Israels Oberstes Gericht prüft das Al-Jazeera-GesetzIsraels Oberstes Gericht prüft das Al-Jazeera-Gesetz
Ein temporäres Gesetz mit tiefgreifenden Folgen – und einer gefährlichen Grauzone zwischen Pressefreiheit und „nationaler Sicherheit“.
Das israelische Höchstgericht verhandelt heute in erweiterter Besetzung über eines der umstrittensten Gesetze der letzten Jahre: das sogenannte „Al-Jazeera-Gesetz“. Offiziell heißt es „Gesetz zur Verhinderung von Schaden an der Staatssicherheit durch ausländische Rundfunkanstalten“ – ein Titel, der bereits ahnen lässt, wo sich das Spannungsfeld befindet: zwischen legitimer Sicherheitspolitik und der Gefahr, unabhängigen Journalismus systematisch zu behindern.
Das Gesetz wurde ursprünglich im April 2024 verabschiedet, lief zwischenzeitlich aus und wurde seither mehrfach verlängert. Nun steht zur Debatte, ob es dauerhaft in die Gesetzgebung überführt werden soll. Eingereicht wurde die Petition von der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel (ACRI), die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in Frage stellt. Ihr zentrales Argument: Das Gesetz sei ein Angriff auf Grundpfeiler der Demokratie – Meinungsfreiheit, Informationsrecht und Pressefreiheit.
Ein Gesetz mit eingebauten Kontrollmechanismen?
Die Gesetzesarchitektur wirkt auf den ersten Blick durchdacht. Eingriffe gegen Medienhäuser dürfen nur dann erfolgen, wenn sämtliche Sicherheitsbehörden eine Gefährdung der Staatssicherheit attestieren und dies mit konkreten Belegen untermauern. Die Maßnahme gilt zunächst nur für 45 Tage, muss dann erneut bestätigt werden und ist zudem der gerichtlichen Prüfung innerhalb von 24 Stunden zu unterziehen. Innerhalb von drei Tagen muss ein Richter dann entscheiden, ob die Maßnahme eingeschränkt, verlängert oder aufgehoben wird.
Doch in der Praxis werfen genau diese Mechanismen Fragen auf. Seit Inkrafttreten wurde das Gesetz vor allem gegen zwei Sender angewendet: die katarische Nachrichtenagentur Al-Jazeera und den libanesischen Sender Al-Mayadeen. Im Herbst 2024 entzog das israelische Regierungspresseamt den Al-Jazeera-Korrespondenten offiziell die Akkreditierung – ein beispielloser Schritt. Auch der Versuch, dem Büro der Associated Press in Sderot Equipment zu beschlagnahmen, weil deren Inhalte mutmaßlich parallel auf Al-Jazeera erschienen, sorgte international für Empörung. Der Schritt wurde zwar rasch zurückgenommen – doch der Schaden war bereits angerichtet.
Pressefreiheit unter Kriegsrecht?
Das Problem liegt nicht nur in der selektiven Anwendung des Gesetzes, sondern in seiner Auslegung. Kritiker wie ACRI warnen vor einem gefährlichen Dammbruch: „Wenn ein Sender blockiert wird, weil seine Inhalte auf einem anderen Kanal erscheinen, entsteht ein Klima der Angst – ein direkter Angriff auf die journalistische Freiheit.“ Tatsächlich betrifft die Sperrung von Al-Jazeera-Signalen auch andere große Nachrichtenagenturen wie Reuters oder AP, deren Material häufig von Dritten verwendet wird.
Während der Raketenangriffe aus dem Iran im Juni wurde deutlich, wie tiefgreifend die Auswirkungen sind. Israelische Sicherheitskräfte verhinderten gezielt, dass sowohl israelische als auch ausländische Medien Einschlagsorte dokumentieren konnten. Doch vor allem ausländische Medien wurden behindert, ihre Drehgenehmigungen in Frage gestellt oder ihnen der Zugang verwehrt – angeblich, weil ihr Material auf „unerwünschten“ Kanälen erschienen sei.
Die politische Stoßrichtung
Für ACRI steht fest: Das Gesetz dient nicht in erster Linie der Sicherheit, sondern der politischen Kontrolle über die Medienlandschaft. Es sei Teil einer größeren Agenda, die darauf abzielt, auch den öffentlichen Rundfunk in Israel zu privatisieren und unabhängige Berichterstattung unter staatliche Kontrolle zu bringen. Die israelische Journalistenvereinigung hat daher beantragt, sich als „amicus curiae“ – als befreundete Partei – an dem Verfahren zu beteiligen. Sie warnt eindringlich: „Das Gesetz gefährdet die Arbeitsfähigkeit von Journalisten in Israel massiv.“
Ein Urteil mit weitreichender Bedeutung
Das Urteil des Höchsten Gerichts wird über das Schicksal des Gesetzes entscheiden – und darüber hinaus ein Signal setzen. Es geht nicht nur um Al-Jazeera oder um ausländische Medien. Es geht um die Frage, ob in Kriegszeiten demokratische Prinzipien wie Pressefreiheit Bestand haben, oder ob die Politik sich durch temporäre Bedrohungen einen dauerhaften Zugriff auf die Informationsordnung des Landes verschafft.
Die Anhörung könnte so zum Wendepunkt für die israelische Demokratie werden – entweder in Richtung einer offenen Gesellschaft mit robustem Rechtsschutz für die Presse. Oder in Richtung einer schleichenden Aushöhlung des freien Wortes unter dem Deckmantel der Sicherheit.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Kai Hendry - originally posted to Flickr as Kai and Ruth at Aljazeera, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4062019
Sonntag, 13 Juli 2025