Netanyahu kippt Plan für humanitäre Stadt in Gaza – IDF soll „realistische Alternativen“ liefern

Netanyahu kippt Plan für humanitäre Stadt in Gaza – IDF soll „realistische Alternativen“ liefern


Die Idee einer riesigen humanitären Umsiedlungszone in Gaza stand bereits auf wackeligen Füßen – jetzt hat Premierminister Benjamin Netanyahu sie offenbar beerdigt. Er verlangt rasche Alternativen vom Militär. Der Streit in der Regierung spitzt sich zu.

Netanyahu kippt Plan für humanitäre Stadt in Gaza – IDF soll „realistische Alternativen“ liefern

Mit einem einzigen Satz hat Israels Premierminister Benjamin Netanyahu eine der umstrittensten Initiativen der letzten Wochen ins Wanken gebracht. „Ich habe um einen realistischen Plan gebeten!“, soll er am Sonntagabend gegenüber Generalstabschef Eyal Zamir gesagt haben – und damit das Vorhaben einer groß angelegten humanitären Stadt im Süden Gazas kurzerhand verworfen. Der Plan, entwickelt von Verteidigungsminister Israel Katz, sah vor, bis zu 600.000 Palästinenser aus den Kampfzonen in eine eigens gebaute Siedlung umzusiedeln – mit Unterstützung internationaler Organisationen, vor allem der US-geförderten Gaza Humanitarian Foundation.

Doch nun kommt heraus: Weder das Militär noch Netanyahus engerer Beraterkreis stehen hinter dem Vorhaben. Die Gründe reichen von sicherheitspolitischen Bedenken über strategische Signalwirkung bis hin zur Frage, ob der Plan nicht unfreiwillig einer Normalisierung von Hamas-Territorien gleichkäme. In der Sitzung des Kriegskabinetts am Sonntagabend, über die israelische Medien am Montag ausführlich berichteten, soll es hitzig zugegangen sein.

Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) äußerten gegenüber der politischen Führung deutlich ihren Widerstand. Die Errichtung einer solchen Stadt würde Monate, wenn nicht gar ein Jahr dauern, hieß es in der militärischen Einschätzung. Eine enorme logistische wie finanzielle Herausforderung. Doch das Hauptargument des Militärs wiegt schwerer: Eine solche Maßnahme würde die Bemühungen gefährden, die verbliebenen israelischen Geiseln aus den Händen der Hamas zu befreien.

Aus Sicht des Sicherheitsapparats könnte der Bau einer Stadt für Hunderttausende Palästinenser als Signal an Hamas gedeutet werden: Israel richtet sich auf eine Teilregelung ein – einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand, vielleicht ein Abkommen, das nicht alle Geiseln heimholt, aber den Wiederaufbau ermöglicht. Für die Terrororganisation wäre das ein Hoffnungsschimmer, eine Möglichkeit zur Reorganisation. Für Israel dagegen ein strategischer Rückschritt.

Verteidigungsminister Israel Katz hatte die humanitäre Stadt als pragmatische Lösung vorgestellt. In internationalen Gesprächen wurde sie als israelisches Entgegenkommen gegenüber den humanitären Forderungen der USA und anderer westlicher Partner präsentiert. Nun scheint dieser Versuch, das Image Israels zu verbessern, nicht nur im Innern auf Ablehnung zu stoßen, sondern könnte außenpolitisch ebenfalls ins Leere laufen, wenn keine Alternative folgt.

Netanyahu jedenfalls machte unmissverständlich klar, dass Katz' Vorschlag vom Tisch ist. Er forderte die IDF am Sonntagabend auf, bis zum folgenden Tag (!) Vorschläge für realistische, kostengünstigere und vor allem schnellere

Doch nicht nur Militärs und Berater zeigen sich skeptisch. Auch innerhalb der Regierung wächst der Widerstand. Nationaler Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir bezeichnete die gesamte Debatte um die humanitäre Stadt als politischen Nebelwurf. Auf X (ehemals Twitter) schrieb er, das Vorhaben sei nichts als „Spin“, um ein geheimes „Kapitulationsabkommen“ mit der Hamas zu verschleiern. Laut Ben-Gvir würden im Hintergrund bereits Deals vorbereitet, bei denen die IDF aus „Terrorgebieten“ abziehe, Hunderte inhaftierte Terroristen freigelassen würden – und Hamas damit Luft zum Wiederaufbau bekomme.

„Solche Spinnereien ersetzen keinen entschlossenen Sieg“, erklärte Ben-Gvir und stellte sich damit klar gegen jeden Schritt, der von der Maximalforderung einer vollständigen militärischen Zerschlagung der Hamas abweicht.

Die Frage, die im Raum steht, bleibt bestehen: Was geschieht mit den Hunderttausenden palästinensischen Zivilisten, die zwischen den Fronten gefangen sind? Die USA und mehrere europäische Staaten haben auf eine Lösung gedrängt, die das Leid der Bevölkerung mindert – ohne dabei Hamas zu stärken. Israel wiederum steht unter Druck, internationale Erwartungen zu erfüllen, ohne die eigenen sicherheitspolitischen Interessen zu gefährden.

Der Rückzug vom Plan einer humanitären Stadt bedeutet aber nicht, dass sich Israel aus der Verantwortung stiehlt. Im Gegenteil: Netanyahu stellt die IDF vor die Herausforderung, eine Antwort zu finden, die sowohl dem humanitären Völkerrecht als auch der militärischen Logik gerecht wird – und das innerhalb von Tagen.

Der Fall zeigt exemplarisch das tiefe Dilemma, in dem sich Israel befindet. Auf der einen Seite der legitime Anspruch, die Hamas nicht durch indirekte Aufbauhilfe zu stärken. Auf der anderen Seite der reale humanitäre Druck, der nicht ignoriert werden kann – schon gar nicht gegenüber Verbündeten wie den USA. Hinzu kommt die innenpolitische Dynamik: Eine Regierung, in der zentrale Ministerien gegeneinander arbeiten und der Premier zunehmend selbst Entscheidungen auf militärischer Ebene treffen muss, steht unter maximaler Belastung.

Ob es der IDF gelingt, eine tragfähige Alternative zum geplatzten Städteplan zu liefern, ist offen. Sicher ist nur: Der Rückhalt für symbolpolitische Maßnahmen ohne sicherheitspolitisches Fundament schwindet – auch in Israel selbst.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: GPO


Montag, 14 Juli 2025

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