Nach dem Schlag gegen Tabtabai: Wer heute die geschrumpfte Spitze der Hisbollah bildetNach dem Schlag gegen Tabtabai: Wer heute die geschrumpfte Spitze der Hisbollah bildet
Mit der Tötung von Ali Tabtabai verliert die Hisbollah ihren letzten großen Organisator. Zurück bleibt eine Führungsschicht, die ausgedünnt ist wie nie – und ein Apparat, der sichtbar wankt.
Die Ausschaltung des militärischen Befehlshabers Ali Tabtabai im Süden Beiruts war weit mehr als ein weiterer Schlag gegen die Hisbollah. Sie legt offen, wie zerbrechlich der innere Kern der Organisation inzwischen geworden ist. Über Jahre hinweg agierte Tabtabai als Architekt der militärischen Wiederaufrüstung, als Strippenzieher zwischen Teheran, Syrien und den libanesischen Frontlinien. Sein Wegfall reißt eine Lücke, die selbst seine engsten Vertrauten kaum schließen können. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten steht die Organisation mit einem Führungsvakuum da, das nicht nur ihre militärische Schlagkraft beeinflusst, sondern auch ihre Hierarchie durcheinanderbringt.
Die verbliebenen Figuren der Oberstruktur sind wenige – und sie gehören fast alle einem aussterbenden Generationenkreis an. Der bedeutendste Name ist Mohammed Haidar, ein Veteran, der seit Jahren als Verbindungsmann zur iranischen Führung agiert. Er sitzt im sogenannten „Dschihad-Rat“ und gilt als jemand, der die Strukturen der alten Kommandos auswendig kennt. Seine Fähigkeiten beruhen auf Erfahrung, nicht auf Innovation – und damit steht er exemplarisch für das Dilemma der Organisation: Sie lebt von Männern, die nicht ersetzbar sind, aber deren Generation längst im Rückzug begriffen ist.
Neben ihm steht Talal Hamiya, der berüchtigte Leiter der Auslandseinheit 910. Sein Name ist eng mit den blutigsten Anschlägen der Organisation verbunden – von Buenos Aires 1994 bis zu gescheiterten Operationen in Europa. Hamiya war lange der Schattenmann von Imad Mughniyeh, bevor dieser 2008 ausgeschaltet wurde. In den USA setzt das Außenministerium seit Jahren ein Kopfgeld auf ihn aus. Er ist einer der wenigen, die noch operative Erfahrung außerhalb Libanons besitzen – doch seine Strukturen sind in den letzten Jahren stark beschädigt worden.
Ein weiterer Restposten der alten Garde ist Khalil Harb, einst Kommandeur der Einheiten 1800 und 3800. Er war zuständig für die Rekrutierung palästinensischer Gruppen, für Infrastrukturaufbau und Anschlagspläne in Israel. Auch er ist seit Jahren im Visier internationaler Dienste, wurde von Washington als globaler Terrorakteur eingestuft und mit einem Millionenbetrag ausgeschrieben. Obwohl seine operative Rolle abgenommen hat, zählt er weiterhin zum kleinen Kreis jener, die überhaupt noch über umfassende Organisationskenntnis verfügen.
Die inneren Sicherheitsstrukturen der Hisbollah liegen in den Händen von Khadr Yusuf Nader Az al-Din. Er führt die interne Sicherheitsapparatur – ein System, das weniger Armee als Geheimdienst ist. Diese Einheit überwacht potenzielle Spione, kontrolliert politische Gegner im Libanon und schützt die eigenen Aktivitäten vor ausländischer Aufklärung. Sein Einfluss ist enorm, doch er operiert im Hintergrund und hat keine militärische Führungsfunktion im klassischen Sinne. Gerade deshalb ist seine Rolle für die Stabilität der Organisation unverzichtbar.
Der Tod von Tabtabai macht sichtbar, wie schmal die operative Führungsschicht geworden ist. Das alte Kommando, das einst aus einem dichten Netz erfahrener Strategen bestand, schrumpfte über die Jahre zu einem kleinen Kreis, der kaum noch in der Lage ist, die verlorenen Kommandeure zu ersetzen. Die Folgen sind deutlich: Die Fähigkeit, große Operationen zu koordinieren, sinkt. Junge Kommandeure übernehmen ungesicherte Rollen, ohne die strategische Tiefe ihrer Vorgänger zu besitzen. Der Verlust von mehr als 2.500 Kämpfern im Krieg und der ständige Austausch an der Front haben die Strukturen zusätzlich ausgehöhlt.
Tabtabai galt als das Bindeglied, das diesen Verfall zeitweise auffing. Er verantwortete das Training neuer Einheiten, baute Kleingruppen im Süden Libanons auf, die resilient gegen israelische Angriffe sein sollten, und koordinierte Waffenströme aus Syrien. Nach Angaben arabischer und israelischer Quellen war er derjenige, der nach jeder Ausschaltung sofort einen Ersatzmann einsetzte und damit die Schlagkraft der Organisation stabilisierte. Gerade deshalb war er für Israel ein Angriffsziel von höchster Priorität.
Seine Beseitigung ist ein strategischer Schnitt. Er trifft die Organisation an der Stelle, an der sie derzeit am verwundbarsten ist: der militärischen Erneuerung. Ohne die zentrale Figur, die Schmuggelrouten organisierte, Produktionsanlagen wieder aufbaute und neue Rekruten in Guerillataktiken schulte, verliert die Hisbollah ihren Hauptmotor. Israel betrachtet diesen Schlag als Möglichkeit, den Wiederaufbau des militärischen Apparats nachhaltig zu behindern und den Druck auf die politische Führung in Beirut zu erhöhen.
Die entscheidende Frage lautet nun: Wer bleibt übrig, um die Rolle Tabtabais zu übernehmen? Die nüchterne Antwort: Niemand mit seinem Profil. Die Hisbollah besitzt zwar noch eine Handvoll erfahrener Männer, doch es fehlt die Generation, die das Netzwerk weiterträgt. Das Vakuum wächst – und mit jedem Verlust rückt die Organisation weiter in eine Phase der Verwundbarkeit, die sie einst als Zeichen der Schwäche anderer interpretierte.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Tasnim News Agency, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138677142
Mittwoch, 26 November 2025