Die Stunde danach: Wie es in Gaza weitergeht — viele Versprechen, viele offene FragenDie Stunde danach: Wie es in Gaza weitergeht — viele Versprechen, viele offene Fragen
Der erste Teil des Trump-Plans bringt die Rückkehr der Geiseln. Was danach kommt — Stabilisierung, Entwaffnung, Verwaltung — ist weit weniger sicher. Israel besteht auf Sicherheit; die Umsetzung aber hängt an fremden Truppen, zerstrittenen palästinensischen Kräften und an der Bereitschaft der internationalen Partner.
Der aktuelle Friedensmechanismus, wie er in Scharm el-Scheich geschnürt wurde, hat ein klares, dringliches Ziel erfüllt: die Heimkehr der Geiseln. Doch die Schritte, die nun folgen sollen — Entwaffnung der militanten Strukturen in Gaza, Aufbau einer Übergangsverwaltung, Stationierung eines internationalen Stabilisierungskorps und der schrittweise Wiederaufbau — sind komplex. Die Worte auf dem Papier sind detailliert; die Realität vor Ort wird es erst zeigen. Israel darf bei allem, was jetzt folgt, nicht aus dem Blick verlieren, worauf es ankommt: Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger.
Die heikelsten Fragen sind unmittelbar praktisch: Wer übernimmt die Sicherheit in den Gebieten, die Israel räumt? Wer entwaffnet die zahlreichen Milizen? Wer garantiert, dass die humanitäre Hilfe wirklich die Zivilbevölkerung erreicht und nicht in die Hände der Terrororganisationen fließt?
Wer sichert Gaza — und mit welcher Legitimation?
Der Plan sieht ein internationales Stabilisierungskorps (ISF) vor, das nach und nach in die von Israel geräumten Zonen einrücken soll. Doch bereits die Zusammensetzung dieses Korps ist umstritten. Ägypten hat erklärt, Truppen nicht zu stellen; andere Staaten, die im Gespräch sind — die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Marokko — signalisierten Bereitschaft, ohne jedoch verbindliche Zusagen vorzuweisen. Indonesien wird vermutlich nur eine begrenzte Rolle spielen. Aus Europa berichten einzelne Staaten Bereitschaft zu logistischer oder polizeilicher Mitwirkung, doch ein tatsächlicher Bündelungskern bleibt aus.
Für Israel ist entscheidend: Wer trägt die Verantwortung vor Ort? Nur eine glaubwürdige, schnell handlungsfähige Kraft kann verhindern, dass Waffenbestände und Netzwerke wiederaufgebaut werden. Allein die Idee einer multinationalen Präsenz ohne klare Führungsstruktur birgt die Gefahr von Machtvakuum und örtlicher Fragmentierung.
Die Übergangsverwaltung — Tony Blairs Konzept und die Hürden
Die Vorstellung einer extern beaufsichtigten Übergangsverwaltung, wie sie in Teilen dem Vorschlag Tony Blairs entspricht, klingt auf dem Papier plausibel: Experten zur Wiederherstellung staatlicher Dienste, Aufsicht über Reformen, Verwaltung der Hilfslieferungen. Doch praktisch stoßen solche Konstrukte auf Misstrauen. Wer soll die Verwaltung führen? Palästinensische Kräfte aus Ramallah? Vertreter lokaler Zivilgesellschaft? Internationale Technokraten? Jede Variante hat Vor- und Nachteile — und jede wird Widerstand provozieren.
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter Mahmoud Abbas behauptet, Reformen begonnen zu haben; ob diese ausreichen, um direkte Verantwortung zu übernehmen, ist offen. Gleichzeitig wird jegliche zu starke internationale Präsenz von Teilen der Bevölkerung als Fremdherrschaft empfunden — das Risiko von Unruhen ist real. Eine Übergangsverwaltung braucht Legitimität in der Bevölkerung, Durchsetzungsfähigkeit gegen militante Gruppen und gleichzeitig Rückhalt in der internationalen Gemeinschaft. Das ist eine seltene Kombination.
Entwaffnung von Hamas und anderen Milizen — wer macht es?
Die zentrale Sicherheitsfrage ist simpel und brutal zugleich: Wer nimmt Hamas und den zahlreichen verbündeten und konkurrierenden Milizen die Waffen? Auf dem Papier heißt es, die militärischen Kapazitäten der Organisationen seien zu zerlegen. In der Praxis aber existieren in Gaza bewaffnete Netzwerke, die teils lokal verankert, teils transnational verknüpft sind. Eine Demilitarisierung wird nur gelingen, wenn sie verlässlich überwacht, kontrolliert und notfalls durchsetzbar ist.
Israel ist in dieser Hinsicht nicht bereit, seine Sicherheitsgarantien preiszugeben. Das Land wird die Entwaffnung nicht einem bloß symbolischen Prozess überlassen. Wenn internationale Kräfte nicht schnell und effektiv handeln, wird Israel reagieren — das hat die Politik klar gemacht. Gleichzeitig ist eine dauerhafte Präsenz israelischer Kampfverbände in dicht besiedeltem urbanem Raum kein langfristiges Konzept für Wiederaufbau und Normalität.
Logistik, Hilfe, Wiederaufbau — viel hängt an Rafah und an Vertrauen
Der Fahrplan sieht 600 Lkw Hilfsgüter täglich vor, die Infrastruktur des Stromwerks, Wasser- und Abwassersysteme sowie Krankenhäuser sollen rasch wieder funktionieren. Die Wiederherstellung ist möglich — technisch. Politisch und logistisc h ist sie fragil. Der Rafah-Übergang, die Koordination mit Ägypten, die Rolle der UNO und die Präsenz der EUBAM-Mission sind Schlüsselfaktoren. Solange Kontrollmechanismen fehlen, droht Hilfe zu versickern — in anderen Worten: ohne Kontrolle keine wirksame Stabilisierung.
Israel muss Sicherheit behalten — und der Rest muss folgen
Der Trump-Plan kann eine reale Chance eröffnen, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: eine verlässliche, schnell einsatzfähige Stabilisierungstruppe mit klarer Führungsstruktur; eine Übergangsverwaltung mit legitimer Grundlage und Kontrollmechanismen gegen Korruption; und ein glaubwürdiger, durchsetzbarer Mechanismus zur Entwaffnung der militanten Netzwerke. Fehlt eine dieser Komponenten, droht das Konzept zu scheitern — nicht, weil Israel es nicht möchte, sondern weil die Realität vor Ort die besten Absichten unterläuft.
Israel hat das Recht und die Pflicht, seine Sicherheit zu wahren. Gleichzeitig verlangt die Gegenwart pragmatische Lösungen: internationale Partner müssen mehr als Absichtserklärungen liefern; palästinensische Führungsschichten müssen Reformen glaubhaft machen; die Übergangsverwaltung muss akzeptiert werden — vor allem von der Bevölkerung in Gaza. Nur so kann aus der Atempause kein neuer Anfang von Gewalt werden, sondern der Beginn schrittweiser Normalisierung.
Ob und wie das gelingt, entscheidet sich in den nächsten Wochen und Monaten — in den Übergabepunkten, in den Gefängnissen, an den Grenzöffnungen, in den Koordinationszentren. Israel darf da nicht passiv sein. Sicherheit ist nicht nur militärisch: Sie ist die Bedingung für alles, was danach kommen soll.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle:
Samstag, 11 Oktober 2025