Gazas Technokraten werben um Trump – und schweigen zur Entwaffnung der Hamas“

Gazas Technokraten werben um Trump – und schweigen zur Entwaffnung der Hamas“


Eine Gruppe zivilgesellschaftlicher Experten in Gaza schickt ein Signal an Washington: Wir wollen beim Wiederaufbau helfen – aber nicht die Verantwortung für Sicherheit übernehmen. Ein Angebot mit Chancen, Risiken und einer brennenden offenen Frage: Wer soll nach der Waffenruhe die Gewaltmonopole brechen?

Gazas Technokraten werben um Trump – und schweigen zur Entwaffnung der Hamas“

Im Schatten des fragilen Waffenstillstands meldet sich aus Gaza eine Stimme, die in Israel und im Westen gleichermaßen Aufmerksamkeit verdient — und Misstrauen weckt. Laut einem exklusiven Interview von N12 hat Iyad Abu Ramadan, Vorsitzender der Handelskammer in Gaza, die Initiative einer Gruppe von Technokraten und Humanitärexperten vorgestellt, die sich als Berater und Koordinatoren für den Wiederaufbau anbieten. In einem an US-Präsident Donald Trump gerichteten Schreiben laden sie ihn ein, die Lage vor Ort zu prüfen und bei der Rückkehr zu normalem Leben zu helfen.

Das klingt auf den ersten Blick wie ein konstruktiver Vorstoß: Öffnung der Übergänge, Wiederaufbau von Universitäten, Schaffung von Arbeitsplätzen, Vernetzung mit internationalen Universitäten — all das sei nötig, um Hoffnung zu stiften und die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Doch kaum einer der Punkte lässt sich ohne einen Kernvorbehalt umsetzen: die Frage nach der Entwaffnung der Hamas.

Hoffnung ohne Garantien

Abu Ramadan betont wiederholt, seine Bewegung verstehe sich nicht als Ersatz für legitime Autoritäten. Die Technokraten wollten „nicht die Macht übernehmen“, sondern als fachliche Stütze dienen, Entscheidungen erleichtern und die Infrastruktur wiederaufbauen. Sie fordern ausdrücklich, dass die Zukunft Gazas „unter der Leitung palästinenscher Institutionen“ stattfinde — ein Lippenbekenntnis an die nationale Souveränität, das zugleich den Status quo der Machtverhältnisse unangetastet lässt.

Und genau hier liegt der Haken: Auf die Frage, ob die Hamas entwaffnet werde, antwortete Abu Ramadan offen — er wisse es nicht. Das ist eine ehrliche, aber brisante Aussage. Denn Wiederaufbau und nachhaltige Stabilität setzen voraus, dass nicht dieselben Gewalttäter die Kontrolle über das Territorium behalten, die zuvor Massenmorde und Entführungen verübt haben. Ohne einen funktionierenden Mechanismus zur Entwaffnung besteht die Gefahr, dass Hilfsgüter, Löhne und neue Infrastrukturen erneut politisch instrumentalisiert werden.

Ein Brief an Trump — Symbolik und Strategie

Das an Präsident Trump adressierte Schreiben ist mehr als ein logistischer Hilferuf; es ist symbolischer Akt und strategisches Angebot zugleich. Die Technokraten preisen die Notwendigkeit, „die Erholung auf Würde und Gerechtigkeit zu gründen“ und fordern ein Ende der Periode reinen Nothelfens hin zu nachhaltiger Entwicklung. Sie bitten um internationale Unterstützung — und wollen dabei sichtbar an der Gestaltung beteiligt sein.

Für Washington ist das ein doppelter Anreiz: einerseits die Chance, konkrete Projekte zu finanzieren, die Leid lindern und Radikalisierung dämpfen könnten; andererseits die politische Komplikation, dass jede Unterstützung, die nicht mit Sicherheitsgarantien verknüpft ist, die bestehende Machtstruktur in Gaza stabilisieren könnte. Die Einladung an Trump selbst ist taktisch klug: Sie zielt auf internationale Legitimität. Für Israel bedeutet das Schreiben eine weitere Lagevariable, die in langfristige Planungen einfließen muss.

Risiken der Instrumentalisierung

Die N12-Berichte deuten darauf hin, dass die Technokraten im Gazastreifen das Überleben ihrer Arbeit vom Aufheben des wirtschaftlichen Stillstands abhängig machen — und das ist nachvollziehbar. Aber Politik und Entwicklung laufen dort selten unabhängig von Gewaltstrukturen. Ohne klare Mechanismen zur Demilitarisierung droht die Zivilgesellschaft, zum Puffer oder zur Tarnung für bewaffnete Gruppen zu werden. Das ist kein abstraktes Szenario: Erfahrungen aus vormals instabilen Kontexten zeigen, wie rasch humanitäre Ressourcen in die Hände politischer Akteure fließen können, die sie umfunktionieren.

Zudem ist die politische Verankerung fraglich: Wer spricht wirklich für die Bevölkerung Gazas? Eine kleine Gruppe von Fachleuten, so kompetent sie sein mag, ersetzt nicht demokratische Legitimation. Ihre Forderung nach palästinensischer Führung ist nobel — doch wer garantiert, dass diese Führung nicht länger in der Hand der Gewaltakteure verbleibt?

Die internationale Gemeinschaft steht vor einem Dilemma: Hilfe ist zwingend, doch sie darf nicht zur Stütze einer bewaffneten Organisation werden. Drei Prinzipien müssen gelten: vollständige Transparenz bei Hilfsflüssen; unabhängige Kontrollmechanismen an den Übergängen; und eine klare Strategie, wie Sicherheit und zivile Verwaltung voneinander getrennt werden können. Jede Initiative, die den Wiederaufbau beschleunigt, muss daher zugleich flankiert werden von Maßnahmen, die den Waffenbesitz und militärische Strukturen reduzieren — sei es durch regionale Garantien, internationale Polizei- und Aufsichtsmechanismen oder durch Verifizierungsschritte, die mit Hilfszahlungen verknüpft sind.

Die Technokraten aus Gaza bieten ein Angebot an, das ernste Chancen enthält — und zugleich ungelöste Gefahren. Ihre Einladung an Trump ist ein Weckruf: Die internationale Politik muss jetzt entscheiden, ob sie den Wiederaufbau ernsthaft fördern will — und wenn ja, zu welchen Bedingungen. Wer in Gaza baut, ohne die Strukturen der Gewalt zu durchtrennen, baut auf Sand. Und wer das zulässt, riskiert, dass die nächste Gewaltwelle nicht Fernsehbilder, sondern Menschenleben fordert.


Autor: Redaktion
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Dienstag, 21 Oktober 2025

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