Vom Popstar zum Terroristen – der tiefe Fall des libanesischen Sängers Fadel ShakerVom Popstar zum Terroristen – der tiefe Fall des libanesischen Sängers Fadel Shaker
Einst war er ein Liebling der arabischen Popkultur, gefeiert auf den größten Bühnen Beiruts. Heute steht er als mutmaßlicher Terrorist vor Gericht. Die Geschichte von Fadel Shaker erzählt vom Absturz eines Künstlers, der sich vom Symbol des Lebensgefühls im Libanon zum Sprachrohr religiöser Gewalt verwandelte.
Noch vor zwanzig Jahren galt Fadel Shaker als Symbol des modernen Libanon: charmant, emotional, mit Liedern über Liebe, Sehnsucht und Versöhnung. Seine Stimme füllte Konzertsäle, seine Platten verkauften sich millionenfach in der arabischen Welt. Doch dann kam die politische und religiöse Wende – und aus dem Sänger wurde ein Dschihadist.
Im Jahr 2013 kämpfte Shaker Seite an Seite mit einer militanten sunnitischen Gruppe gegen die libanesische Armee. In den blutigen Auseinandersetzungen in der Stadt Sidon starben 18 libanesische Soldaten. Für viele war es ein Schock: Der beliebte Musiker, der einst über Frieden sang, rief nun öffentlich dazu auf, Soldaten zu töten.
Nach den Kämpfen tauchte Shaker unter. Er versteckte sich im palästinensischen Flüchtlingslager Ain al-Hilweh bei Sidon – einem Ort, der seit Jahrzehnten als Rückzugsraum für bewaffnete Gruppen gilt. Von dort aus veröffentlichte er immer wieder Videos und neue Songs, in denen er sich als Opfer einer „schiitischen Verschwörung“ darstellte.
Seine früheren Fans reagierten mit Entsetzen. Der Sänger, der einst für Liebe stand, verbreitete plötzlich Hass – und beschimpfte die libanesische Armee als „Hunde und Schweine“. In einem Video prahlte er sogar, zwei Leichen von Soldaten in seiner Gewalt zu haben.
Im Jahr 2020 wurde Shaker in Abwesenheit zu 22 Jahren Haft verurteilt – wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Anstiftung zur Gewalt. Doch nun, mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Flucht, hat er sich freiwillig den Behörden gestellt.
Nach Angaben libanesischer Medien geschah die Selbststellung im Rahmen eines geheimen Abkommens: Im Gegenzug für seine Kooperation wird Shaker nicht mehr wegen Terrorismus angeklagt, sondern lediglich wegen „krimineller Handlungen gegen den Staat“. Seine Strafe könnte dadurch deutlich reduziert werden.
Am Mittwoch erschien der heute 56-Jährige erstmals wieder öffentlich vor Gericht. Grauhaarig, erschöpft, aber gefasst – ein gebrochener Mann, der einst Millionen zum Träumen brachte.
Fadel Shakers Fall ist mehr als eine persönliche Tragödie. Er steht für die Zerreißprobe einer Nation, die seit Jahrzehnten zwischen Religion, Politik und Identität schwankt. Der Libanon – einst die kulturelle Wiege des arabischen Pop – ist längst ein Land, in dem Künstler zu Märtyrern werden und Religion zur Waffe.
Der Imam, unter dessen Einfluss Shaker sich radikalisierte – Scheich Ahmad al-Yassir, ein militanter sunnitischer Prediger – wurde bereits 2017 zum Tode verurteilt, doch die Strafe später aus politischen Gründen auf 20 Jahre Haft reduziert. Der Grund: Die libanesische Regierung fürchtete eine neue Welle sektiererischer Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten.
Trotz seiner Flucht und der Haftstrafe blieb Shakers Stimme in Teilen der arabischen Welt populär. Einige seiner alten Liebeslieder laufen bis heute in Radios, andere neue Stücke kursieren auf YouTube – aufgenommen aus seinem Versteck.
Seine Songs, einst Sinnbild für ein freies, modernes Beirut, klingen heute wie Botschaften aus einer zerrissenen Seele. Manche sehen in ihm einen Täter, andere ein Opfer der Radikalisierung, die ganze Regionen überrollt hat.
Der Prozess gegen Fadel Shaker ist symbolisch: Er zeigt, wie tief der libanesische Staat gespalten ist – zwischen Sehnsucht nach Ordnung und dem politischen Kalkül, Extremisten nicht zu hart anzufassen, um keine neuen Konflikte zu entfachen.
Für viele Libanesen aber ist Shaker ein Mahnmal dafür, wie schnell Kunst und Kultur in den Sog des Fanatismus geraten können, wenn Gesellschaften ihre Freiheit verlieren.
Ob das Gericht Milde oder Härte zeigt, wird kaum noch etwas an seiner Biografie ändern.
Der Popstar ist längst Geschichte. Zurück bleibt ein Mann, der zwischen zwei Welten gefangen ist – und ein Land, das sich selbst im Spiegel seiner Künstler nicht mehr erkennt.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Ahmed Zayer - originally posted to Flickr as Fadhel Shaker, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10747313
Freitag, 24 Oktober 2025