Israels Hoffnung auf die Rückkehr aller Geiseln und das riskante Spiel zwischen Trump, Netanyahu und der Hamas

Israels Hoffnung auf die Rückkehr aller Geiseln und das riskante Spiel zwischen Trump, Netanyahu und der Hamas


Donald Trump nennt es „Bibis Sieg“, Benjamin Netanyahu spricht von „Gottes Hilfe“ – und die israelischen Soldaten halten die Stellung in Gaza. Doch die geplante Freilassung aller Geiseln hängt an einem fragilen Faden aus Verhandlungen, Machtinteressen und Waffenstillstandsillusionen.

Israels Hoffnung auf die Rückkehr aller Geiseln und das riskante Spiel zwischen Trump, Netanyahu und der Hamas

In Jerusalem herrscht eine seltene Mischung aus Hoffnung und Anspannung. Premierminister Benjamin Netanyahu sprach am Samstag von einem „sehr großen Erfolg“, der Israel bevorstehen könnte: der Rückkehr aller Geiseln aus dem Gazastreifen – womöglich schon in den kommenden Tagen. Der Zeitpunkt ist symbolisch gewählt. Mit Beginn des Laubhüttenfestes Sukkot, einem der freudigsten Feste im jüdischen Kalender, soll ein Schritt erfolgen, der so viel Leid beenden könnte. Und doch: die Zuversicht bleibt vorsichtig.

Der Rahmen ist Teil eines umfassenden Plans des US-Präsidenten Donald Trump zur Beendigung des Gaza-Krieges. Er sieht in der geplanten Geiselübergabe die „erste Phase eines historischen Abkommens“ – und nennt sie zugleich „Bibis Sieg“. In gewohnt selbstbewusster Manier erklärte Trump: „Ich habe Bibi gesagt: Das ist deine Chance auf den Sieg. Du hast keine Wahl.“ Eine Bemerkung, die zwischen Freundschaftsgeste und politischer Erpressung schwankt.

Nach Monaten des Blutvergießens soll die Waffen nun schweigen. Israel hat seine Luftschläge in der Enklave vorübergehend ausgesetzt, um die Umsetzung des amerikanischen Plans zu ermöglichen. Trump lobte Jerusalem öffentlich dafür, warnte aber gleichzeitig die Hamas: Jede Verzögerung, jedes Zögern werde „das Ende des Deals“ bedeuten. „Wenn Hamas bestätigt, tritt der Waffenstillstand SOFORT in Kraft“, schrieb der Präsident auf seiner Plattform Truth Social.

Nach dem von Trump veröffentlichten Lageplan soll die IDF in rund 70 Prozent des Gazastreifens verbleiben – exakt jenen Gebieten, die sie bereits vor der Offensive in Gaza-Stadt kontrollierte. Dazu gehören Rafah und der Philadelphi-Korridor entlang der ägyptischen Grenze, große Teile von Khan Younis sowie ausgedehnte Sektoren im Norden, darunter Beit Hanoun und Sajaiya. Der Rest – so der Plan – soll in späteren Phasen überprüft und gegebenenfalls neu verhandelt werden.

Netanyahu betont, dass die Freilassung aller Geiseln – sowohl der Lebenden als auch der Getöteten – ohne einen vollständigen Rückzug aus Gaza erfolgen könne. Eine Position, die nicht nur militärische, sondern auch moralische Bedeutung hat: Israel will die Rückkehr seiner Menschen erzwingen, ohne den Terroristen der Hamas den symbolischen Sieg eines Abzugs zu schenken. „Mit Gottes Hilfe wird es sehr bald geschehen“, sagte Netanyahu.

Gleichzeitig kündigte der Premierminister an, dass Israels Unterhändler nach Kairo reisen, um „die technischen Details“ der Freilassung festzulegen. Das Ziel: ein Abschluss der Verhandlungen binnen weniger Tage. In dieser Delegation sitzen Strategieminister Ron Dermer, Geiselbeauftragter Gal Hirsch, Netanyahu-Berater Ophir Falk sowie hohe Vertreter von Mossad, IDF und Schin Bet – Menschen, die seit Monaten mit derselben Nüchternheit verhandeln, mit der sie Schmerz ertragen mussten.

In der ägyptischen Hauptstadt sollen am Montag Delegationen Israels, der Hamas und Katars zusammentreffen. Auch Jared Kushner und Trumps Nahostgesandter Steve Witkoff werden dort erwartet. Beide gelten als Architekten des amerikanischen Plans. „Sie kommen nicht, um zu spielen“, erklärte Netanyahu. „Erst die Geiseln, dann der Rest.“

Doch hinter den Kulissen bleibt die Lage heikel. Nach Informationen arabischer Vermittler, die dem Wall Street Journal vorliegen, ist die Hamas intern tief gespalten. Während ihr Verhandlungsführer Khalil al-Hayya und Teile der politischen Führung außerhalb Gazas dem Plan grundsätzlich zustimmen, weigern sich mehrere Kommandeure im Innern der Enklave, auf die vollständige Entwaffnung einzugehen. Besonders die jüngeren Kämpfer, die Familienmitglieder im Krieg verloren haben, sollen nicht bereit sein, ihre Waffen niederzulegen.

Der Plan, in seiner zweiten Phase eine „demilitarisierte“ Gaza-Zone zu schaffen, ist somit alles andere als gesichert. Netanyahu machte deutlich, dass Israel – falls die Entwaffnung scheitere – notfalls militärisch handeln werde: „Es wird geschehen, entweder diplomatisch nach dem Trump-Plan – oder militärisch, durch uns.“

Diese Worte sind nicht als Drohung gedacht, sondern als Erinnerung: Israels Stärke besteht darin, Verhandlungen zu führen, ohne die Hand am Abzug zu lösen. Das Vertrauen in Trumps Vermittlung ist real, doch die Geschichte des Nahen Ostens lehrt, dass jedes Friedensversprechen nur so stark ist wie seine Einhaltung auf dem Boden.

Für Israel steht mehr auf dem Spiel als ein politischer Erfolg. Es geht um die Wiederherstellung von Vertrauen – in die Regierung, in die Armee, in den Sinn des Kampfes. 207 Geiseln sind bereits zurückgekehrt. Dutzende weitere warten in Kellern, Tunneln und Verstecken, während ihre Familien in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem zwischen Hoffnung und Verzweiflung leben.

In Tel Avivs „Hostages Square“ fordern Tausende die Umsetzung des Deals – nicht aus politischem Kalkül, sondern aus Menschlichkeit. „Bringt sie heim, alle“, steht auf Bannern, die im Abendwind flattern. Diese Stimmen erinnern daran, worum es am Ende wirklich geht: nicht um Territorium, nicht um Prestige, sondern um Leben.

Doch selbst wenn die Verhandlungen gelingen, bleibt Israels Aufgabe gewaltig. Ein entmilitarisiertes Gaza, ein geschwächtes Hamas-Regime, eine garantierte Sicherheit für die Zukunft – das sind Versprechen, die noch nicht eingelöst sind. Trumps Plan mag die Richtung weisen, doch die Verantwortung bleibt in Jerusalem.

Für Netanyahu wäre eine vollständige Geiselfreilassung der größte moralische Triumph seiner Amtszeit – und für Israel der erste Atemzug nach einem Jahr des Schreckens. Doch noch steht der Satz „mit Gottes Hilfe“ über allem. Zwischen Diplomatie und Gefahr, zwischen Politik und Schicksal entscheidet sich in diesen Tagen, ob Israels Hoffnung Wirklichkeit wird – oder erneut zur Geduldprobe einer Nation.


Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: GPO


Sonntag, 05 Oktober 2025

haOlam via paypal unterstützen


Hinweis: Sie benötigen kein PayPal-Konto. Klicken Sie im nächsten Schritt einfach auf „Mit Debit- oder Kreditkarte zahlen“, um per Lastschrift oder Kreditkarte zu unterstützen.
empfohlene Artikel
weitere Artikel von: Bernd Geiger

haOlam.de – Gemeinsam in die Zukunft

Nach dem Tod des Herausgebers führen wir haOlam.de weiter. Für dieses umfangreiche Projekt suchen wir finanzielle Unterstützer sowie Anregungen und Hinweise zu technischen Fehlern während der laufenden Überarbeitung.

Kontakt: redaktion@haolam.de

Danke für eure Unterstützung!


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage