Ich muss stark sein – für die, die noch dort sind

Ich muss stark sein – für die, die noch dort sind


Ein Jahr nach ihrer Befreiung spricht Noa Argamani über das Weiterleben mit der Unfreiheit – und über das, was wirklich zählt

Ich muss stark sein – für die, die noch dort sind

Es sind Worte, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen: „Ich habe gelernt, dass ich stark sein muss. Nicht nur für mich. Sondern für andere. Für jene, die jemanden verloren haben. Für die Familien der Geiseln. Für die Geiseln selbst.“ Noa Argamani schreibt diese Sätze nicht als Beobachterin, nicht als Politikerin oder Aktivistin. Sondern als Überlebende. Als Geisel, die zurückkam. Und als Mensch, der seither keinen Tag wirklich zur Ruhe gekommen ist.

Ein Jahr ist es her, dass Argamani zusammen mit drei weiteren Geiseln aus dem Gazastreifen befreit wurde. Nuseirat, 8. Juni 2024 – eine dramatische Rettungsaktion unter Lebensgefahr. Almog Meir (21), Andrey Kozlov (27), Shlomi Ziv (40) – und Noa Argamani: vier Menschen, die zum Symbol eines unermesslichen Schmerzes wurden. Und zum Hoffnungsschimmer zugleich.

Doch in ihrem bewegenden Post zum Jahrestag schreibt Noa: „Ein Jahr ist vergangen, seit ich meine Freiheit zurückbekam. Aber es fühlt sich an, als hätte sich nichts verändert. Wir sind immer noch im Krieg. Es gibt immer noch Geiseln, die jeden einzelnen Tag ums Überleben kämpfen. In Zuständen, die unaushaltbar sind. Ohne Nahrung. Oft ohne Wasser. In einer Hölle, Minute für Minute.“

Ein Land zwischen Schmerz und Stärke

Noa Argamani ist längst nicht mehr nur die junge Frau, deren Entführung auf einem Motorrad von einem Terroristen um die Welt ging. Sie ist zur Stimme derer geworden, die nicht sprechen können – der 55 noch immer verschleppten Israelis. Bei einer medizinischen Notfallkonferenz zur Lage der Geiseln im Präsidentenhaus in Jerusalem trat sie im Frühjahr öffentlich auf, gefasst, aber mit klaren Worten. „Ich sah in meiner Zeit im Krankenhaus nach der Rettung die wahre Seele unseres Landes“, schrieb sie später. „Die pure Freude von Fremden über unsere Rückkehr. Eine Freude, die selbst dann aufrecht blieb, als das ganze Land gleichzeitig um einen Helden trauerte.“

Gemeint ist Arnon Zamora – der Offizier der Spezialeinheit Yamam, der bei der Befreiungsaktion fiel. Sein Tod hat Israel tief erschüttert, und Noa Argamani hat ihn nie vergessen. Er steht für die Opfer, die gebracht wurden, um Leben zu retten. Für ein Land, das trotz aller Wunden zusammensteht.

Doch der Schmerz blieb auch persönlich: Kurz nach ihrer Rückkehr starb ihre Mutter Liora an Krebs. Sie hatte monatelang, schwerkrank, für die Freilassung ihrer Tochter gekämpft – unermüdlich, öffentlich, bis zum Ende. Dass Noa sie noch einmal sehen durfte, war ein Trost, aber kein Trost, der heilt. „Das Land trauerte mit mir“, schrieb sie. Ein Land, das wusste, wie sehr diese Rückkehr auch ein Abschied war.

Einflussreich – und zerrissen

Im April wurde Noa Argamani von Time Magazine zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gewählt. Ein Moment des Stolzes? Vielleicht. Aber kein Grund zum Aufatmen. Denn ihr Herz bleibt in Gaza – bei den anderen. Und bei einem ganz bestimmten Menschen: ihrem Freund Avinatan Or, der immer noch in der Gewalt der Hamas ist. „Ich habe inzwischen mehr Tage ohne ihn verbracht als mit ihm“, schreibt sie. Israel hatte im März ein Lebenszeichen von Or erhalten – ein Lichtblick, ein Hauch von Hoffnung. Aber eben auch eine Erinnerung daran, wie viel Zeit bereits vergangen ist.

Diese Worte sind kein Klagegesang. Sie sind ein Zeugnis. Ein Appell. Und sie kommen aus einer Seele, die nicht mehr dieselbe ist, aber die sich nicht brechen lässt. „Ich muss stark sein. Für andere.“ Es ist dieser Satz, der bleibt. Denn er sagt: Das Leben geht weiter – aber es bleibt nicht unberührt. Es ist ein anderes Leben. Ein Leben im Schatten des 7. Oktober. Aber auch eines mit Licht. Mit Verantwortung. Und mit Würde.

Noa Argamani ist heute 27 Jahre alt. Und sie steht für ein Israel, das leidet, kämpft und nicht schweigt. Sie steht für Menschlichkeit inmitten des Schreckens. Und sie erinnert uns daran, dass Worte heilen können – wenn sie ehrlich sind.


Autor: Redaktion
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Montag, 09 Juni 2025

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