Sieg ohne Kapitulation – Israels Realität in GazaSieg ohne Kapitulation – Israels Realität in Gaza
Ex-Geheimdienstchef Tamir Heyman zerstört Illusionen: Hamas wird nicht verschwinden, aber Israel kann sie entmachten. Ein echter Sieg braucht mehr als Bomben – er braucht einen politischen Plan.
Wenn in Israel über „Sieg“ gesprochen wird, entsteht oft das Bild von einem endgültigen Triumph: Hamas besiegt, ihre Strukturen ausgelöscht, Gaza frei von Terror. Es ist ein Versprechen, das emotional trägt – aber strategisch gefährlich sein kann. Tamir Heyman, der frühere Leiter des Militärgeheimdienstes Aman, hat nun in einem Beitrag für den Fernsehsender N12 die Erwartungen zurechtgerückt. Seine Analyse ist unbequem, aber dringend notwendig: Israel stehe dem Sieg nahe, doch dieser Sieg sehe anders aus, als viele erwarten.
Heyman erinnert daran, dass sich der Begriff „Sieg“ verändert hat. Im 20. Jahrhundert war es die bedingungslose Kapitulation des Gegners, wie 1945 in Deutschland oder Japan. Doch die asymmetrischen Kriege des 21. Jahrhunderts verlaufen anders. Terrororganisationen verschwinden nicht von heute auf morgen, sie lösen sich nicht in Luft auf, wenn Panzer ihre Hauptquartiere zerstören. Vielmehr überleben sie in Untergrundzellen, mit Ideologie, mit Reststrukturen. Sieg bedeutet daher nicht ihre physische Auslöschung, sondern ihre dauerhafte Handlungsunfähigkeit.
Genau hier liegt Israels Erfolg: Hamas ist militärisch stark geschwächt. Ihre Bataillone in Gaza-Stadt und Rafah sind zerschlagen, ihr industrielles Zentrum für Raketenproduktion ist größtenteils zerstört, viele Anführer sind ausgeschaltet. Hamas besitzt keine Fähigkeit mehr, reguläre Schlachten zu führen. Was bleibt, sind Terroranschläge, vereinzelte Raketen, Propaganda. Für Heyman ist damit klar: Israel hat die Grundvoraussetzung für Sieg geschaffen.
Doch er mahnt: Wer von einem „absoluten Bruch“ spricht, wer glaubt, Hamas könne vollständig aus der Geschichte gelöscht werden, setzt sich einer Illusion aus. Ohne politische Alternative in Gaza wird Hamas immer wieder Fuß fassen. Junge Männer ohne Perspektive, eine Bevölkerung, die zwischen Ruinen lebt, und Hilfsgüter, die von der Terrororganisation kontrolliert werden – all das schafft den Nährboden für die nächste Generation von Kämpfern.
Heymans Warnung ist doppelt brisant: Denn Israels politisches Establishment hat bislang keinen Plan für Gaza vorgelegt, der über militärische Siege hinausgeht. Wer soll die Schulen betreiben, wer die Straßen sichern, wer die Verteilung von Lebensmitteln kontrollieren? Solange diese Fragen unbeantwortet bleiben, gewinnt Hamas im Schatten jede neue Chance.
Ein weiteres Tabu bricht Heyman beim Thema Geiseln. Während Teile der israelischen Gesellschaft auf eine „militärische Befreiung“ hoffen, spricht er von der Realität: Nur ein Deal wird die Geiseln nach Hause bringen, und dieser Deal wird Israel schmerzen. Terroristen freizulassen bedeutet, Hamas ein Propagandainstrument in die Hand zu geben. Aber die Alternative – das bewusste Zurücklassen von Entführten – würde Israels moralisches Fundament erschüttern. Für Heyman ist die Entscheidung klar: Sicherheit bedeutet manchmal, den Schmerz zu wählen, um die Zukunft zu retten.
Historisch betrachtet ist diese Analyse kaum neu. Schon David Ben-Gurion musste nach der Staatsgründung erkennen, dass Siege selten „absolut“ sind. 1956, nach der Sinai-Operation, musste Israel unter Druck der Supermächte seine Truppen zurückziehen – militärisch überlegen, politisch isoliert. Auch 2006 im Krieg gegen die Hisbollah zeigte sich: Selbst nach massiven Zerstörungen im Libanon blieb die Terrororganisation bestehen. Was Israel damals lernte, bestätigt Heyman heute: Der Feind verschwindet nicht, aber er kann in seiner Macht beschnitten werden.
Was bedeutet das für den Westen? Hier liegt der eigentliche Kern von Heymans Botschaft. Während europäische Diplomaten und selbsternannte „Friedensaktivisten“ Israel gerne vorwerfen, es strebe nach Vernichtung, sagt Heyman etwas anderes: Israel strebt nach Sicherheit, nicht nach Utopien. Der Traum von einer „Welt ohne Hamas“ ist verständlich, aber politisch naiv. Wirklicher Sieg bedeutet, Hamas unbedeutend zu machen – durch militärische Schwächung und durch eine politische Ordnung, die ihr keinen Raum mehr gibt.
Ohne diese Klarheit droht eine Sackgasse. Israel würde militärisch gewinnen, aber politisch verlieren. Genau davor warnt Heyman – und genau deshalb muss seine Stimme ernst genommen werden. Denn ein Land, das nur auf Bomben setzt und keine Strategie für den Tag danach hat, riskiert, denselben Feind immer wieder zu bekämpfen.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle:
Samstag, 06 September 2025