Letzte Chance oder leeres Papier? Hamas taktiert, Israel und die Geiseln zahlen den PreisLetzte Chance oder leeres Papier? Hamas taktiert, Israel und die Geiseln zahlen den Preis
Ägyptische Quellen nennen Trumps Papier „die letzte Chance“, Hamas spricht von „Grauzonen“ und verhandelt hinter verschlossenen Türen. Doch während Doha, Kairo und Istanbul diskutieren, droht Jerusalem die Konsequenz: ein Friedenspapier ohne Garantien bleibt eine Einladung zur Wiederholung der Gewalt.
Am 3. Oktober 2025 berichtete N12: Ägyptische Quellen übermittelten die Botschaft, Washington betrachte den vorgelegten Plan von Donald Trump als „letzte Chance“ — mit der deutlichen Androhung, dass Israel im Falle eines Scheiterns vollumfängliche militärische Operationen in Gaza führen dürfe. Gleichzeitig teilte ein ranghoher Hamas-Vertreter, Mohammed Nazzal, Al-Jazeera mit, die Bewegung nehme das Papier ernst, führe interne Beratungen und „suche den grauen Raum“ — keinen kategorischen Ausschluss, aber auch keine blinde Zustimmung. Diese Gleichzeitigkeit aus Androhung und Verhandlung ist kein Zufall; sie ist die strategische Kulisse, in der jetzt Entscheidungen fallen, die Jerusalem unmittelbar betreffen.
Der Kern des Dilemmas
Zentral sind vier Punkte: die Freilassung der Geiseln innerhalb enger Fristen; die Modalitäten einer israelischen Abzugs- und Sicherheitsregelung; die Entwaffnung bewaffneter Gruppen in Gaza; und schließlich die Konstruktion der „Tage danach“ — Governance, Kontrolle der Grenzen, Öffnung von Grenzen und Wiederaufbau. Washington setzt klare Vorgaben, Kairo warnt, dass dies die „letzte Chance“ sei; Hamas signalisiert Verhandlungsbereitschaft, will aber Änderungen. Was wie Diplomatie klingt, ist in Wahrheit ein Fenster, das sich nur einen Spalt öffnet — und hinter diesem Spalt lauern Risiken.
Für Jerusalem sind diese Risiken nicht abstrakt: Ein formeller Plan ohne schriftliche, überprüfbare Mechanismen zur Entwaffnung und ohne klare Garantien für die Rückgabe aller Geiseln wäre ein Dokument, das Zeit gewinnt — und Hamas Raum lässt. Das „graue Feld“, das Nazzal anführt, kann sich schnell in einen grauen Nebel verwandeln, in dem Vereinbarungen nur auf dem Papier bestehen, während die materielle Realität dieselbe bleibt wie zuvor: bewaffnete Infrastruktur, Waffennachschub, und eine politische Ordnung in Gaza, die Israel weiterhin als existenzielle Bedrohung erlebt.
Zwischen Kalkül und Überlebensangst
Die zögerliche Haltung von Hamas ist taktisch erklärt: Die Bewegung ist innerlich gespalten. Die politische Führung im Exil — Doha, Istanbul — balanciert zwischen der Notwendigkeit, internationale Anerkennung und Erleichterungen für die Bevölkerung zu erzielen, und der Sorge, die militärische Basis in Gaza zu entmachten. Die Kommandostrukturen im Gazastreifen, die logistisch und symbolisch eng mit dem Kampf verbunden sind, fürchten ihre eigene Marginalisierung oder gar Auslöschung. Diese inneren Gegensätze machen eine klare, verbindliche Position schwer.
Gleichzeitig betreiben regionale Akteure wie Katar, Ägypten und die Türkei aktives Vermittlungsspiel. Doch nicht alle Vermittler agieren aus Prinzipien der Neutralität: Istanbul ist, das zeigen zahlreiche Beobachtungen, ein Ort, an dem Hamas-Delegationen sich bewegen und wo politische Schutzräume existieren. Ankara unter Präsident Erdoğan nutzt diese Nähe gern als politisches Kapital — innen- wie außenpolitisch. Das macht die türkische Rolle ambivalent; sie ist Vermittlung und zugleich Schutzraum. Für Jerusalem ist das kein akademischer Streit, sondern eine konkrete Gefährdungslage: Vermittler, die zugleich Schutz gewähren, unterminieren die Verifizierbarkeit von Vereinbarungen.
Die Falle der „letzten Chance“
Wenn Ägypten und Washington den Plan als „letzte Chance“ deklarieren, dann erhöht das den Druck auf Hamas — und auf Israel. Dieser rhetorische Hebel kann ein zweischneidiges Schwert sein. Auf der einen Seite zwingt Druck zu Entscheidungen; auf der anderen Seite beschleunigt er Eskalationsdynamiken, wenn eine Partei öffentlich „Nein“ sagt. Israel, das in Jerusalem seine Verteidigungsentscheidungen treffen muss, steht vor einer Wahl: ein risikoreiches Abwarten mit dem Papier — oder ein militärisches Vorgehen mit unabsehbaren Folgen. Die Gefährlichkeit des Momentums besteht darin, dass die Rhetorik der Ultimaten die Zeit für sorgfältige, schriftlich fixierte Garantien verkürzt.
Ein weiterer Gefahrenpunkt: Sollte Hamas teilweise akzeptieren, aber in zentralen sicherheitsrelevanten Punkten Zugeständnisse verweigern — etwa bei Entwaffnung oder der vollständigen Rückgabe aller Geiseln binnen klarer Fristen — dann stünde Jerusalem am Ende mit einem formal verabschiedeten Plan, dessen Umsetzung sich als Scheinlösung erweist. Die politische Hektik würde die militärische Realität nicht beseitigen: Tunnel, Waffenlager und Kommandostrukturen blieben intakt.
Jerusalem muss die Linie ziehen — hart und transparent
Für Jerusalem ist die Lehre klar: Verhandlung ja, aber niemals um den Preis fehlender Verifizierbarkeit. Drei Forderungen müssen unverrückbar sein: erstens schriftlich fixierte, überprüfbare Zeitpläne für die vollständige Rückgabe der Geiseln; zweitens detaillierte, international überwachte Prozeduren zur Entwaffnung inklusive Drittstaaten-Inspektionen und klarer Sanktionsmechanismen bei Verletzungen; drittens unmissverständliche Regelungen zur Kontrolle der Grenzübergänge und der Wiederaufbau-Mittel, damit humanitäre Hilfe nicht zur Tarnung für Bewaffnung umfunktioniert werden kann. Alles andere wäre politisches Wunschdenken.
Zugleich muss Jerusalem seine diplomatischen Mittel zielgerichtet einsetzen: Die Beweisführung über Aktivitäten und Schutzräume, die in Istanbul oder anderswo bestehen, gehört dokumentiert und international vorgelegt. Vermittler, die zugleich Protektorat bieten, dürfen nicht automatisch die Rolle der alleinigen Garanten übernehmen. Israel (Jerusalem) muss klar benennen, welche Akteure als glaubwürdige, neutrale Überwacher gelten und welche nicht.
Ein mögliches Ergebnis — und die toxische Alternative
Das wahrscheinlichste Szenario ist ein teilweises Abkommen: Hamas akzeptiert Kernpunkte unter Vorbehalt, Israel räumt Zugeständnisse ein, Vermittler erhalten zusätzliche Aufgaben. Kurzfristig mag das Ruhe bringen. Langfristig droht jedoch die toxische Alternative: ein Papier, das den Schein des Friedens wahrt, während Hamas die Zeit nutzt, um Strukturen neu zu ordnen. Dann hätten die „letzten Chancen“ der Diplomatie nur neuen Raum für spätere Konflikte geschaffen.
Wer Jerusalem liebt, muss deshalb fordern: klare Mechanismen, harte Verifikationsschritte, unabhängige Überwachungsinstanzen und die Bereitschaft, ein Scheitern sofort sanktioniert zu sehen. Diplomatie ohne Durchsetzbarkeit ist eine Einladung zur Wiederholung von Gewalt.
Mohammed Nazzals Suche nach „Grauzonen“ ist kein intellektuelles Spiel, sondern ein Machtpoker, dessen Einsatz das Leben Tausender bestimmt. Ägyptens Warnung, Washingtons Ultimaten und die schwankende Position von Vermittlern bilden eine explosive Mischung. Jerusalem darf nicht die Rechnung übernehmen, wenn die Welt den Preis eines halbherzigen Kompromisses zahlt. Wer Frieden will, muss ihn sichern — nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität. Und wer mit Hamas verhandelt, darf nicht zulassen, dass die Verhandlungen zur Maskerade werden, hinter der die Strukturen des Terrors überdauern.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Freitag, 03 Oktober 2025