grund ist so einfach wie erschreckend: Die Opposition glaubt selbst nicht an ihre Macht. "Sie haben 68 Sitze, wir nur 52. Es bringt nichts", erklärt Lapid trocken – und spricht damit eine Kapitulationserklärung aus, die ihresgleichen sucht.

Der frühere Knessetabgeordnete Eitan Cabel bringt es auf den Punkt: "Regierungen fallen meist aus innerem Zerfall, nicht wegen der Opposition." Und so ist es auch diesmal: Statt als kontrollierende Kraft den Druck zu erhöhen, lässt sich die Opposition treiben – von Umfragen, von Medien, von persönlichen Ambitionen. Jeder denkt an die nächste Wahlkampagne, keiner an die nächste Generation.

Selbst als Netanjahus letzte Regierung 2022 stürzte, war das Ergebnis nicht auf brillantes Oppositionshandwerk zurückzuführen. Vielmehr war es eine Mischung aus persönlichem Verrat, innerem Zerfall und strategischer Kaltstellung – von Silman bis Orbach. Doch auch damals war es nicht die „Kunst der Überzeugung“, sondern das Spiel mit Ressentiments und Machtkalkül.

Heute fehlt selbst das. Keine Demonstrationen, keine organisierten Kampagnen, keine gezielte Destabilisierung – als hätte sich die Opposition damit abgefunden, Statistin in einem Stück zu sein, das längst nicht mehr ihr Publikum interessiert.

Während in der Regierung der Kitt aus Angst, Opportunismus und religiöser Selbstvergewisserung noch hält, zerfällt die Opposition an ihren inneren Widersprüchen. Arabische und jüdische Abgeordnete, linke Aktivisten und rechte Populisten, säkulare Tel Aviver und nationalistische Siedler – die Opposition ist ein Sammelbecken, aber kein Lager. Ihre größte Schwäche ist nicht Netanjahu – sondern sie selbst.

Und so stellt sich eine bittere Frage: Wenn selbst ein demontierter Premier, angezählt durch Justizverfahren, Kriegsversagen und Korruptionsvorwürfe, sich sicher sein kann, nicht von der Opposition gestürzt zu werden – wozu braucht man dann noch eine Opposition?

Es ist ein Drama mit bekannten Akteuren, aber ohne echten Regisseur. Und während das Land auf Veränderungen hofft, bleibt das politische Theater der Linken und der Mitte ein Trauerspiel in Dauerschleife.


Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: By Yaniv Morozovsky - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35912990


Samstag, 24 Mai 2025

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