Ein Syrer im israelischen Parlament: Was dieses mutige Zeichen für den Frieden bedeutetEin Syrer im israelischen Parlament: Was dieses mutige Zeichen für den Frieden bedeutet
Der syrische Aktivist Shadi Martini spricht im israelischen Parlament – eine Geste, die noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre. Was steckt hinter diesem historischen Moment? Und wie realistisch ist die Hoffnung auf Frieden mit Damaskus?
Wer Shadi Martini zuhört, erkennt schnell: Hier spricht kein naiver Idealist, sondern ein Mann, der die Hölle gesehen hat – und trotzdem an den Frieden glaubt. Der syrische Bürgerrechtsaktivist, früher Krankenhausdirektor in Aleppo, heute Geschäftsführer der Multifaith Alliance, stand vor wenigen Tagen im israelischen Parlament – als geladener Redner. Dass ein Syrer im Herzen der israelischen Demokratie öffentlich über Frieden spricht, wäre vor Kurzem noch als Hirngespinst abgetan worden. Doch Martini nennt es, ohne Übertreibung, einen „Jahrhundertmoment für den Frieden“.
Die Umstände könnten dramatischer kaum sein: Syrien taumelt noch immer im Schatten des Assad-Regimes, Millionen sind vertrieben, die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Und dennoch: Mit dem neuen syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al‑Sharaa scheint sich ein politischer Wandel anzubahnen. Martini bestätigt, er habe Al‑Sharaa wenige Wochen vor seiner Israel-Reise getroffen – gemeinsam mit einem christlichen und einem jüdischen Religionsführer. Das Treffen sei „erhellend“ gewesen, so der Aktivist. Es gehe der neuen Führung darum, Syrien wiederaufzubauen, Stabilität zu schaffen – und dafür brauche es Partnerschaften. Mit Europa. Mit den USA. Und ja: auch mit Israel.
Worte aus Damaskus, die man kaum glauben mag
Dass Syrien heute nicht mehr zum iranischen Einflussblock gehöre, sei eine bewusste Entscheidung der neuen Führung, sagt Martini. Er spricht von einem „klaren Bruch“ mit Teheran, von einem neuen regionalen Kurs, der auf Mäßigung und Verständigung basiert. Worte, die viele in Israel mit Skepsis aufnehmen dürften – nach Jahrzehnten blutiger Feindschaft, Hunderten Raketenangriffen und der fortwährenden Präsenz iranischer Milizen auf syrischem Boden.
Doch die Zeichen mehren sich: Der Tod von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und gezielte israelische Schläge gegen iranische Einrichtungen hätten der syrischen Opposition den nötigen Rückenwind gegeben, um Assad im Dezember zu stürzen, erklärt Martini. Viele Syrer hätten Israels Rolle in dieser Phase als hilfreich empfunden – etwas, das in der arabischen Öffentlichkeit lange als Tabu galt. Nun aber stehen syrische Stimmen, wie die von Martini, erstmals offen zu einer Realität, die früher nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde: Dass Israels Sicherheit auch ein arabisches Interesse ist.
Ein Parlament als Bühne der Hoffnung
Dass die Knesset zur Bühne dieses neuen Narrativs wurde, war kein Zufall. Die neu gegründete Knesset-Fraktion zur Förderung eines regionalen Sicherheitsabkommens hatte bewusst arabische Stimmen eingeladen – neben Martini auch den saudischen Journalisten Abdulaziz al-Khamis. Gemeinsam appellierten sie an israelische Abgeordnete, endlich einen regionalen Neustart zu wagen. Unterstützt wurden sie von israelischen Oppositionsgrößen wie Yair Lapid, Benny Gantz und Gilad Kariv. Vertreter der Regierung blieben demonstrativ fern.
Kariv, Vorsitzender der Fraktion, fand klare Worte: Ein Ende des Krieges gegen die Hamas müsse in ein umfassendes Abkommen münden – mit dem Ziel, eine Allianz der gemäßigten Kräfte im Nahen Osten zu schmieden. Auch Gantz betonte, dass der 7. Oktober 2023, so grausam er war, auch ein Versuch gewesen sei, den Weg der Normalisierung zu stoppen. Dies dürfe nicht gelingen.
Lapid brachte eine mutige Idee ins Spiel: Ägypten solle für 15 Jahre die Verwaltung des Gazastreifens übernehmen – ein Vorschlag, der in Israel wie in der arabischen Welt für hitzige Debatten sorgen dürfte. Al-Khamis mahnte derweil, dass Israel den Moment nicht verspielen dürfe. „Wenn Israel diesen Moment nutzt, um Gaza zu demütigen, wird es nicht nur Saudi-Arabien, sondern die gesamte arabische Welt verlieren.“
Frieden ist keine PR – sondern Risiko
Martinis Rede war nicht nur bewegend, sondern auch mutig. Er weiß, was auf dem Spiel steht. Mehrfach reiste er nach Israel – offen, ohne Geheimhaltung. Auch jetzt plant er, nach Syrien zurückzukehren. Ob das klug ist? „Ich hoffe es“, sagt er lakonisch. Doch er betont: „Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann müssen wir den Mut haben, die Wahrheit auszusprechen.“
Der Mut, den Martini meint, ist mehr als symbolisch. Es ist der Mut, alte Denkverbote zu überwinden – auf beiden Seiten. Auch in Israel. Denn zu lange hat sich die Politik an der Illusion eines ewigen Status quo festgehalten: Arabische Staaten als Feinde, diplomatische Isolation als Sicherheitsstrategie. Doch dieser Status quo hat sich spätestens mit den Abraham-Abkommen als überholt erwiesen. Und nun steht sogar Syrien – das lange als verlorenes Land galt – zumindest rhetorisch bereit, an einem neuen Nahen Osten mitzuwirken.
Zwischen Chance und Selbstsabotage
Doch Martini warnt auch: Wenn Israel weiterhin Militäraktionen in Syrien durchführt, etwa durch Drohnenangriffe oder Bodentruppen im Süden, dann werde das zarte Pflänzchen Dialog schnell zertreten. „Das untergräbt unsere Friedensbemühungen“, sagt er offen. Ein Satz, der unbequem klingt – gerade für jene, die in Israel auf militärische Stärke setzen. Doch Martini stellt klar: Ohne gegenseitige Rücksichtnahme wird der Traum vom Frieden erneut verpuffen.
Und so steht dieser eine Besuch – ein Syrer im israelischen Parlament – sinnbildlich für alles, was derzeit möglich ist. Für Hoffnung. Für Wandel. Aber auch für das Risiko, das beides mit sich bringt. Es ist ein historisches Fenster, das sich geöffnet hat. Doch ob es durchschritten wird, hängt nicht nur von Idealisten wie Martini ab. Sondern auch vom politischen Mut in Jerusalem, Damaskus – und darüber hinaus.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Presidency of the Syrian Arab Republic - Presidency of the Syrian Arab Republic, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=168234900
Sonntag, 13 Juli 2025