Israel Reservisten fühlen sich verratenIsrael Reservisten fühlen sich verraten
Während in Jerusalem an einem Gesetz gearbeitet wird, das jungen Ultraorthodoxen einen weitgehenden Weg aus der Dienstpflicht eröffnet, melden sich jene zu Wort, die gerade im Reserveeinsatz in Gaza stehen. Ihre Botschaft ist scharf, nüchtern und voller Enttäuschung – ein Alarmzeichen für eine Regierung, die ihnen zugleich neue Einberufungen zumutet.
Die Soldaten, die ihren Dienst schon seit Monaten immer wieder antreten, sehen die politische Entwicklung in Jerusalem mit wachsender Fassungslosigkeit. Denn während die Regierung die Reservekontingente um Hunderttausende erweitern will, treibt dieselbe Koalition ein Gesetz voran, das den Wehrdienst für ultraorthodoxe Jugendliche weitgehend entbehrlich macht. Für viele Reservisten ist das ein politischer Kurs, der ihre Bereitschaft zur Landesverteidigung geringschätzt.
Das Gefühl, bewusst ausgegrenzt worden zu sein
Die Vertreter der Reservistenorganisationen schildern, wie sie aus dem Prozess der Gesetzesformulierung herausgehalten wurden. Gespräche mit ihnen fanden erst statt, als der Entwurf bereits abgeschlossen war. Demgegenüber investierte die Politik Wochen intensiver Verhandlungen mit ultraorthodoxen Funktionären, um ein Gesetz zu präsentieren, das deren Zustimmung findet. Dieser Ablauf nährt bei den Reservisten das Empfinden, dass ihre Perspektive nicht zählt – obwohl die Last der Verteidigung des Landes auf ihren Schultern liegt.
Yaïr Weigler, Vorsitzender des religi-nationalen Reservistenforums, spricht in deutlichen Worten. Dass jetzt über 280 000 weitere Reservisten einberufen werden sollen, während parallel ein Befreiungsgesetz für andere entsteht, sei für ihn und seine Kameraden ein Schlag ins Gesicht. Es sei schwer nachvollziehbar, dass diejenigen, die sich dem Dienst seit Jahren entziehen, nun mit einem politischen Rahmenwerk belohnt werden, das letztlich ihre Abwesenheit absichert. Die Soldaten sehen darin einen Bruch der gegenseitigen Verantwortung, die das Land bislang getragen hat.
Auch die religi-nationalen Parteien geraten ins Zentrum der Kritik. Viele ihrer Vertreter waren selbst Reservisten und betonen regelmäßig ihre Nähe zu den Streitkräften. Umso größer ist nun die Enttäuschung darüber, dass sie sich nicht klar gegen den Gesetzesentwurf positionieren. Für jene, die seit Monaten Pendelbewegungen zwischen Heimat und Einsatzraum erleben, ist dieses Schweigen schwer zu akzeptieren.
Ein Gesetz voller Lücken – und ohne spürbare Wirkung
Die Kritik richtet sich nicht nur gegen den politischen Prozess, sondern auch gegen die Substanz des Entwurfs. Die vorgesehenen Sanktionen sollen erst 2027 wirksam werden und verlieren danach in dem Moment ihre Bedeutung, in dem der Betroffene das 26. Lebensjahr erreicht. Für viele Ultraorthodoxe liegt dieser Zeitpunkt lange vor jeder relevanten staatlichen Unterstützung, die theoretisch entzogen werden könnte. Damit entsteht eine Phase, in der eine jahrelange Nichtteilnahme am Dienst praktisch folgenlos bleibt.
Hinzu kommt eine Definition der Zugehörigkeit zur ultraorthodoxen Gemeinschaft, die so weit gefasst ist, dass sie auch junge Männer einschließt, die ihren religiösen Lebensstil aufgegeben haben. Diese künstliche Erweiterung erzeugt den Eindruck von „Zielerreichung“, ohne tatsächlich zu einem höheren Anteil Ultraorthodoxer in den Streitkräften zu führen. Die vorgestellten Rekrutierungsziele gelten vielen Experten deshalb als rein theoretisch – eine Zahl auf dem Papier, nicht das Abbild einer realistischen Erwartung.
Auch der Anteil anrechenbarer ziviler Dienste, der in die Quote einfließen soll, verzerrt das Bild zusätzlich. Er ist so hoch angesetzt, dass er eine tatsächliche militärische Integration kaum fördern kann. Was als umfassende Lösung präsentiert wird, wirkt aus Sicht der Reservisten wie ein Versuch, ein ungelöstes Problem zu kaschieren.
Enttäuschung und Erschöpfung im Einsatzraum
Die Soldaten, die derzeit in Gaza stationiert sind, beschreiben ihre Situation nüchtern. Sie stehen im Einsatz, obwohl keine aktiven Gefechte stattfinden, und zahlen dafür berufliche, familiäre und persönliche Preise. Viele befinden sich bereits im sechsten oder siebten Einsatzzyklus innerhalb eines Jahres. Diese Belastung wird im Land häufig als selbstverständlich hingenommen – und genau diese Haltung empfinden die Reservisten als unerträglich. Ihre Bereitschaft, für Israel einzustehen, gründet auf einer stillen Übereinkunft: Jeder, der kann, trägt Verantwortung. Das neue Gesetz bricht diese Balance.
Mehrere Organisationen haben angekündigt, jede parlamentarische Sitzung zu begleiten und sich aktiv in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Sie weisen darauf hin, dass es derzeit keine politische Kraft gibt, die ihre Perspektive verlässlich vertritt. Wenn sie nicht selbst vor Ort sind, bleibt ihre Stimme ungehört.
Ein politischer Moment mit weitreichenden Folgen
Die Warnungen aus Gaza richten sich nicht gegen eine Bevölkerungsgruppe, sondern gegen eine strukturelle Entscheidung, die Israels Sicherheitsarchitektur langfristig schwächen kann. Ein Staat, der sich auf wenige Schultern stützt, verliert Stabilität. Und ein Staat, der seine Verteidiger verprellt, verliert Vertrauen.
Die Reservisten mahnen, dass es hier nicht um symbolische Politik geht, sondern um die Frage, wie viele Soldaten Israel in den kommenden Jahren zur Verfügung stehen. Dass diese Stimmen jetzt, in einem Moment relativer Ruhe im Einsatzgebiet, mit solcher Schärfe auftreten, zeigt die Tiefe der Verunsicherung. Sie fordern ein Gesetz, das Gerechtigkeit schafft, keine neuen Ungleichheiten. Ein Gesetz, das real wirkt – nicht nur auf dem Papier.
Die Männer in Gaza haben keinen politischen Vorteil davon, sich zu Wort zu melden. Sie tun es, weil sie das Gefühl haben, dass die Grundpfeiler des gemeinsamen Dienstes ins Wanken geraten. Ihre Worte sind ein dringender Appell an die Politik, die Verantwortung nicht weiter einseitig zu verteilen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Dienstag, 02 Dezember 2025