Huthi-Raketen mit Streumunition: Israels Abwehr vor einer neuen BewährungsprobeHuthi-Raketen mit Streumunition: Israels Abwehr vor einer neuen Bewährungsprobe
Mit dem Einsatz von ballistischen Raketen mit Streumunition eröffnen die vom Iran gesteuerten Huthi in Jemen ein neues Kapitel im Krieg gegen Israel. Die Angriffe zeigen, wie gezielt Teheran versucht, Israels Luftabwehr an ihre Grenzen zu bringen – mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung.
Der Einsatz von Streumunitions-Gefechtsköpfen in einer ballistischen Rakete, die am Freitag Zentralisrael traf, ist weit mehr als nur eine taktische Neuerung der Huthi-Miliz. Er stellt eine strategische Eskalation dar, die sowohl Israels Luftverteidigungssysteme wie auch die gesamte Architektur regionaler Abschreckung herausfordert – und gleichzeitig das Zusammenspiel Irans mit seinen Stellvertreterorganisationen auf eine neue Ebene hebt.
Bisher hatten die Huthis überwiegend auf Drohnenschwärme, Marschflugkörper und Raketen mit konventionellen Sprengköpfen gesetzt. Mit der Einführung von ballistischen Raketen mit Streumunition öffnet sich nun ein gefährliches Kapitel. Streumunition ist nicht auf punktuelle Zerstörung ausgelegt, sondern auf Flächenwirkung: Sie setzt Dutzende, mitunter Hunderte von Submunitionen frei, die großflächig zivile und militärische Ziele bedrohen. Diese Technik erschwert nicht nur die Abwehr, sondern vervielfacht die Reichweite der Gefahr.
Während konventionelle Abfangsysteme wie Israels Arrow oder David’s Sling darauf ausgelegt sind, intakte Flugkörper im Anflug zu zerstören, wird das Abfangen fragmentierender Gefechtsköpfe, die sich in der Luft in zahlreiche Bomblets zerlegen, technisch und strategisch ungleich schwieriger. Dass am Freitag mindestens eine Submunition bei Ginaton südöstlich von Tel Aviv einschlug und Schäden verursachte, macht die Verwundbarkeit deutlich. Die Gefahr von Massenopfern in dicht besiedelten Gebieten ist unübersehbar.
Iranische Handschrift und strategische Botschaften
Es ist kein Geheimnis, dass der Iran die Huthi-Bewegung seit Jahren aufrüstet und den Krieg im Jemen als Testlabor für neue Waffentechnik nutzt. Bereits während des zwölftägigen Iran-Krieges im Juni setzte Teheran ballistische Raketen mit Streumunitionsgefechtsköpfen ein, darunter die Modelle Qadr und Khorramshahr. Dass diese Technologie nun im Arsenal der Huthis auftaucht, ist daher kaum überraschend, aber brandgefährlich.
Die Erklärung der Huthis, man habe gezielt den Flughafen Ben Gurion attackiert, fügt sich in das bekannte Muster propagandistischer Kriegsführung: Unabhängig davon, ob das Ziel tatsächlich gefährdet war, soll die Botschaft lauten, dass Israel nicht sicher ist und internationale Fluggesellschaften besser weiterhin Abstand von Landungen in Israel halten sollten. Diese psychologische Komponente ist integraler Bestandteil der iranischen Stellvertreterstrategie.
Teheran weiß, dass es Israels Abwehr nicht durch eine einzige Waffe überwältigen kann. Stattdessen setzt es auf gleichzeitige Angriffe von verschiedenen Fronten – Gaza, Libanon, Syrien, Irak und nun verstärkt aus dem Jemen. Jeder dieser Akteure bringt andere Waffensysteme und Taktiken ein, sodass die Verteidigungskräfte permanent flexibel reagieren müssen. Die Huthis mit ihrer geografisch entfernten, aber strategisch idealen Position sind inzwischen fester Bestandteil dieses „Widerstandsachsen“-Netzwerks.
Israels Antwort und historische Parallelen
Israel reagierte am Sonntag mit Luftschlägen gegen Ziele im Jemen, darunter ein militärischer Komplex nahe des Präsidentenpalastes in Sanaa sowie zivile Infrastrukturen wie Kraftwerke und Treibstofflager. Doch diese Antwort erinnert eher an das Vorgehen Israels vor dem 7. Oktober 2023: punktuell, reaktiv, ohne erkennbaren strategischen Plan zur dauerhaften Eindämmung.
Die Parallelen zur Frühphase der Hamas-Raketenangriffe sind unverkennbar. Als 2001 die ersten primitiven Qassam-Raketen aus Gaza abgefeuert wurden, verzichtete Israel auf eine entschlossene Gegenstrategie. Zwei Jahrzehnte später war das Ergebnis ein nahezu permanenter Raketenkrieg gegen die israelische Zivilbevölkerung. Die Lektion sollte sein: Jede neue Eskalationsstufe der Feinde wird, wenn sie nicht entschieden beantwortet wird, zum Dauerzustand.
Grenzen der Luftverteidigung
Der jüngste Angriff wirft auch drängende Fragen über Israels hochgelobte Raketenabwehr auf. Zwar hat das Land mit Iron Dome, David’s Sling, Arrow 2 und Arrow 3 ein weltweit einzigartiges, mehrschichtiges System aufgebaut. Doch die Systeme sind auf klassische Bedrohungen ausgelegt – ein Flugkörper, ein Ziel, eine Abfangrakete.
Streumunition jedoch verändert die Spielregeln. Wird der Gefechtskopf rechtzeitig zerstört, mag der Angriff neutralisiert sein. Zerlegt er sich jedoch zuvor in Submunitionen, stehen die Abfangsysteme vor der unmöglichen Aufgabe, Dutzende Mini-Projektile zu bekämpfen. Zudem bleiben nicht detonierte Submunitionen am Boden zurück und stellen eine anhaltende Gefahr für Zivilisten dar, wie die Erfahrungen aus Libanonkriegen und anderen Konflikten belegen.
Im Juni hatte bereits ein iranischer Khoramshahr-4 rund 80 Submunitionen über dem Großraum Tel Aviv verstreut. Dass damals niemand verletzt wurde, war Zufall. Der Angriff zeigte aber, dass Israels Abwehr trotz technologischer Überlegenheit an Grenzen stößt.
Die Huthis haben mit diesem Angriff eine neue Stufe asymmetrischer Kriegsführung eingeleitet. Die Gefahr liegt nicht allein im einzelnen Geschoss, sondern in der Botschaft: Die Gegner Israels entwickeln ihre Fähigkeiten ständig weiter, und jede neue Technologie wird über Irans Stellvertreter an den Fronten getestet.
Für Israel bedeutet das, die eigene Strategie zu überdenken. Es reicht nicht, auf die jeweils nächste Bedrohung zu reagieren. Nötig ist ein vorausschauender Ansatz: Aufklärung über Lieferketten, Zerstörung der Produktionsstätten, diplomatischer Druck auf Unterstützerstaaten und möglicherweise auch präventive Operationen, die den Transfer solcher Systeme unterbinden. Ebenso müssen Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz auf eine neue Qualität von Bedrohungen vorbereitet werden.
Yemen ist in diesem Spiel längst kein Nebenkriegsschauplatz mehr. Es ist Teil einer großangelegten Strategie Teherans, Israels Abwehr zu überlasten und die eigene Position in der Region zu festigen. Wer dies übersieht, riskiert, die Bedrohung zu unterschätzen – und damit den Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Montag, 25 August 2025