Netanyahu wirft Ägypten vor, Gazaner einzusperren – Kairo droht mit „roter Linie“Netanyahu wirft Ägypten vor, Gazaner einzusperren – Kairo droht mit „roter Linie“
Israel fordert das Recht der Menschen auf freie Entscheidung, Ägypten spricht von „Liquidierung“ und „Genozid“. Im Streit um Fluchtwege aus Gaza prallen Menschenrechte, Machtpolitik und Propaganda aufeinander.
Als der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu am Freitag Ägypten vorwarf, die Bewohner Gazas gegen ihren Willen in einem Kriegsgebiet festzuhalten, verschärfte sich ein diplomatischer Schlagabtausch, der weit über die Grenze zwischen Rafah und Khan Yunis hinausreicht. Während Israel betont, dass jeder Mensch das Recht habe, in Kriegssituationen Schutz zu suchen und frei zu entscheiden, wo er leben will, bezeichnet Kairo jede Diskussion über eine mögliche Fluchtbewegung von Palästinensern als „rote Linie“.
Der ägyptische Außenminister Badr Abdelatty erklärte in Nikosia, Zypern: „Vertreibung ist keine Option. Sie bedeutet die Liquidierung der palästinensischen Sache. Wir werden sie nicht zulassen.“ Mit dramatischen Worten warf er Israel „Genozid, Massenmord und künstlich geschaffenen Hunger“ vor – Begriffe, die Kairo in den letzten Monaten wiederholt gebraucht, um Israels Vorgehen im Gazastreifen zu delegitimieren.
Die israelische Seite reagierte ungewöhnlich scharf: „Das ägyptische Außenministerium bevorzugt es, Bewohner gegen ihren Willen im Kriegsgebiet einzusperren“, hieß es aus dem Büro des Premierministers. Netanyahu selbst hob hervor, es gehe um ein grundlegendes Menschenrecht – die freie Wahl des Wohnortes, erst recht in Zeiten des Krieges. Hinter dieser Argumentation steckt auch die Botschaft, dass Israel nicht bereit ist, sich von Kairo den Umgang mit der Zivilbevölkerung diktieren zu lassen.
Die Vorwürfe fallen in eine Phase, in der die israelische Armee ihre Operation in Gaza-Stadt ausweitet. Seit dem 10. August läuft dort ein gezieltes Vorgehen gegen Hamas-Terroristen, die sich in Wohnvierteln, Hochhäusern und zivilen Strukturen verschanzen. Nach Angaben der Armee kontrolliert Israel mittlerweile rund 40 Prozent der Stadt. Präzisionsschläge auf von Hamas genutzte Gebäude folgen meist Evakuierungsaufrufen an die Bevölkerung – dennoch bleibt der Vorwurf von „Vertreibung“ ein machtpolitisches Instrument, das vor allem Ägypten und Jordanien nach außen scharf formulieren.
Tatsächlich zeigt sich hier eine alte Konstante: Kairo sieht jede größere Fluchtbewegung von Palästinensern nach Sinai als Bedrohung für die eigene Stabilität. Gleichzeitig präsentiert sich die ägyptische Führung als Hüterin der palästinensischen Sache – auch um im arabischen Raum politische Punkte zu sammeln. Israel wiederum verweist darauf, dass Hamas selbst die Menschen in Geiselhaft hält, ihre Bewegungsfreiheit beschneidet und zivile Ausgänge blockiert.
So stehen sich zwei Narrative unversöhnlich gegenüber: Ägypten beschwört den Untergang des palästinensischen Volks, sollte es zu Fluchtbewegungen kommen. Israel betont das individuelle Recht auf Schutz und Sicherheit, das durch die Blockade ägyptischer Grenzen faktisch ausgehebelt wird. Zwischen diesen Polen bleibt die Zivilbevölkerung gefangen – buchstäblich, an Grenzübergängen, die geschlossen bleiben, und politisch, in einer Propagandaschlacht, die jedes Leid instrumentalisiert.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: GPO
Samstag, 06 September 2025