Wie ein argentinischer Präsident Israels Herz erobert – mit Tränen an der Klagemauer und Klarheit im KopfWie ein argentinischer Präsident Israels Herz erobert – mit Tränen an der Klagemauer und Klarheit im Kopf
Javier Milei mischt die Weltpolitik auf – mit Tora-Unterricht, hebräischen Zitaten und einem Versprechen an Jerusalem. Was steckt hinter seiner radikalen Neuausrichtung?
Als der jüdische Philosoph Jehuda Halevi vor fast 900 Jahren sein berühmtes Werk Kuzari schrieb, ließ er einen fiktiven König träumen: Ein Engel erscheint ihm und spricht – seine Absichten seien lobenswert, aber seine Taten mangelhaft. Der König macht sich auf die Suche nach Wahrheit, hört Priester, Imame und Philosophen, bis ihn die einfache Antwort eines Rabbiners überzeugt: „Wir glauben an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Israel aus Ägypten geführt und am Sinai gesprochen hat.“ Halevi nutzte diese Konstruktion, um zu zeigen: Echte Ideen haben Konsequenzen – sie formen Allianzen, verändern Weltsichten und schlagen Wurzeln in der Politik.
Fast ein Jahrtausend später scheint ein argentinischer Präsident diesem literarischen Ruf zu folgen.
Javier Milei, der sich selbst als „anarcho-kapitalistisch“ bezeichnet, steht derzeit nicht nur wegen seiner radikalen wirtschaftspolitischen Reformen im Rampenlicht. Vielmehr sorgt sein spiritueller Kompass für Aufsehen – einer, der sich aus wöchentlichen Tora-Studien mit Rabbi Shimon Axel Wahnish speist, Argentiniens Botschafter in Israel und enger Vertrauter des Präsidenten. Was Milei in Jerusalem treibt, ist keine diplomatische Routine, sondern ein öffentliches Bekenntnis: zu jüdischen Werten, zu Israels Bedeutung – und zur Idee, dass Politik moralische Tiefe braucht.
Nach einem tränenreichen Besuch an der Klagemauer erklärte er: „Was ich im Judentum sah, war die unaufhörliche Suche nach Wahrheit und Spiritualität – eine endlose Reise des Wachsens.“ Worte, die auch Halevis König gefallen hätten. Denn kurz darauf fügte er hinzu: „Jede Minute dieser Reise ist eine Botschaft an die Welt – sie steht für etwas, das größer ist als wir selbst.“
Diese spirituelle Ernsthaftigkeit hat längst konkrete Folgen: Milei hat Argentiniens jahrzehntelanges Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen radikal geändert. Statt wie zuvor mit antizionistischen Blöcken zu stimmen, positioniert sich Buenos Aires nun als klarer Freund Israels. Hamas und Hisbollah stehen in Argentinien neuerdings auf der schwarzen Liste – ein politischer Schritt, den kaum ein lateinamerikanisches Land gewagt hat. Und auch das nächste Signal ist angekündigt: Die argentinische Botschaft soll nach Jerusalem verlegt werden, sobald der Krieg im Gazastreifen dies zulässt.
Doch es bleibt nicht bei Gesten. Bei seinem jüngsten Besuch in der Knesset wird Milei den Genesis-Preis erhalten – als erster nicht-jüdischer Preisträger. Die Stiftung würdigt damit seine „unmissverständliche Unterstützung für Israel zu einem Zeitpunkt, an dem diese Haltung einen Preis hat“. Eine Auszeichnung, die in ihrer Symbolik kaum stärker sein könnte: Ein Außenstehender wird ins Herz der jüdischen Erzählung aufgenommen, weil seine Taten den Werten entsprechen – nicht nur seine Worte.
Dabei denkt Milei schon weiter. In Anlehnung an die Abraham-Abkommen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten hat er eine lateinamerikanische Vision vorgestellt: die „Isaak-Abkommen“. Paraguay und Ecuador könnten den Anfang machen, dann – so sein Plan – weitere Demokratien folgen. Sicherheits- und Innovationspartnerschaften mit Israel statt ideologischer Antiwest-Rhetorik: Das wäre ein politischer Neuanfang in einer Region, in der antiisraelische Ressentiments oft mit linkem Nationalismus Hand in Hand gehen.
Kritiker werfen Milei vor, außenpolitische Luftschlösser zu bauen, während daheim die Wirtschaft kollabiert. Dreistellige Inflationsraten, soziale Not, ein zerrissenes Kabinett – Argentinien kämpft ums ökonomische Überleben. Doch für Mileis engsten Berater, den Rabbiner und Botschafter Wahnish, ist das kein Widerspruch: „Unsere Länder sind nicht nur Partner – wir sind Brüder, die Freiheit und Demokratie teilen“, sagte er in einer Kolumne. Brüder, so der Subtext, setzen andere Prioritäten als bloße Zweckbündnisse.
Und dann stellt sich doch die Frage: Ist Milei selbst auf dem Weg zum Judentum? Seine Antwort darauf bleibt vorsichtig. Eine mögliche Konversion, so sagt er, müsse bis nach seiner Amtszeit warten – der Sabbat lasse sich nun einmal schwer mit dem Präsidentenamt vereinbaren. Doch die Bibelzitate, die ihm wie selbstverständlich über die Lippen gehen, sprechen eine andere Sprache. Nach dem 7. Oktober erklärte er: „Wenn Gut und Böse so klar sind, kann man nicht neutral bleiben.“
Natürlich ist der Vergleich mit Halevis Khazaren-König nicht makellos. Milei regiert keine mythische Gestalt, sondern ein zerklüftetes Land, dessen Währung kaum noch Vertrauen genießt. Und doch bleibt Halevis Kernpunkt erstaunlich aktuell: Wenn Ideen ernst genommen werden, verändern sie alles. Sie zwingen zur Klarheit – und zur Entscheidung.
Mileis Wandel vom kettensägenschwingenden Protestler zum lautesten nichtjüdischen Israel-Unterstützer weltweit ist kein PR-Trick, sondern Ausdruck eben jener Ernsthaftigkeit. „Wer Gott erkennen will“, schrieb Halevi in Kuzari, „der liebe seine Geschöpfe – denn sie sind sein Werk und der Spiegel seines Willens.“
Genau das scheint Milei zu tun – mit einem Maß an Konsequenz, das in der Weltpolitik selten geworden ist. Für Israel, umzingelt von Anfeindungen und Verrenkungen, ist das mehr als nur ein moralisches Signal. Es ist ein Geschenk.
Und für alle, die glauben, dass Spiritualität in der Diplomatie keinen Platz mehr hat, liefert diese Woche in Jerusalem den Gegenbeweis. Manchmal, auch im Jahr 2025, gewinnt der Rabbiner am Ende doch noch die Debatte.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: GPO
Mittwoch, 11 Juni 2025