Im Stillstand der Front: Israels Soldaten zwischen Geduld und Gefahr

Im Stillstand der Front: Israels Soldaten zwischen Geduld und Gefahr


Während Israel auf die Antwort der Hamas wartet, stehen die Soldaten der IDF in der gefährlichsten Phase des Krieges – unbeweglich, sichtbar und verwundbar. Der Waffenstillstand ist noch nicht da, doch die Bedrohung wächst mit jeder Stunde.

Im Stillstand der Front: Israels Soldaten zwischen Geduld und Gefahr

Die Nacht, in der Donald Trump die Karte der israelischen Teilrückzüge veröffentlichte, markiert für viele Soldaten in Gaza nicht Erleichterung, sondern Alarm. Denn was in Washington nach diplomatischem Fortschritt aussieht, bedeutet für die Männer und Frauen der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) tagelangen Stillstand in einem der gefährlichsten Einsatzgebiete der Welt.

Nach Monaten ununterbrochener Kämpfe, nach Operationen in Khan Yunis, Rafiach, Sajaiya und im Nordsektor der Enklave, heißt der neue Befehl: nicht mehr vorrücken, nicht mehr feuern, keine Initiativen. Die Anweisung aus Jerusalem lautet, auf defensive Positionen überzugehen – eine militärische Zwangspause, die strategisch begründet ist, aber taktisch tödlich sein kann.

Denn Gaza bleibt, auch in Momenten relativer Ruhe, ein Minenfeld. Hunderte verdeckte Tunnel, improvisierte Sprengfallen und bewaffnete Zellen lauern in der Nähe israelischer Stellungen. Wenn Armeen sich nicht bewegen, bewegt sich der Feind. Das weiß jede Generation israelischer Kommandeure. Und genau das ist die aktuelle Sorge: Dass Hamas die entstandene Lücke zwischen Diplomatie und Realität nutzt, um anzugreifen – nicht frontal, sondern hinterhältig, mit Sprengsätzen, Scharfschützen oder gar Entführungen.

Seit Freitag gilt der Befehl zur statischen Verteidigung. Die Soldaten – reguläre und Reserveeinheiten gleichermaßen – verharren in Stellungen, die nur provisorisch gesichert sind. Viele liegen in zerstörten Häusern oder unter Schutthügeln, andere in improvisierten Lagern entlang des sogenannten Philadelphi-Korridors. Sie schlafen in Schichten, essen hastig, wachen auf jeden Laut. Niemand weiß, ob die Waffenruhe tatsächlich kommt oder ob Hamas im Schatten der Ungewissheit zuschlagen wird.

Die IDF bleibt in rund 70 Prozent des Gazastreifens präsent, vor allem im Süden und im nördlichen Sektor – jene Gebiete, die während der Operation „Merkavot Gidon A“ gesichert wurden. Offiziell ist das die „erste Phase der Rückzugsvereinbarung“. In Wahrheit ist es ein Zustand zwischen Krieg und Frieden: zu wenig Feuer, um den Feind zu brechen, zu viel Risiko, um zur Ruhe zu kommen.

Ein Bataillonskommandeur, dessen Einheit derzeit in Sajaiya liegt, beschrieb die Lage so: „Wir dürfen nicht angreifen, aber wir wissen, dass sie uns beobachten. Wenn wir still sind, glauben sie, wir sind schwach.“ Diese psychologische Spannung frisst sich tief in die Moral der Truppe. Stillstand, das wissen erfahrene Offiziere, ist für Soldaten oft schwerer zu ertragen als Kampf. Denn im Kampf hat man Initiative – im Stillstand nur Angst.

Die israelische Luftwaffe, sonst Garant für Kontrolle und Sicherheit, operiert derzeit fast ausschließlich in Defensivmodus. Sie überwacht, warnt, greift nur bei unmittelbarer Gefahr ein. Das schützt, aber es lähmt. Denn selbst die modernste Technologie kann nicht verhindern, dass ein einzelner Terrorist aus einem Tunnel auftaucht und den Krieg wieder entfacht.

Der Befehl aus den Vereinigten Staaten, militärische Aktionen einzustellen, ist Teil der laufenden Geiselverhandlungen. Washington drängt auf eine Feuerpause, Jerusalem stimmt zu – doch Hamas schweigt. Dieses Schweigen ist gefährlicher als jede Rakete. Denn solange die Terrororganisation keine Antwort gibt, bleibt Israels Armee in einer Falle: weder vorwärts noch rückwärts.

Die Kommandeure wissen: Jeder Tag in diesem Zustand erhöht die Gefahr. Gaza ist kein Ort, an dem man einfach „wartet“. Es ist ein dicht bebautes Labyrinth aus Beton, Misstrauen und Tod. Jede Sekunde Stillstand kann eine Einladung für den Feind sein. Die Erfahrung aus früheren Konflikten – vom Libanonkrieg 2006 bis zur „Operation Protective Edge“ – zeigt, dass genau solche Zwischenphasen die meisten Opfer fordern.

Und dennoch, trotz der Gefahr, bleibt die Disziplin hoch. Die israelischen Soldaten kennen den Preis von Nachlässigkeit. Sie wissen, dass ein einziger unbedachter Schritt Leben kosten kann – und dass der Schutz ihrer Kameraden Vorrang hat vor Müdigkeit, Angst oder Wut. In dieser Selbstbeherrschung liegt die wahre Stärke Israels.

Die Welt blickt auf die Karte von Trump, auf Linien und Farben. Aber für die Soldaten im Sand von Sajaiya oder Rafiach sind diese Linien nicht Diplomatie – sie sind Realität. Jede Koordinate bedeutet ein Haus, eine Straße, eine Gefahr. Der politische Stillstand, den Jerusalem in Kauf nimmt, um eine Geiselfreilassung zu ermöglichen, ist für sie kein symbolischer Akt, sondern eine Prüfung an der Grenze zwischen Leben und Tod.

Ob Hamas den Vorschlag akzeptiert, weiß niemand. Doch solange die Antwort ausbleibt, steht Israels Armee wie ein Schild im Sturm: unbeweglich, angespannt, bereit. Es ist der gefährlichste Moment eines jeden Krieges – jener, in dem Waffen schweigen, aber der Feind noch atmet.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: IDF


Sonntag, 05 Oktober 2025

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