„Nie gesehen, nie geplant“ – GHF widerspricht Reuters-Bericht über angeblichen Umsiedlungsplan für Gaza„Nie gesehen, nie geplant“ – GHF widerspricht Reuters-Bericht über angeblichen Umsiedlungsplan für Gaza
Ein Reuters-Bericht behauptet, die Gaza Humanitarian Foundation plane Lager und Umsiedlung von Palästinensern. Die Organisation reagiert mit scharfer Zurückweisung und spricht von Desinformation.
Es klang dramatisch, groß angelegt – und zutiefst alarmierend: Eine internationale Hilfsorganisation plane angeblich, palästinensische Zivilisten aus dem Gazastreifen in sogenannte „Humanitarian Transit Areas“ zu verlegen, um sie dort zu „entradikalisieren“ und auf eine mögliche Umsiedlung vorzubereiten. Dies berichtete die Nachrichtenagentur Reuters mit dem Hinweis auf ein umfangreiches „Konzeptpapier“ und angebliche Kontakte zur Trump-Administration. Doch die betroffene Organisation, die Gaza Humanitarian Foundation (GHF), bestreitet jede Verbindung zu dem Plan – und wirft Reuters gezielte Irreführung vor.
Was bleibt, ist ein Lehrstück über journalistische Verantwortung, politische Interessen und die Gefahr, dass selbst Hilfsorganisationen in ideologischen Kriegen instrumentalisiert werden.
Eine Fälschung mit politischen Folgen
Die Gaza Humanitarian Foundation, eine der wenigen verbliebenen Organisationen, die im Gazastreifen seit Monaten großflächig Nahrungsmittelhilfe leisten, hat sich mit aller Schärfe gegen die Darstellung von Reuters gewehrt. In einer Stellungnahme gegenüber der Jerusalem Post spricht die Organisation von „Desinformation“ und einem „erfundenen Dokument“, das ohne jede Rücksprache oder Überprüfung veröffentlicht wurde.
„Wir haben Reuters mehrfach unmissverständlich mitgeteilt, dass wir kein solches Konzept kennen, geschweige denn daran beteiligt waren. Wir planen und betreiben keine Humanitarian Transit Areas, weder jetzt noch in Zukunft“, heißt es in der Erklärung.
Noch deutlicher wird die Organisation im Ton: Dass Reuters trotz wiederholter Dementis den Bericht veröffentlicht habe, sei „verstörend“. GHF stellt klar: Ihr einziger Auftrag sei, unter schwierigsten Bedingungen Lebensmittelhilfe in Gaza zu leisten – mehr nicht.
Die betreffende PowerPoint-Präsentation, auf die sich Reuters stützt, trage zwar das Logo der GHF und enthalte auch Hinweise auf das mit GHF kooperierende Logistikunternehmen SRS – doch beide Organisationen bestreiten die Urheberschaft vehement. SRS erklärte gegenüber Reuters, man habe „nie mit GHF über Umsiedlung oder HTAs gesprochen“ – der nächste Schritt bestehe allein darin, „mehr Menschen mit Nahrung zu versorgen“.
Reuters unter Druck – aber schweigt
Dass eine Nachrichtenagentur wie Reuters solche Behauptungen veröffentlicht, ohne die Herkunft des Dokuments eindeutig zu klären, wirft grundlegende Fragen auf. Der Bericht spekuliert über ein mutmaßliches Zwei-Milliarden-Dollar-Projekt, angeblich ausgearbeitet nach dem 11. Februar und angeblich bereits in Washington diskutiert – alles basierend auf nicht verifizierten Quellen und einem nicht autorisierten Slide Deck.
Auf Nachfrage teilte Reuters mit, man habe sich auf mehrere Informanten gestützt, die an der Planung beteiligt gewesen sein sollen. Die Originalpräsentation wurde jedoch nicht öffentlich gemacht. Eine transparente redaktionelle Einordnung – etwa als „nicht verifiziert“ oder „umstritten“ – fehlt in vielen Wiederveröffentlichungen vollständig. Inzwischen hat die Jerusalem Post ihren eigenen Bericht nachträglich korrigiert und einen Hinweis auf die unbestätigten Inhalte vorangestellt.
Doch der Schaden ist angerichtet: In sozialen Netzwerken, in arabischen Medien, sogar in Statements der Hamas wird GHF nun als „zivil getarnte israelische Geheimdienstoperation“ beschimpft. Hamas-Funktionäre sprechen von „kategorischer Ablehnung“ der GHF und werfen der Organisation vor, unter dem Deckmantel der Hilfe Bevölkerungskontrolle zu betreiben.
Die UNO hat sich ebenfalls kritisch zur Rolle der GHF geäußert – allerdings schon vor der Reuters-Geschichte. Man halte den unabhängigen Hilfskanal für „unsicher“ und außerhalb der Regeln humanitärer Unparteilichkeit, hieß es. Die GHF arbeitet unter militärischem Schutz, in enger Abstimmung mit israelischen Behörden und ohne UN-Koordination. Auch das war Teil der politischen Brisanz, die der Reuters-Bericht weiter anheizte.
Der Kontext: Trump, Umsiedlung und die „Riviera des Nahen Ostens“
Hintergrund des Skandals ist nicht nur journalistisches Fehlverhalten, sondern auch ein geopolitischer Drahtseilakt. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte Anfang Februar lautstark erklärt, er wolle Gaza „übernehmen“ und in eine „Riviera des Nahen Ostens“ verwandeln – nach der „Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung“.
Die Entrüstung war international. Human Rights Watch, UN-Organisationen, selbst konservative Nahostexperten warnten vor der Normalisierung von Vertreibungsfantasien. In dieses Umfeld platzte der Reuters-Bericht über angebliche Umsiedlungslager – versehen mit GHF-Logo, Bezugnahme auf US-Sicherheitsfirmen, Andeutungen einer möglichen Umsetzung in Ägypten oder Zypern. Die politische Bombe war gelegt – und der Name GHF mitten im Zentrum.
Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter dementierte gegenüber Reuters, dass es irgendwelche konkreten Pläne dieser Art gebe. Auch das US-Außenministerium erklärte offiziell, man unterstütze keine Umsiedlungsprojekte in Gaza und stelle dafür auch keine Ressourcen bereit.
Dennoch wurde die Spekulation über Monate in NGO-Kreisen, diplomatischen Zirkeln und Medien wiederholt – bis sie von Reuters zur „Nachricht“ gemacht wurde.
Was bleibt: Rufschädigung, Misstrauen, Unsicherheit
Für die Gaza Humanitarian Foundation bleibt ein zerkratztes Image – trotz Dementi, trotz Transparenz, trotz der Bemühung, weiter unter Lebensgefahr zu helfen. Für Reuters bleibt der Vorwurf stehen, sich journalistisch zum Werkzeug einer politischen Agenda gemacht zu haben.
Und für die Menschen in Gaza? Noch mehr Misstrauen gegenüber ausländischen Helfern. Noch mehr Angst vor Umsiedlung. Noch mehr politisch aufgeladene Gerüchte.
Die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart wird durch solche Geschichten nicht gelindert – sondern instrumentalisiert.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Dienstag, 08 Juli 2025