17.000 Schekel – über 4.000 Euro –, um am Leben zu bleiben und obdachlos zu werden

17.000 Schekel – über 4.000 Euro –, um am Leben zu bleiben und obdachlos zu werden


Evakuierung als Preisrechnung: Wer aus dem nördlichen Gazastreifen flieht, zahlt nicht nur mit Angst, sondern oft mit Ersparnissen, Besitz und Würde. Ein Lehrstück dafür, wie Krieg Zivilisten in ökonomische Verzweiflung treibt.

17.000 Schekel – über 4.000 Euro –, um am Leben zu bleiben und obdachlos zu werden

Die Rechnung für das Überleben ist brutal: Transporte, Zelte, Latrinen, Pacht — zusammengerechnet Summen, die für viele Familien das Äquivalent zur kompletten Lebensgrundlage darstellen. Aus Israel betrachtet ist die Evakuierungswelle eine Sicherheitsmaßnahme; aus menschlicher Sicht ist sie ein Exempel der Entwurzelung, die Kriege produzieren. Beides ist wahr — und beides verlangt Antwort.

Die Kosten der Flucht

Die Zahlen aus Berichten und Stimmen vor Ort klingen wie ein Hohn: rund 7.000 Schekel (etwa 1.700 Euro) für einen Lkw-Transport, 5.000 Schekel (ca. 1.200 Euro) für ein Zelt, 2.000 Schekel (rund 480 Euro) für Sanitäranlagen, weitere Summen für die Miete kleiner Parzellen — schnell addiert ergibt das die oft zitierten 17.000 Schekel (gut 4.100 Euro). Für Familien, die bereits unter Druck standen, sind das keine abstrakten Beträge, sondern die Wahl zwischen sofortiger Vertreibung und dem Stillhalten unter Bombenhagel. Manche verkaufen Land, um den Preis zu tragen; andere werden von teils skrupellosen Zwischenhändlern verdrängt, die Grund und Boden weitervermarkten. Das Ergebnis: Menschen, die „gerettet“ wurden, stehen ohne Zuhause da.

Evakuierung ist kein kurzer Weg. Berichte sprechen von Reisen, die 15 bis 18 Stunden in Anspruch nehmen können, oft unter unsicheren Bedingungen. Viele Familien wissen nicht, wohin sie sollen; sie gelangen in den Süden und „setzen sich auf die Erde“, weil sie weder Zelt noch Platz haben. Die Angst ist nicht nur vor dem Tod durch Beschuss, sondern vor dem Leben danach: verletzt, ohne Familie, ohne Obdach. Diese zweite Art von Verderben — das langsame Zerbrechen sozialer Netze und ökonomischer Existenz — wird in den Augen der Betroffenen schlimmer als der unmittelbare Tod.

Die Rolle lokaler Machthaber

Parallel zu den Menschenstimmen ertönen Warnungen: Sicherheitsapparate der Hamas bezeichnen bestimmte Bewegungen als „Fallen“ und warnen vor israelischem Vorgehen. Solche Botschaften erhöhen die Verunsicherung zusätzlich. Gleichzeitig nimmt die alltägliche Infrastruktur Schaden; Felder, Läden und Transportwege sind nicht verfügbar. Der Staat Israel beschreibt die Evakuierungen als notwendig für die militärische Zielsetzung und den Schutz eigener Soldaten und Zivilisten. Doch die humanitäre Rechnung, die sich daraus für die Betroffenen ergibt, bleibt offen — und schwer.

Wer gezwungen ist, zu fliehen und dafür Summen von mehreren Tausend Euro aufzubringen, verliert mehr als Eigentum. Er verliert Würde, Planungssicherheit und oft die Möglichkeit, künftig wieder ein existenzfähiges Leben aufzubauen. Familien, die einst in einfachen Hütten lebten, finden sich nun in überbelegten Zelten wieder: ein Zelt mit 17 Personen, wie ein Bericht schildert, ist keine Notlösung, sondern ein dauerhaftes Trauma. Wer den Blick aus israelischer Perspektive einnimmt, mag argumentieren, dass militärische Maßnahmen selten ohne Kollateralkosten auskommen. Wer den Blick der Betroffenen teilt, sieht, wie sehr jene Kosten in menschliches Leid umgesetzt werden.

Ökonomisierung des Überlebens

Die Marktwirtschaft in der Krise kennt wenig Moral: Käufer von Land verlangen Mieten, Zwischenleute verwenden die Verzweiflung, um Profite zu erzielen. Transportfirmen und Dienstleister legen Preise auf, die für Bürger ohne Ersparnisse unerschwinglich sind. So entsteht eine Parallelökonomie der Flucht: Schutz gegen Geld, Sicherheit gegen Besitz. Diese Mechanik erzeugt tiefgreifende Ungerechtigkeit, weil sie die ohnehin Schwächsten bestraft. Es ist ein Versagen internationaler Schutzmechanismen, dass solche Strukturen so leicht Fuß fassen können.

Pragmatisch betrachtet wären drei Dinge unverzichtbar: schnell zugängliche, unbürokratische Hilfe, transparente Koordination für sichere Routen sowie die Kontrolle von Abzocke und Landraub. Israel hat legitime Sicherheitsinteressen; gleichzeitig trifft die Verantwortung, humanitäre Folgen abzufedern, alle Akteure in der Region und die internationale Gemeinschaft. Es ist unerlässlich, Hilfsströme so zu gestalten, dass sie nicht selbst zum Geschäftsmodell der Verzweiflung werden. Darüber hinaus müsste die Öffentlichkeit über die Kosten der Evakuierung informiert werden — nicht nur als Zahl, sondern als Schicksal.

Krieg misst nicht nur in Tonnen Sprengstoff und taktischen Gewinnen; er misst sich am täglichen Preis, den Zivilisten bezahlen. Wenn das Überleben an einen Rechnungsbeleg gekoppelt ist — 17.000 Schekel (über 4.000 Euro), 1.000 Dollar in bar, oder das letzte Stück Land — dann ist die moralische Bilanz verheerend. Israel und die internationale Gemeinschaft können und müssen besser handeln: Schutz darf nicht käuflich sein. Diese Krise ist kein abstraktes Konzept, sie besteht aus Namen, Gesichtern, aus Familien, die entscheiden, ob sie fliehen oder bleiben — und ob sie, wenn sie fliehen, künftig ein Zuhause haben.

Die Evakuierungswelle aus dem nördlichen Gazastreifen ist zugleich militärische und menschliche Realität. Die Kosten, die sie aufruft, entlarven die Zerbrechlichkeit einer Gesellschaft unter Beschuss. Wer von außen zusieht, darf nicht nur die Sicherheitsaspekte zählen; er muss die ökonomische und moralische Last anerkennen und Lösungen fordern, die Menschen retten — ohne sie in wirtschaftliche Sklaverei zu treiben.


Autor: Redaktion
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Freitag, 19 September 2025

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