Neuer Wehrdienstentwurf für Haredim stellt Israels Gesellschaft vor eine BewährungsprobeNeuer Wehrdienstentwurf für Haredim stellt Israels Gesellschaft vor eine Bewährungsprobe
Ein Gesetz soll Ordnung schaffen und entzündet zugleich die tiefsten politischen Spannungen des Landes. Der Entwurf von Boaz Bismuth gilt als flexibel, doch für viele Israelis ist er ein Symbol ungelöster Gerechtigkeitsfragen seit dem 7. Oktober.
Der neue Vorschlag zur Regelung des Haredi-Wehrdienstes hat innerhalb weniger Stunden die politische Landschaft erschüttert. Er ist der jüngste Versuch, ein dauerhaftes, rechtlich tragfähiges System zu schaffen, nachdem der Oberste Gerichtshof klar feststellte, dass pauschale Befreiungen ohne gesetzliche Grundlage nicht mehr möglich seien. Doch der Text, den Boaz Bismuth dem Auswärtigen- und Verteidigungsausschuss des Parlaments vorlegte, zeigt: Die Diskussion ist längst kein juristisches Problem mehr, sondern Ausdruck einer sozialen Zerreißprobe, die sich seit dem 7. Oktober dramatisch verschärft hat.
Der Entwurf bietet einen Neustart. Alle seit 2023 ausgestellten Einberufungsbescheide sollen annulliert werden – eine juristische Rücksetzung, die Befürworter als notwendige Ordnung und Kritiker als moralisch problematisches Signal werten. Während Reservisten seit Monaten im Einsatz stehen, empfinden viele diese „Amnestie“ als Verletzung ihres Gerechtigkeitsempfindens.
Zentrales Element des Gesetzes ist ein Fünfjahresplan mit klaren Rekrutierungszahlen. Das erste „Jahr“ umfasst 18 Monate mit rund 8.160 Rekruten; anschließend folgen weitere Zielmarken zwischen 6.840 und 8.500, ehe im fünften Jahr mehr als die Hälfte eines gesamten Jahrgangs herangezogen werden soll. Auf dem Papier klingt das nach Entschlossenheit. Doch die soziale Realität und der Widerstand aus Teilen der Haredi-Gemeinschaft lassen Zweifel offen, wie belastbar diese Zahlen tatsächlich sind.
Eine besonders umstrittene Passage betrifft die vollständige Streichung der Kampfkquote. Frühere Entwürfe verlangten, dass ein bestimmter Anteil der Haredi-Rekruten in Kampfverbänden dienen müsse. Bismuth verzichtet darauf. Dies stößt auf Widerstand bei jenen, die Gleichheit im Risiko einfordern. Gleichzeitig argumentieren Befürworter, dass die Armee derzeit ohnehin nicht in der Lage sei, große zusätzliche Kampfkontingente aufzunehmen, und dass flexible Einstiegspfade eine realistischere Integration ermöglichen.
Neu eingeführt wird zudem ein begrenzter Rahmen für einen zivil-sicherheitsbezogenen Dienst, der bis zu zehn Prozent der Rekrutierungsziele abdecken kann. Polizei, Gefängnisdienst oder andere sicherheitsrelevante Behörden sollen diese Funktionen ausfüllen. Kritiker sehen darin die Gefahr eines Zwei-Klassen-Systems, das zwar Zahlen erfüllt, aber die ursprüngliche Idee eines gemeinsamen Dienstes verwässert.
Auch die Sanktionen für Dienstverweigerung bleiben moderat. Sie gelten nur bis etwa zum 26. Lebensjahr; danach verliert der Staat wirksame Hebel. Reisebeschränkungen, Führerscheinentzug und Arbeitslimits sollen Druck erzeugen, bleiben aber weit hinter schärferen früheren Vorschlägen zurück. Yeshivot wiederum verlieren Mittel, wenn weniger als 75 Prozent ihrer Zielzahlen erreicht werden – ein Eingriff, der deutlich leichter ausfällt als die drastischen Maßnahmen, die in vergangenen Entwürfen diskutiert wurden.
Der Gegensatz zu früheren Modellen ist spürbar. Während Yuli Edelsteins Linie kompromisslos auf reale Einberufung, strengere Überwachung und harte Konsequenzen setzte – auch auf die Gefahr eines Koalitionsbruchs hin –, wählt Bismuth einen vorsichtigen Kurs. Er setzt auf Flexibilität statt Konfrontation, auf einen langen Atem statt unmittelbarer Durchsetzung.
Die Reaktionen fallen entsprechend aus. Die Opposition spricht von einer „nationalen Schande“ und einem „Gesetz zur Legalisierung des Nichtdienens“. Innerhalb der Koalition warnen religiös-zionistische Abgeordnete, man werde nur einem Gesetz zustimmen, das echte und zügige Rekrutierung ermöglicht. Auf der anderen Seite fürchtet ein Teil der Haredi-Führung, dass das Gesetz der Einstieg in eine schärfere Zukunft sei – und lehnt jede Struktur ab, die Enlistment überhaupt normalisiert.
Die kommenden Ausschusssitzungen werden deshalb zum Prüfstein für Israels politischen Zusammenhang. Es geht nicht nur um Paragrafen und Zahlen. Es geht um ein Land, das sich seit zwei Jahren im Ausnahmezustand befindet, um Familien, die Reservisten stellen, um Gemeinden, die trauern, und um eine Gesellschaft, die ihren inneren Zusammenhalt verteidigen muss, während sie sich äußeren Bedrohungen stellt.
Der Entwurf sucht ein Gleichgewicht, das vielleicht gar nicht existiert: ein Gesetz, das den Ansprüchen des Obersten Gerichts genügt, ohne die Regierung zu destabilisieren, und gleichzeitig einem tief empfindlichen Volk das Gefühl zurückgibt, dass Dienst und Verantwortung gerecht verteilt sind.
Autor: Redaktion
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Freitag, 28 November 2025