Führungskrise im Sicherheitsapparat: Warum der Fall des Obersts G. mehr offenlegt als nur persönliche VerantwortungFührungskrise im Sicherheitsapparat: Warum der Fall des Obersts G. mehr offenlegt als nur persönliche Verantwortung
Der Rückzug eines hochrangigen Offiziers aus dem Militär und dem Mossad zeigt: Israels Sicherheitsapparat ringt noch immer um Klarheit über das Versagen vom 7. Oktober – und um die Frage, wer die Verantwortung trägt.
Die Entscheidung fiel ohne öffentlichen Lärm, aber ihre Bedeutung ist enorm. Oberst G., der am Morgen des 7. Oktober als Leiter der Einsatzabteilung im israelischen Militärgeheimdienst diente und vor einigen Monaten in ein sensibles Amt im Mossad entsandt wurde, wird seinen Posten auch dort verlassen. Damit schließen sich die Konsequenzen, die der Generalstabschef bereits im Sommer gezogen hatte, und die Folgerungen des Torjman-Komitees, das den Ablauf und die Versäumnisse der „Schwarzen Samstagnacht“ untersucht hat. Doch hinter der nüchternen Personalentscheidung steht ein Konflikt, der inzwischen die gesamte Sicherheitsarchitektur des Landes erfasst.
Der Offizier galt als einer der Verantwortlichen für die unzureichende operative Einschätzung am Morgen des Massakers, und sein Abgang reiht sich ein in eine Serie persönlicher Maßnahmen, die der Generalstabschef Eyal Zamir gegen jene Kommandeure ergriff, die an diesem Tag entscheidende Rollen innehatten. Dazu gehören der ehemalige Chef des Operationsdirektorats, Generalmajor Schlomi Binder, der frühere Kommandeur des Südkommandos, Generalmajor Yaron Finkelman, sowie weitere Führungskräfte des Nachrichtendienstes. Israel zieht damit – wenn auch spät – die Linie zwischen strukturellem Versagen und persönlicher Verantwortung.
Parallel jedoch verschärft sich die politische Unruhe. Verteidigungsminister Israel Katz verkündete die Aussetzung sämtlicher Beförderungen in den israelischen Streitkräften für einen Zeitraum von 30 Tagen. Für ihn sind die Schlussfolgerungen des Untersuchungskomitees nicht abgeschlossen, und er ordnete eine neuerliche Überprüfung durch den Wehrbeauftragten an. Es ist ein ungewöhnlicher Schritt, der zeigt, wie groß das Vertrauen zwischen Ministerium und Generalstab erschüttert ist. Katz betont offen, dass Kommandeure, die am 7. Oktober Führungsverantwortung trugen, aus seiner Sicht nicht in höhere Positionen aufsteigen dürften. Zamir wiederum legt Wert darauf, dass seine Entscheidungen Ergebnis eines sorgfältigen Prüfverfahrens waren – nicht politisch, sondern professionell.
Die Kluft zwischen beiden Instanzen wurde in den vergangenen Tagen deutlicher sichtbar. Katz warf dem Generalstabschef vor, über wesentliche Personalentscheidungen nicht rechtzeitig informiert worden zu sein. Die Armeeführung reagierte zurückhaltend, verwies jedoch auf monatelange Gespräche mit den betroffenen Offizieren und auf die intensive Arbeit der Untersuchungsteams. In Wahrheit geht es längst nicht mehr nur um Personalpolitik – es geht um das Selbstverständnis der militärischen und zivilen Sicherheitsführung. Darf ein Generalstab falsch gehandelte Verantwortung selbst ziehen? Oder gehört jede Entscheidung in eine politische Gesamtschau? Die Antworten sind nicht einheitlich.
Der Schritt des Mossad-Direktors, Dadi Barnea, die Entscheidung des Generalstabschefs zu übernehmen und Oberst G. auch im Geheimdienst nicht weiter zu führen, hat Symbolkraft. Er signalisiert Geschlossenheit in einer Zeit, in der sich die Sicherheitsbehörden ihrer eigenen Fehler stellen müssen. Trotz der laufenden Konflikte mit dem Verteidigungsministerium zeigt diese Entscheidung: Die Führung der Sicherheitsdienste anerkennt, dass die Strukturen des 7. Oktober nicht nur technische, sondern auch moralische Risse offenbaren.
Für Israel ist dies eine schmerzhafte, aber notwendige Phase. Der Staat steht vor der Aufgabe, Lehren aus einem der schwersten Sicherheitsversagen seiner Geschichte zu ziehen – und gleichzeitig die politische Stabilität zu wahren, die für die Kriegsführung ebenso essenziell ist wie für die Zukunft des Landes. Personalentscheidungen mögen von außen wie interne Disziplinarmaßnahmen wirken, doch in ihrem Kern sind sie Ausdruck eines Ringens um Klarheit, Verantwortung und Glaubwürdigkeit.
Dass der Offizier nun beide Funktionen beendet, zeigt, wie ernst die Sicherheitsbehörden die Schlussfolgerungen aus diesem Tag nehmen. Es ist ein Signal an die Öffentlichkeit, an die Soldaten und an die internationalen Partner: Israel zieht Konsequenzen, auch wenn sie schmerzhaft sind. Und es ist ein Signal nach innen: Verantwortung ist nicht optional – sie ist die Grundlage jeder Verteidigungsfähigkeit.
Autor: Redaktion
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Dienstag, 25 November 2025