Ultraorthodoxe Parteien drohen mit KoalitionsbruchUltraorthodoxe Parteien drohen mit Koalitionsbruch
Wenn das Wehrdienstgesetz heute nicht kommt, fliegt die Koalition morgen auseinander – ein stiller Aufstand beginnt, und Netanjahus Mehrheit wankt gefährlich.
Die ultraorthodoxen Parteien in Israel, die bislang als verlässliche Stützen von Benjamin Netanjahus Regierung galten, drohen nun mit einem dramatischen Schritt: dem Bruch der Koalition. Die religiöse Fraktion Degel HaTorah will laut einem Bericht von Channel 12 innerhalb der nächsten 24 Stunden die Regierung verlassen, sollte der lange versprochene Entwurf zur Reform des Wehrdienstgesetzes nicht vorgelegt werden. Auch die zweite große charedische Partei, Shas, könnte folgen – und damit wäre Netanjahus Regierungsmehrheit akut gefährdet.
Drohkulisse statt Koalitionstreue
Was sich derzeit in Jerusalem abspielt, ist mehr als parteipolitisches Taktieren. Es ist ein stiller Aufstand derjenigen, die Netanyahu einst als natürliche Partner galten. Degel HaTorah – Teil der Vereinigten Thora-Judentumsfraktion – stellt offen die Frage, ob das Bündnis mit dem Premier noch Bestand haben kann, wenn zentrale Versprechen nicht eingelöst werden. Hintergrund ist das ausstehende Gesetz zur Regelung der Wehrpflicht für ultraorthodoxe Jeschiwa-Schüler. Dieses Gesetz ist nicht nur innenpolitisch brisant, sondern für die charedischen Parteien existenziell – denn es betrifft ihre Kernwählerschaft direkt.
Die Lage ist so ernst, dass Degel HaTorah versucht hat, sogar mit den arabischen Fraktionen gemeinsame Sache zu machen, um mit einem Misstrauensvotum Druck aufzubauen. Das Vorhaben scheiterte – nicht an ideologischen Differenzen, sondern am Widerstand von Shas. Doch selbst Shas, bislang zurückhaltender, schließt einen Austritt nicht mehr aus, sollte das Gesetz nicht noch vor der Sommerpause eingebracht werden.
Die Regierung auf der Kippe
Ein Austritt beider ultraorthodoxer Parteien aus der Koalition wäre ein politisches Erdbeben. Die fragile Mehrheit der Regierung würde wegbrechen – und das ausgerechnet in einer Phase, in der Israel sich mitten im Gaza-Krieg befindet und Netanjahus Autorität international ohnehin bröckelt. Noch am Wochenende war der Premier aus Washington zurückgekehrt – ohne Geisel-Deal, aber mit einer Eskalation in Gaza. Jetzt tobt der Machtkampf auf heimischem Boden, und er hat das Potenzial, das ganze politische Gebäude zum Einsturz zu bringen.
Denn die Ultraorthodoxen sind nicht nur Königsmacher, sie sind auch gewiefte Strategen. Sollte das Gesetz scheitern, drohen sie nicht nur mit Rückzug, sondern mit einer paradoxen Strategie: Sie wollen denselben Gesetzestext – den sie aus der Koalition heraus nicht durchbringen konnten – aus der Opposition heraus versuchen durchzusetzen. Ein Manöver, das auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt, in Wahrheit aber ein klares Ziel verfolgt: maximale öffentliche Aufmerksamkeit und eine Mobilisierung der eigenen Basis.
Netanjahu unter Druck – aus allen Richtungen
Für Netanyahu bedeutet das: Die Front verläuft längst nicht mehr nur zwischen Israel und der Hamas – sondern auch mitten durch seine eigene Regierung. Während rechtsradikale Minister wie Ben-Gvir und Smotrich auf vollständige militärische Kontrolle über Gaza pochen, verlangen die charedischen Parteien endlich politische Ergebnisse, die ihren eigenen Überlebensinteressen dienen. Netanjahu gerät damit zwischen die Mühlsteine seiner widersprüchlichen Allianzen.
Die Zerreißprobe wird verschärft durch das Thema Geiseln. Weite Teile der israelischen Öffentlichkeit fordern ein Ende des Krieges, um die noch lebenden Entführten endlich heimzuholen. Doch für die Ultraorthodoxen steht ein anderes Thema im Vordergrund: ihre Autonomie in Sachen Wehrdienst. Das zeigt die ganze Dramatik dieser Phase – denn sie bringt zwei Grundfragen der israelischen Gesellschaft auf brutale Weise in Kollision: nationale Sicherheit und religiöse Selbstbestimmung.
Kommt jetzt das Ende der Regierung?
Noch dementieren führende Politiker wie Arye Deri, dass sie einen sofortigen Koalitionsausstieg planen. Doch diese Dementis wirken dünn, fast taktisch. Laut KAN planen die charedischen Fraktionen ihren Ausstieg in zwei Etappen: zuerst Degel HaTorah noch in dieser Woche, dann Shas bis zur Schließung der Knesset-Sitzungsperiode. Eine solche Bewegung lässt sich nicht einfach zurückdrehen – sie ist das Vorspiel zum Bruch.
Die Konsequenz wäre nicht nur das politische Aus für die aktuelle Regierung. Es wäre ein Symbol für die tiefe Spaltung der israelischen Gesellschaft. Denn das Thema Wehrdienst hat mehr Sprengkraft als viele außenpolitische Fragen. Es berührt den gesellschaftlichen Grundkonsens, auf dem das zionistische Projekt seit 1948 beruht: dass jeder Israeli zum Schutz des Landes beiträgt. Die Ausnahme für die Charedim wurde über Jahrzehnte hinweg toleriert, doch sie ist zunehmend unhaltbar geworden – nicht zuletzt angesichts des langen Krieges.
Benjamin Netanjahu steht damit vor der härtesten innenpolitischen Prüfung seiner Amtszeit. Der Premier, der sich gerne als Sicherheitsgarant präsentiert, muss nun beweisen, ob er noch Herr seiner Koalition ist – oder ob seine Regierung, inmitten von Krieg und Krisen, am Ende über ein Gesetz zur Wehrpflicht zerbricht.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Noam Moshkowitz/Knesset-Sprecher
Montag, 14 Juli 2025