Israel zieht sich zurück – nicht aus Schwäche, sondern um Leben zu rettenIsrael zieht sich zurück – nicht aus Schwäche, sondern um Leben zu retten
Jerusalem weicht strategisch, um seine Geiseln zurückzubringen – und stößt an die Grenzen politischer Verantwortung.
Die Karten liegen nun offen auf dem Tisch: Israel hat den Vermittlern der laufenden Geiselverhandlungen in Doha erstmals konkrete Rückzugskarten übergeben – und damit seine bisher weitgehend unverrückbare militärische Position spürbar aufgeweicht. Es ist ein historischer Schritt. Nicht, weil Israel militärisch einknickt, sondern weil es politisch kalkuliert. Und weil es bereit ist, echte Risiken einzugehen, um das Leben seiner Geiseln zu retten.
Konkret bedeutet das: Die IDF wird sich weitgehend vom strategisch wichtigen Korridor „Tzir Morag“ im südlichen Gazastreifen zurückziehen. Auch die bisherige Präsenz im Raum Rafah – dem letzten verbliebenen Zentrum massiver israelischer Kontrolle – soll drastisch reduziert werden. Stattdessen will Israel militärisch nur noch ein Perimeter-System rund um den Gazastreifen aufrechterhalten, das primär dem Schutz der Gemeinden rund um das Grenzgebiet („Otef Aza“) dient.
Taktische Nachgiebigkeit, strategische Zielstrebigkeit
Man kann diesen Schritt als Schwäche deuten – doch das wäre zu kurz gedacht. Es geht nicht um Kapitulation. Es geht um eine politische Entscheidung, in einer Situation größter moralischer und sicherheitspolitischer Komplexität einen Weg zu finden, der das Leben von Geiseln rettet, ohne den fundamentalen Sicherheitsinteressen Israels zu schaden.
Denn was jetzt auf dem Spiel steht, ist mehr als ein einzelner taktischer Vorteil in Rafah. Es geht um eine weitreichende Verständigung, die eine Waffenruhe, eine Geiselfreilassung und zumindest einen vorübergehenden Stabilisierungsrahmen für die nächsten Monate ermöglichen könnte. Auch in Doha hat sich die Dynamik verändert: Amerikanische Unterhändler arbeiten intensiv an einer Einigung, während aus Jerusalem zuletzt auffällig optimistische Töne kamen – trotz der bitteren Lektionen vorheriger Vermittlungsrunden.
Was wirklich auf dem Spiel steht
Die Gespräche in Doha sind ein Tanz auf Messers Schneide. Denn neben den geografischen Fragen und Rückzugsparametern geht es jetzt um die viel heiklere Frage: Welcher Gegenwert wird von Hamas verlangt? Wie viele palästinensische Häftlinge, darunter mutmaßlich Terroristen mit Blut an den Händen, müssten freigelassen werden – und im Austausch für wen?
Israels Sicherheitsapparat zögert genau an diesem Punkt. Nicht wegen mangelnden Mitgefühls mit den Familien der Geiseln, sondern wegen der bitteren Erfahrung, dass solche Tauschgeschäfte auch Rückschläge produzieren. Der Fall Gilad Shalit ist noch immer präsent: Über 1.000 Gefangene wurden damals freigelassen – viele von ihnen später erneut in Terrorhandlungen verwickelt.
Doch diesmal geht es nicht um einen Soldaten. Es geht um Dutzende. Um Familien. Um Kinder. Um ein ganzes Volk, das seit Monaten Geiseln der Hamas ist – emotional, gesellschaftlich, politisch. Der Druck auf die Regierung wächst, die Zivilgesellschaft organisiert beinahe täglich Proteste vor Botschaften und Regierungsgebäuden, in Tel Aviv wie auch vor der US-Botschaft. Es geht um das nationale Gewissen.
Trumps Schatten und die Realität danach
Ein interessantes Detail der laufenden Verhandlungen ist die Rolle des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Offenbar wurde Hamas in Aussicht gestellt, dass ein zukünftiger Präsident Trump alles dafür tun werde, um auf ein vollständiges Kriegsende hinzuarbeiten – ein symbolischer Hebel, der vor allem in der innerpalästinensischen Propaganda Gewicht haben könnte. Ob diese Zusage bindend ist oder nur diplomatisches Blendwerk, bleibt offen. Doch sie zeigt: Auch das internationale Gewicht spielt in Doha eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu hat damit erstmals explizit eine Veränderung ihrer militärischen Ausgangsposition akzeptiert. Das bedeutet nicht, dass Israel Schwäche zeigt. Es bedeutet, dass man sich bewegt – mit Bedacht, aber auch mit Mut. Denn selbst wenn am Ende keine Einigung steht, hat Israel der Welt und sich selbst gezeigt, dass es bereit ist, die maximal möglichen Schritte für seine Geiseln zu gehen, ohne den eigenen Untergang zu riskieren.
Die kommenden Tage werden entscheidend sein. Ob die Hamas tatsächlich bereit ist, auf ein ernsthaftes Angebot einzugehen, wird sich zeigen. Für Israel jedenfalls steht fest: Es bleibt stark – aber es bleibt auch menschlich.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot
Donnerstag, 17 Juli 2025