„Sinwar war da – und floh durch den Tunnel“: Israels Pioniere erzählen vom Krieg unter der Erde

„Sinwar war da – und floh durch den Tunnel“: Israels Pioniere erzählen vom Krieg unter der Erde


Zwei Jahre Krieg, Staub, Dunkelheit und Entschlossenheit. Die israelischen Pioniere, die den Weg durch die Tunnel Gazas freisprengen, sprechen erstmals offen über die Jagd auf Sinwar, über gefallene Freunde und über den Moment, in dem sie die Erkennungsmarke von Oron Shaul aus „Platz Palästina“ zurückholten.

„Sinwar war da – und floh durch den Tunnel“: Israels Pioniere erzählen vom Krieg unter der Erde

Zwei Jahre liegen hinter ihnen – zwei Jahre, in denen sie sich von Schacht zu Schacht, von Straße zu Straße kämpften. Die Kampfpioniere des israelischen Ingenieurkorps sind die ersten, die in den Gazastreifen eindringen, die letzten, die ihn verlassen. Ohne sie bewegt sich kein Panzer, kein Bataillon, kein Konvoi. In den Tunneln, die Hamas wie Adern unter den Städten verlegte, haben sie die wahre Front dieses Krieges gefunden – eine Front, die nicht aus Linien, sondern aus Schatten besteht.

„Man muss nur auf die Karte schauen, um zu begreifen, wie Gaza vorher aussah – und wie es jetzt aussieht“, sagt Oberstleutnant Y., Kommandeur des Pionierbataillons 601 der 401. Brigade. „Unsere Soldaten haben verstanden, dass sie etwas Einzigartiges leisten. Sie haben das Terrain verändert, und mit ihm das Gleichgewicht des Feindes.“

Seit Beginn der Kämpfe, die längst auch Operationen im Norden gegen Hisbollah und in Syrien einschließen, hat das Ingenieurkorps hunderte Terrorstrukturen zerstört – über und unter der Erde. „Wir haben gesprengt, gegraben, blockiert, improvisiert. Hamas spürte, dass wir ihnen den Boden entziehen – buchstäblich“, sagt Y. und lächelt müde.

Kampf in der Unterwelt

Die Männer und Frauen der Pioniereinheiten fanden, was sie kaum für möglich hielten: Sprengstofflager in Wohnhäusern, Raketen in Kinderzimmern, Befehlsposten unter Moscheen. „Wir gingen hinein, in der Annahme, nur ein oder zwei Häuser seien verdächtig – und entdeckten, dass jedes Haus ein Waffenlager war“, erzählt Y. „Die ganze Stadt war ein Kriegslabor.“

Der Wendepunkt kam im Sommer 2024 im Viertel Tel as-Sultan in Rafah. Dort entschied Israel, einen kompletten Hamas-Bataillon auszuschalten. „Wir fanden dort den zentralen Kommandokomplex, Tunnelverbindungen zu allen Richtungen, und als wir uns näherten – flohen sie“, sagt der Offizier. „Wir sahen die Hamas-Führungskräfte wegrennen.“

Unter ihnen: Yahya Sinwar. Der meistgesuchte Mann Gazas, Symbol der Grausamkeit, war dort – und entkam in letzter Minute. „Eine Woche nachdem wir das Gebiet verlassen hatten, erfuhren wir, dass Sinwar sich dort versteckt hatte. Er entkam durch eine Seitenröhre. Kurz danach wurde er eliminiert. Alle seine Kommandeure um ihn herum kamen um.“

Kampf und Opfer

Die Tunneloperationen waren brutal. „Wir verloren Freunde, Brüder“, sagt Hauptmann L., heute Chef der technischen Spezialausrüstung der Bodentruppen. „Manche von uns standen buchstäblich über Explosionen, als sie ausgelöst wurden.“ Er erinnert sich an den Unfall vom Januar 2024, als ein Strommast versehentlich eine vorbereitete Sprengladung aktivierte: Sechs israelische Soldaten starben, Dutzende wurden verwundet. Unter ihnen der Musiker Idan Amedi, der überlebte. „Wir wussten: Jeder, der die Grenze übertritt, trägt dieses Risiko.“

Trotz des Schmerzes blieb die Mission klar. „Wir zerstörten die größte Waffenfabrik im Gazastreifen“, erzählt L. „Das reduzierte die Raketenangriffe erheblich. Und inmitten des Chaos haben unsere Männer Verwundete evakuiert, Kameraden geborgen, die gefallenen Soldaten nach Hause gebracht.“

Sinwars Flucht und das Ende eines Symbols

Die Episode mit Sinwar hat im Korps tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur, weil der Terrorführer knapp entkam, sondern weil sie zeigten, dass selbst er nirgendwo mehr sicher war. „Als wir ihm so nahe waren, dass wir seine Atemluft spürten, wussten wir: Diese Armee lernt, passt sich an, hört nicht auf“, sagt Y.

Ein anderer Moment, der in Erinnerung bleibt, war der Fall der sogenannten „Platz Palästina“-Statue. Hamas hatte dort ein Denkmal errichtet – ein erbeuteter israelischer Panzer, aus dem eine Hand mit der Erkennungsmarke des gefallenen Soldaten Oron Shaul ragte. „Wir zerstörten diesen Altar des Hasses, nahmen die Erkennungsmarke und brachten sie zurück nach Israel“, sagt Hauptmann L. „Das war der Moment, in dem ich begriff, dass es nichts gibt, was wir nicht schaffen können.“

Der Feind unter der Erde

Die Pioniere beschreiben den Krieg als eine „Ingenieurschlacht“. Es geht nicht mehr nur um Panzer oder Luftangriffe – sondern um das Verständnis des Untergrunds. Jede entdeckte Röhre wird vermessen, gesichert, gesprengt. „Wir untersuchen jede Tunnelverbindung bis ins Detail, um zu verstehen, wie das System funktioniert“, erklärt L. „Fast jedes Haus in Gaza war Teil einer feindlichen Struktur.“

Im Norden, an der Grenze zum Libanon, wiederholt sich nun vieles. Auch dort wurden unterirdische Zugänge entdeckt. Israel weiß: Die nächste Front ist keine Landkarte – sie ist ein Netzwerk aus Beton und Angst.

Brüderlichkeit im Feuer

Neunzehn Soldaten des Bataillons 601 fielen seit Kriegsbeginn. „Jeder hatte ein anderes Leben, andere Wurzeln – religiöse, säkulare, Drusen, Kibbutzniks, Städter. Aber auf dem Schlachtfeld verschwinden diese Unterschiede“, sagt Y. „Was bleibt, ist Kameradschaft. Wir kämpfen nicht nur für die Geiseln – wir kämpfen für die Gefallenen.“

In den Momenten der Ruhe, zwischen Sprengungen und Märschen, denken sie an jene, die nicht zurückkehrten. „Keiner hat das Recht, sich zu beklagen, solange noch Geiseln in Gaza sind“, sagt L. leise. „Unsere Aufgabe ist es, sie zurückzubringen. Das ist die einzige Richtung, in die wir blicken.“

Hoffnung inmitten des Staubs

Für die jungen Kommandeure wie Leutnant Jordan, 22 Jahre alt, war der Krieg eine Schule des Lebens. „Ich war in Gaza, im Libanon, in Syrien – nichts war vertraut“, sagt er. „Aber der Moment, in dem ich während der Waffenruhe sah, wie Geiseln zurückkehren, war der schönste meines Lebens. Da verstand ich, warum wir dort im Schlamm stehen.“

Die israelischen Pioniere sind keine Helden im klassischen Sinn. Sie sind Baumeister und Zerstörer zugleich, Soldaten, die Wege freilegen, damit andere vorankommen. In dieser stillen, schweren Arbeit liegt der Kern dessen, was Israels Armee zusammenhält: Mut, Disziplin und ein tiefes Verantwortungsgefühl füreinander.

Denn während Hamas Führer wie Sinwar flieht und sich hinter Zivilisten versteckt, bleiben diese Männer und Frauen sichtbar – in der Sonne, im Staub, im Feuer. Und sie wissen, dass der Kampf noch nicht vorbei ist. Aber sie wissen auch, dass jeder Tunnel, den sie sprengen, ein Stück der Dunkelheit zerstört, die Gaza jahrzehntelang umgeben hat.


Autor: Redaktion
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Samstag, 01 November 2025

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