Erdogan hofiert den Papst – und instrumentalisiert die „Palästina-Frage“

Erdogan hofiert den Papst – und instrumentalisiert die „Palästina-Frage“


Ankara inszeniert sich als moralische Instanz, während die Türkei selbst autoritäre Politik betreibt, Terrorgruppen duldet und internationale Spannungen anfeuert. Erdogans Lob für den Papst ist weniger Friedensbotschaft als geopolitische Inszenierung.

Erdogan hofiert den Papst – und instrumentalisiert die „Palästina-Frage“

Der Besuch von Papst Leo in Ankara war von Beginn an mehr politische Bühne als religiöse Geste. Und niemand nutzte diese Bühne entschlossener als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. In seiner Ansprache im Präsidentenbibliothek-Komplex lobte er die angeblich „klare und kluge Haltung“ des Papstes zur palästinensischen Frage – ein Satz, der präzise in jene Erzählung passt, die Erdogan seit Jahren kultiviert: die Türkei als moralische Führungsmacht der muslimischen Welt, Israel als Hauptgegner, der Westen als weiches Ziel für politische Schuldzuweisungen.

Bereits der Rahmen des Treffens deutete an, wohin die Reise gehen würde. Erdogan griff auf altbekannte Forderungen zurück: ein „sofortiges“ Zwei-Staaten-Modell entlang der Linien von 1967, die Bewahrung des historischen Status von Jerusalem, Unterstützung für die palästinensische Sache. Dass diese Positionen seit Jahrzehnten in sämtlichen internationalen Foren wiederholt werden, ohne dass Ankara selbst einen praktischen Beitrag zu De-Eskalation oder Stabilität geleistet hätte, wird bewusst ausgeblendet. Der politische Nutzen liegt anderswo: Der Präsident stellt sich als Verteidiger eines Volkes dar, das er rhetorisch instrumentalisiert, während er gleichzeitig mit Akteuren kooperiert, die die Region destabilisieren – und die Hamas offen als legitime Gesprächspartner behandelt.

Der Papst wiederum versucht diplomatische Balance. Seine Appelle zu Frieden und Dialog, sei es in der Ukraine, im Nahen Osten oder in Afrika, sind Ausdruck einer religiösen Rolle, die nicht direkt politische Partei ergreifen soll. Dennoch nutzt Erdogan die moralische Autorität des Papstes gezielt für seine eigenen Zwecke. Er bindet dessen vorsichtige Formulierungen sofort in seine ideologische Erzählung ein und präsentiert sie der Welt als Bestätigung seiner Linie.

Die Spitze der Inszenierung liegt in dem Satz: „Unsere Schuld gegenüber dem palästinensischen Volk ist Gerechtigkeit.“ Doch genau hier liegt die Ironie. Die Türkei fordert Gerechtigkeit für andere, während sie im eigenen Staat Journalisten einsperrt, Minderheiten unterdrückt, die Justiz entmachtet und militärisch in Syrien und im Nordirak agiert. Auch die enge Zusammenarbeit mit Aktivisten, die der Hamas nahestehen, widerspricht jeder Behauptung, man setze auf Frieden oder Ausgleich. Wer Gerechtigkeit fordert, müsste zuerst zu Hause beginnen.

Auch der Hinweis auf Jerusalem zeigt die Widersprüchlichkeit der türkischen Position. Während Israel nach dem 7. Oktober mit dem größten Massaker an Juden seit der Shoah konfrontiert war, instrumentalisiert Erdogan die Stadt politisch, ohne die Realität der israelischen Sicherheitslage zu berücksichtigen. Für ihn ist Jerusalem Symbol, nicht Verantwortung.

Dass der Papst im September Präsident Isaac Herzog im Vatikan empfing und dort über die Lage im Gazastreifen sprach, erwähnt Erdogan nur oberflächlich. Denn dieser Teil passt nicht in die Erzählung der Türkei, Israel sei isoliert oder delegitimiert. In Wahrheit führt Jerusalem Gespräche mit internationalen Akteuren – inklusive des Heiligen Stuhls –, während die Türkei lautstark Kritik übt, ohne den Preis des Terrors mitzutragen.

Erdogans scharfe Rhetorik hat wenig mit Humanität zu tun, aber viel mit geopolitischen Ambitionen. Die Türkei will sich als zentrale Stimme der muslimischen Welt inszenieren und nutzt jede Bühne, um Israel zu delegitimieren. Der Papst dient hier als moralischer Verstärker, auch wenn seine eigenen Aussagen wesentlich differenzierter sind als Erdogans Verdrehungen.

Israel kennt dieses Muster seit langem. Und gerade deshalb bleibt entscheidend, sich von solchen politischen Inszenierungen nicht beeindrucken zu lassen. Die Region braucht keine großen Gesten, sondern realistische Politik – und einen klaren Blick darauf, wer Stabilität fördert und wer sie unterminiert.


Autor: Redaktion
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Donnerstag, 27 November 2025

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