Ich schleppte so viel Schuld mit mir herum – ich konnte nicht über sie sprechen

Ich schleppte so viel Schuld mit mir herum – ich konnte nicht über sie sprechen


Wie die junge Sängerin Yuval Rafael zwischen Tod und Triumph ihren Weg fand – und warum ihr 7. Oktober für immer die Kraft gibt, auf der großen Bühne Israels zu stehen

Ich schleppte so viel Schuld mit mir herum – ich konnte nicht über sie sprechen

Es gibt Momente im Leben, die alles verändern. Für Yuval Rafael, 24 Jahre alt, war es der 7. Oktober – ein Tag, an dem sie in einer Munitionsbunkerfalle saß, den Tod vor Augen, unfähig sich zu bewegen, den Körper einer verstorbenen Freundin auf sich spürend. Ein Tag, an dem Angst und Schmerz alles zu erdrücken drohten. Doch genau dieser Albtraum, den sie in der Nacht von der Gewalt in Ra‘am durchlebte, gibt ihr heute die Kraft, in ganz Europa als Israels Stimme beim Eurovision Song Contest für Hoffnung und Widerstand zu stehen.

Seit ihrer Rückkehr vom Eurovision-Halbfinale in Basel spricht Yuval erstmals ausführlich über die schwere Last, die sie mit sich trägt – und über die Kraft, die sie aus dieser Erfahrung schöpft. Es ist eine Geschichte, die von Überleben, Freundschaft und der Unbändigkeit eines Mädchens erzählt, das mitten in der dunkelsten Nacht sein Licht fand.

Yuval Rafael, noch keine professionelle Sängerin am 7. Oktober, verlor an diesem Tag beinahe alles. In der Munitionsbunker-Minigun-Schutzanlage, die ihr Schicksal besiegelte, versteckte sie sich gemeinsam mit Freundinnen – unter ihnen Ader Dokhan, die sie wenige Monate später in Basel anfeuerte. Acht Stunden war sie gefangen, körperlich verletzt, die Knochen schmerzten unerträglich, und jede Sekunde konnte die letzte sein. „Ich habe mich gefragt, ob ich mit offenen oder geschlossenen Augen sterben will“, erinnert sich Yuval. „Doch dann traf ich die Entscheidung, weiterzukämpfen – für mich, für meine Freundinnen, für mein Land.“

Aus dieser Entscheidung wuchs eine Kraft, die sie bis heute begleitet. Sie gewann die israelische Talentshow „HaKochav HaBa“ und wurde Israels Vertreterin beim Eurovision Song Contest 2025. Dort überraschte sie mit ihrem Lied „New Day Will Rise“ und erreichte sensationell den zweiten Platz. Doch die Bühne in Europa war für sie mehr als nur ein Sieg. „Ich habe nicht nur für mich gesungen, sondern für alle, die Hoffnung brauchen“, sagt sie. „Der Schmerz von damals war in jedem Ton, und ich fühlte, wie er mich stärker macht.“

Die Belastung der Vergangenheit wird nicht verdrängt, sondern mit ihr gelebt. Yuval hörte sich immer wieder eine Aufnahme an, in der ihr Vater ihr inmitten des Angriffs befahl, „so zu tun, als sei sie tot“, um zu überleben. „Diese Aufnahme ist mein Anker, obwohl sie schmerzhaft ist“, sagt sie. Und doch schämt sie sich nicht, über ihre Gefühle zu sprechen. Im Gegenteil: „Ich schleppte so viel Schuld mit mir herum, konnte nicht über die verstorbene Freundin sprechen. Es war, als würde ich sie noch lebendig halten müssen.“ Erst die Begegnung mit der Mutter dieser Freundin half ihr, Frieden zu finden – eine Berührung, die ihr Herz heilte.

Trotz des traumatischen Erlebens blickt Yuval Rafael mit einer beeindruckenden Stärke in die Zukunft. „Ich will zeigen, dass aus den dunkelsten Momenten Hoffnung erwachsen kann“, erklärt sie. Für sie ist der 7. Oktober nicht nur ein Tag des Schreckens, sondern auch der Antrieb für jeden Schritt auf der Bühne, in jedem Auftritt. „Die Bühne ist mein Überlebensraum, hier kann ich meine Flügel ausbreiten, hier fühle ich mich lebendig.“

Diese Geschichte ist mehr als die eines jungen Talents – sie ist ein Spiegel für ganz Israel, das sich täglich zwischen Bedrohung und Lebensmut behauptet. Yuval Rafael steht für eine Generation, die sich nicht nur von Angst lähmen lässt, sondern daraus neue Kraft schöpft und mit Stolz ihr Land vertritt. Sie zeigt, wie persönliches Leid zur kollektiven Hoffnung werden kann.


Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: By Quejaytee - Own work, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=165751745


Sonntag, 27 Juli 2025

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