Selbstreflexion und Streit im Zionismus: Yair Netanyahus Ernennung sorgt für Debatte im WeltzionistenkongressSelbstreflexion und Streit im Zionismus: Yair Netanyahus Ernennung sorgt für Debatte im Weltzionistenkongress 
Was als symbolischer Moment der Erneuerung begann, entwickelte sich zu einer leidenschaftlichen Diskussion über Macht, Verantwortung und Zukunft des Zionismus. Präsident Herzog rief zu Einheit auf – doch gerade die Spannungen zeigen, dass der Zionismus lebendig bleibt. 
 
  Mit großem Pathos und hohen Erwartungen begann am Dienstagabend in Jerusalem der 39. Weltzionistenkongress, das traditionsreichste Forum der jüdischen Welt. Vertreter aus über 40 Ländern – darunter die größte US-Delegation in der Geschichte des Kongresses – kamen zusammen, um über die Zukunft des Zionismus, jüdische Bildung, den Kampf gegen Antisemitismus und die Unterstützung Israels zu beraten.
Israels Präsident Isaac Herzog eröffnete die Tagung mit eindringlichen Worten: „Diejenigen, die uns einst ›Zhid‹ nannten, nennen uns heute ›Zios‹. Doch diese ›Zios‹ sind in ihr Land zurückgekehrt.“ Er sprach von einer „Zeit der Selbstreflexion für unsere Nation“ und erinnerte an die Kraft, die aus Zusammenhalt und innerer Erneuerung entsteht. „Nach zwei Jahren des Krieges und des Schmerzes steht das jüdische Volk auf, um sich neu zu erfinden.“
Zwischen Tradition und Gegenwart
Der Weltzionistenkongress gilt als das „Parlament des jüdischen Volkes“. Hier werden Richtlinien für Bildung, Kultur, Sicherheit und den weltweiten Kampf gegen Antisemitismus beschlossen – und über mehr als eine Milliarde Dollar an Projekten entschieden, die das jüdische Leben weltweit stärken.
Herbert Block, Direktor der American Zionist Movement, nannte den Kongress ein „demokratisches Wunder jüdischer Vielfalt“. „Einheit bedeutet nicht Gleichförmigkeit“, sagte er. „Juden mit unterschiedlichsten Ansichten treffen hier aufeinander, um Israels Zukunft zu gestalten. Vielfalt ist unsere Stärke.“
Diese Vielfalt zeigte sich in den Debatten – leidenschaftlich, manchmal laut, aber immer getragen von dem Bewusstsein, dass Zionismus kein Museum der Geschichte ist, sondern eine Bewegung in Bewegung.
Die Debatte um Yair Netanyahu
Mitten in den Verhandlungen über neue Spitzenposten kam es am Mittwochabend zu einer überraschenden Wendung: Yair Netanyahu, der Sohn des Premierministers, wurde für die Leitung der Öffentlichkeitsarbeit der Weltzionistischen Organisation vorgeschlagen. Das Amt, mit einem eigenen Büro und Budget ausgestattet, sollte den Informationsaustausch zwischen Israel und der jüdischen Diaspora neu ordnen.

Die Nominierung sorgte für unterschiedliche Reaktionen – von Zustimmung bis Skepsis. Einige Delegierte sahen darin eine Chance, junge, medienerfahrene Stimmen stärker in die Arbeit der Organisation einzubinden; andere warnten vor dem Eindruck parteipolitischer Einflussnahme.
Die Kontroverse führte dazu, dass ein zuvor ausgehandeltes Kompromissabkommen zwischen liberalen und konservativen Vertretern zunächst vertagt wurde. Dennoch erklärten beide Seiten, man werde die Gespräche fortsetzen, um zu einer ausgewogenen Lösung zu gelangen.
WZO-Vizepräsident Yizhar Hess sagte dazu: „Wir standen kurz vor einer Einigung, die alle Strömungen des jüdischen Volkes eingebunden hätte. Der Streit zeigt, dass uns das gemeinsame Ziel – Israels Zukunft – wichtiger ist als Machtfragen.“
Zionismus als lebendige Debatte
In den Sitzungen wurde deutlich, dass der Zionismus auch 128 Jahre nach Theodor Herzl kein starres Dogma ist, sondern ein fortdauerndes Gespräch über Identität, Sicherheit und Verantwortung.
WZO-Vorsitzender Jaakov Hagoel erinnerte in seiner Ansprache an Herzl: „Vor 128 Jahren träumte Herzl von einer Nation. Heute verleihen wir dieser Nation Seele.“
Trotz der hitzigen Diskussionen bleibt der Grundtenor des Kongresses positiv: Die jüdische Welt streitet nicht, weil sie gespalten ist, sondern weil sie engagiert ist. Der Streit selbst ist Teil ihrer Stärke – Ausdruck einer Demokratie, die sich nicht vor kontroversen Themen scheut.
Ein Spiegel der israelischen Realität
So wie Israel selbst lebt auch der Weltzionistenkongress vom offenen Wort. Die leidenschaftlichen Reden, die klaren Differenzen, die Einigkeit im Ziel – sie zeigen, dass der Zionismus kein Relikt, sondern eine Kraft der Gegenwart ist.
Oder, wie Präsident Herzog es formulierte: „Wir erfinden uns nicht neu, weil wir schwach sind, sondern weil wir leben.“
          
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X
Freitag, 31 Oktober 2025