„Wir wollen mit euch leben“: Der Mann aus Chan Junis, der Hamas herausfordert

„Wir wollen mit euch leben“: Der Mann aus Chan Junis, der Hamas herausfordert


Ein 50-jähriger Ex-Sicherheitsmann der Palästinensischen Autonomiebehörde baut in Chan Junis eine bewaffnete Truppe auf – offen pro Zusammenarbeit mit Israel, gegen die Hamas.

„Wir wollen mit euch leben“: Der Mann aus Chan Junis, der Hamas herausfordert

Seit fast zwei Jahren tobt in Gaza ein Krieg, der allzu oft als Patt beschrieben wird: Hamas klammert sich an Macht und Geiseln, Zivilisten zahlen den Preis, internationale Akteure reden – und Israel kämpft, um die eigene Bevölkerung zu schützen und die Terrorinfrastruktur zu zerschlagen. In dieses Vakuum stößt nun eine Stimme, die in der arabischen Öffentlichkeit selten ist und in Israel aufhorchen lässt: Hossam al-Astal, 50 Jahre alt, früher in Diensten der Sicherheitsorgane der Palästinensischen Autonomiebehörde, erklärt in einem Interview mit N12 auf Hebräisch, er habe östlich von Chan Junis eine neue bewaffnete Gruppe aufgebaut – ausdrücklich gegen Hamas und „mit Verbindung zu Israel“. Das Versprechen lautet schlicht: Sicherheit statt Schutzgelder, Ordnung statt Terror, Alltag statt Angst.

Al-Astal spricht Klartext. „Ohne Verbindung zu den Israelis kann hier niemand arbeiten“, sagt er – und behauptet, seine Truppe sei binnen Wochen von vier Männern auf 150 gewachsen, mit dem Ziel, in Kürze 500 zu erreichen. Er wirbt offen um Freiwillige aus den umliegenden Dörfern, erwähnt Kizaan an-Nadschar unweit al-Mawasi, betont Versorgung mit „Essen, Strom, Wasser“ – und sendet eine Botschaft an Israelis: Man wolle „zusammen leben“, Hamas habe „den Leuten alles genommen – Geld, Essen, Leben“. Es ist das Gegen-Narrativ zur zynischen Doktrin der Hamas, die seit Jahren soziale Kontrolle, Einschüchterung und Kriegswirtschaft zur Herrschaftslogik erhoben hat.

Zwischen Hoffnung und Risiko

Wer in Gaza öffentlich gegen Hamas auftritt, riskiert sein Leben. Al-Astal weiß das – und setzt dennoch auf Sichtbarkeit. Seine Agenda ist pragmatisch: Waffenstillstand mit Terroristen hält er für Selbstbetrug; den Kampf gegen Hamas für die Grundvoraussetzung jeder zivilen Ordnung. Er grenzt sich zugleich von anderen lokalen Initiativen ab, die zuletzt in Rafah unter dem Etikett „Abu Shabab“ auftraten, aber in der Realität kaum Vertrauen gewannen, weil sie – so Al-Astals Vorwurf – früh korrumpierbar waren. Sein Kontrastangebot lautet Ordnung, Überprüfung neuer Mitglieder, Kooperation mit Sicherheitskräften, und – bemerkenswert für Gaza – eine klare hebräische Ansprache, die israelisches Sicherheitsdenken nicht dämonisiert, sondern anerkennt.

Doch es gibt harte Fragen, die man nicht wegwischen darf. Erstens: Was ist Substanz, was Symbol? Zahlen, Standorte, Ausrüstung – vieles lässt sich in Kriegszeiten nicht unabhängig verifizieren. Zweitens: Wie tragfähig sind Mikro-Strukturen ohne belastbares Regierungs- und Justizgerüst? Wer Straßen poliziert, aber keine Gerichte, keine Verwaltung, keine Schulen stützt, bleibt zwischen Miliz und Notordnung stecken. Drittens: Wie reagiert Hamas? Erfahrung lehrt: Die Terrororganisation wird jede Keimzelle alternativer Autorität brutal bekämpfen. Gerade deshalb ist die israelische Perspektive entscheidend: Sicherheit zuerst, dann schrittweise lokale Verantwortung – aber nur dort, wo Kooperation und Loyalität gegenüber einer entmilitarisierten Ordnung nachweislich bestehen.

Was Israel jetzt braucht – und was es vermeiden muss

Israel hat keinen Nutzen von Ersatz-Hamas in neuem Anstrich, sehr wohl aber von lokalen Strukturen, die das Grundprinzip akzeptieren: Keine Raketen, keine Tunnel, keine Schutzgelder, keine Schulbücher, die Juden entmenschlichen. Wenn Al-Astals Initiative mehr ist als der verständliche Schrei einer erschöpften Bevölkerung nach Normalität, verdient sie eine Chance – unter klaren Parametern:

  • Sicherheitsprimat: Jede Zusammenarbeit steht und fällt mit glaubwürdiger Entwaffnung und Nulltoleranz gegenüber Hamas-Zellen. Einmalige Erfolge genügen nicht; es braucht belastbare Routinen.

  • Transparenz und Rechenschaft: Hilfe – ja. Blankoschecks – nein. Wer Waffen und Ausrüstung erhält, muss überprüfbar handeln: Personalakten, Befehlsketten, interne Disziplin, externe Aufsicht.

  • Zivile Flankierung: Sicherheit ohne Dienstleistungen ist instabil. Strom, Wasser, Müll, Basismedizin – diese sichtbaren Verbesserungen sind der Sauerstoff jeder postterroristischen Ordnung.

  • Bildung ohne Hetze: Jede Struktur, die antisemitische Indoktrination duldet, scheitert. Lehrmaterial muss überprüft, Hasscurricula entsorgt, die nächste Generation vor der Zerstörungskraft von Märtyrerkult geschützt werden.

  • Schutz vor Infiltration: Hamas agiert adaptiv, nutzt Verwandtschaftsbande, Geldnot, Angst. Gegenspionage und mehrstufige Aufnahmeverfahren sind keine Option, sondern Pflicht.

Al-Astals hebräische Botschaft – „Wir sind nicht Hamas. Wir wollen Frieden mit euch“ – rührt an etwas, das in den letzten Jahren fast verschüttet wurde: die Idee, dass es in Gaza Menschen gibt, die kein Kalifat, keine Raketen, keine Geisel-Ökonomie wollen. Diese Menschen hatten unter Hamas keinen Raum. Wer ihnen jetzt Raum gibt, muss sie schützen – vor Rache, vor Zynismus, vor dem schnellen medialen Hype. Denn jeder gescheiterte Versuch wird vom Terror instrumentalisiert: „Seht, Zusammenarbeit mit Israel bringt nur Tod.“

Aus israelischer Sicht bleibt der Kompass klar: Sicherheit ist nicht verhandelbar, Souveränität nicht delegierbar. Aber Sicherheit ist auch mehr als Militär – sie ist die Summe kleiner Stabilitäten. Wenn eine lokale Truppe in Chan Junis tatsächlich dazu beiträgt, dass Kinder nachts schlafen, Läden öffnen, und Informationen über Terrorzellen aus den Vierteln herausfließen, dann lohnt der Blick jenseits der Schlagzeile. Der Test ist brutal einfach: Gehen Anschläge zurück? Werden Hamas-Ketten gesprengt? Kommt Hilfe an die Bevölkerung – ohne Schutzgelder und Parteifahnen?

Am Ende des Interviews sagt Al-Astal einen Satz, der nüchtern klingt und doch alles umfasst: „Wir und die Israelis sind Vettern. Ohne Frieden kann man nicht leben.“ Für Israel ist Frieden kein romantischer Begriff, sondern eine Sicherheitsarchitektur. Wer in Gaza bereit ist, diese Architektur zu tragen, muss liefern. Dann – und nur dann – verdient er Unterstützung. Hoffnung ist erlaubt. Leichtgläubigkeit nicht.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot


Sonntag, 21 September 2025

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