„Wenn wir jetzt stillhalten, kommt ein neuer 7. Oktober“ — So muss Israel gegenüber der Hisbollah handeln

„Wenn wir jetzt stillhalten, kommt ein neuer 7. Oktober“ — So muss Israel gegenüber der Hisbollah handeln


Ein erfahrener Offizier aus dem Südlibanon skizziert, wie Israels Vorgehen gegen die Hisbollah nicht bei Raketen und Waffenlager stoppen darf. Es geht um die politische und wirtschaftliche Infrastruktur, um Rückkehrer und um eine Strategie, die Souveränität im Libanon wiederherstellt.

„Wenn wir jetzt stillhalten, kommt ein neuer 7. Oktober“ — So muss Israel gegenüber der Hisbollah handeln

Was heute an der Grenze und in den Hinterhöfen des Libanon verhandelt wird, ist mehr als Feuer und Granate. Es ist die Frage, ob ein Staat künftig noch das Monopol auf Gewalt besitzt oder ob paramilitärische Netzwerke das Land aushöhlen. Ein ehemaliger hoher Offizier der südlibanesischen Streitkräfte, der lange Zeit in Israel diente und heute im Ausland lebt, bietet eine klare Diagnose und ebenso klare Handlungsschritte: Wer Hisbollah dauerhaft schwächen will, muss nicht nur Waffenlager treffen, sondern deren Fundamente entziehen — politisch, juristisch, wirtschaftlich.

Der Kern der Analyse ist unbequem aber nachvollziehbar: Militärische Aktionen erzielen oft die sichtbaren 75 Prozent des Erfolgs — Schläge gegen Kommandeure, Stellungen, Nachschub. Doch die verbleibenden 15 bis 25 Prozent sind die entscheidenden: jene unsichtbaren Netze, die Hisbollah in die Gesellschaft eingezogen hat, ihre Rechtsinstrumente, ihre Beamten, ihre Wirtschaftsklienten. Bleibt dieser Unterbau unangetastet, wächst nach jedem Gefecht rasch neue Macht nach. Das war die Lehre, die der Offizier in klaren Worten formulierte: Ein Abbruch an dieser Stelle wäre Einladung zu einem neuen, größeren Schlag gegen Israel.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind radikal in ihrer Konsequenz und präzise in der Formulierung. An der Spitze steht die Forderung nach dem Abbau institutioneller Instrumente, die Hisbollah zur politischen Kontrolle nutzt. Dazu gehört die Abschaffung eines militärischen Sondergerichts, das als Werkzeug zur Unterdrückung und Einschüchterung von Gegnern dient. Wer Rechtssysteme instrumentalisiert, schafft Parallelgewalten; wer solche Systeme isoliert, beginnt, den legalen Raum wiederzuerobern. Ebenfalls gefordert wird die umgehende Aufhebung politisch motivierter Anklagen und Verurteilungen gegen regimekritische Bürger; Verfolgung darf kein Mittel zur Politik werden.

Praktisch bedeutet dies: gezielte Unterstützung für unabhängige zivile Gerichte, internationale Beobachtung bei Rehabilitierungsverfahren und ein Programm zur Wiedereingliederung verfolgter Aktivisten. Parallel dazu muss die Personalpolitik entgiftet werden: Beamte, Offiziere und Sicherheitskräfte, die von Hisbollah eingesetzt oder gekauft wurden, sind auszutauschen. Nur ein staatlicher Apparat, der seinem gewählten Mandat verpflichtet ist, kann die Basis für Souveränität legen.

Zwei weitere Punkte sind militärisch-strategischer Natur und sprechen unmittelbar Israels Interessen an. Erstens: Die Aufhebung von Erlaubnissen für Waffen- und Personenbewegungen an Kontrollpunkten, die Hisbollah verschafft wurden. Wenn ein nichtstaatlicher Akteur die Bewegungsfreiheit über ein Territorium kontrolliert, kann kein Staat seine Autorität wahren. Zweitens: Strafverfolgung gegen jene, die an schweren Verbrechen gegen libanesische Zivilisten beteiligt sind — von Attentaten bis zu Anschlägen auf Infrastruktur. Damit wird signalisiert, dass Straflosigkeit endet.

Wichtig ist, dass all dies nicht nur militärisch durchgesetzt werden soll. Die Strategie setzt auf ein Zusammenspiel von Druck und Aufbau: gezielte Angriffe auf Schlüsselpunkte der militärischen Logistik, verbunden mit Maßnahmen zur Stärkung einer zivilgesellschaftlichen Alternative. In der Praxis bedeutet das auch, mit der libanesischen Diaspora zu arbeiten — ehemalige Bürger, die 2000–2025 das Land verlassen haben und nun politisch gegen Hisbollah eingestellt sind. Ihre Rückkehr könnte lokale Kräfteverhältnisse verändern, sofern sie begleitet und geschützt wird.

Der Ratschlag, großflächige Bodenoffensiven zu vermeiden und stattdessen auf punktgenaue Einwirkungen zu setzen, ist nicht nur militärisch, sondern auch politisch klug: Ein massiver Einsatz würde Zivilopfer und internationalen Gegenwind produzieren, ohne die strukturelle Kontrolle zu brechen. Andererseits sind Präzisionstaktiken allein wirkungslos, solange nicht die wirtschaftlichen Adern abgeschnitten werden — etwa Schmuggelrouten aus Syrien und anderen Transitländern.

Der Appell des Offiziers erinnert an eine einfache Wahrheit: Macht lebt von Legitimität und Versorgung. Nimmt man die Legitimation und den wirtschaftlichen Nutzen weg, bleibt eine bewaffnete Bewegung verwundbar. Israel muss deshalb seine Mittel breiter denken — von militärischer Präsenz über rechtliche Rehabilitierung bis zur wirtschaftlichen Schwächung jener Netzwerke, die den Terror erst langfristig tragen.

Diese Strategie ist anspruchsvoll, sie verlangt politische Mutentscheidungen und internationale Koordination. Doch sie hat einen Vorteil: Sie bietet eine Perspektive jenseits der Wiederkehr in ewige Feuerwechsel. Wer Israel ernsthaft schützen will, muss die Ursachen der Hisbollah-Macht bekämpfen, nicht nur ihre Symptome. Das ist unbequem, aber es ist der Weg, der verhindert, dass sich die Tragödie eines 7. Oktobers wiederholt.

Schlussendlich bleibt die Frage, ob die israelische Führung die Geduld und das politische Kapital aufbringt, den Weg zu gehen: nicht nur zu schlagen, sondern aufzubauen — rechtsstaatliche Strukturen, zivile Alternative, Rückkehr von Exilanten. Wer diese Schritte verbindet, hat die beste Chance, die Grenze zu sichern und die Hoffnung auf eine stabile Nachbarschaft zu nähren.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Sebastian Baryli from Wien, Österreich - Naim Kassim, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11539380


Donnerstag, 06 November 2025

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