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Ein alter Schacht zeigt wie tief die Furcht im Norden Israels ist

Ein alter Schacht zeigt wie tief die Furcht im Norden Israels ist


In Schlomi genügte ein einziger Videoclip, um die Angst des Nordens wieder aufleben zu lassen. Erst später stellte sich heraus, dass der vermeintliche Tunnel nichts weiter war als ein antiker Wasserschacht. Die Episode zeigt, wie tief die seelischen Wunden des vergangenen Jahres reichen.

Ein alter Schacht zeigt wie tief die Furcht im Norden Israels ist

Die Menschen im Norden Israels leben seit über einem Jahr unter einer Dauerbelastung, die kaum in Worte zu fassen ist. Angriffe der Hisbollah, Evakuierungen, zerstörte Häuser, verlassene Straßen. Heimat, die sich fremd anfühlt. Und so reicht heute oft ein einziges Bild, ein Geräusch, eine Meldung, um das Nervensystem eines ganzen Ortes in Sekunden in Alarm zu versetzen.

Genau das geschah an diesem Morgen in Schlomi. Arbeiter stießen bei Routinearbeiten nahe des Sicherheitszauns auf eine unterirdische Öffnung. Der Clip verbreitete sich sofort in den Nachbarschaftsgruppen. Der Blick in den dunklen Hohlraum weckte eine unmittelbare, fast körperliche Reaktion. Tunnel. Wieder ein Tunnel. Wieder die Angst, dass der Feind unter den Füßen lauert, unsichtbar und geduldig.

Die Nachricht traf auf Menschen, die gerade erst den Versuch wagen, in ihre Häuser zurückzukehren. Eine Mutter berichtete, dass ihr Herz in den Hals rutschte, als sie das Foto sah. Ein anderer Einwohner formulierte es resigniert: Jeder noch so kleine Verdacht wird zur Bedrohung, weil unser Körper noch im Kriegsmodus steckt.

Doch die Wirklichkeit war diesmal harmlos. Nach einer schnellen Überprüfung durch die Armee und die Gemeindeleitung stand fest: kein Tunnel, keine operative Aktivität, kein Sicherheitsrisiko. Was sich geöffnet hatte, war ein uralter Wasserschacht, eine der vielen historischen Strukturen, die in dieser Region seit Generationen immer wieder zum Vorschein kommen.

Gabbi Naaman, der Bürgermeister von Schlomi, versuchte sofort zu beruhigen. In offiziellen Mitteilungen erklärte er, dass der Ort eine lange Besiedlungsgeschichte habe und archäologische Funde bei Bauarbeiten nichts Ungewöhnliches seien. Die Armee bestätigte, dass alles überprüft wurde und keine Gefahr besteht.

Trotzdem ist die Erschütterung real. Sie zeigt, wie sehr der Norden Israels durch die Ereignisse seit dem siebten Oktober verändert wurde. Die Menschen leben in einer psychologischen Landschaft, in der das Normale dauernd vom Ausnahmezustand verdrängt wird. Jeder Fund, jedes Geräusch, jede unbekannte Vertiefung im Boden kann die Erinnerung an Nächte wecken, in denen die Grenze nicht hielt und Terroristen versuchten, unsichtbar vorzudringen.

Die Episode in Schlomi ist nicht nur ein Missverständnis. Sie ist ein Spiegel. Sie zeigt, wie dünn die Schicht des Alltags über einer tiefen kollektiven Unsicherheit liegt. Und sie zeigt, wie wichtig transparente Kommunikation ist, um Gerüchte einzufangen, bevor sie sich verselbstständigen.

Ein alter Wasserschacht ist kein Tunnel. Aber er hat offenbart, wie nah der Ausnahmezustand der letzten Monate unter der Haut der Menschen weiterlebt. Israel arbeitet daran, den Norden zu stabilisieren, die Sicherheit herzustellen und das Vertrauen in die alltägliche Normalität wieder wachsen zu lassen. Doch bevor Zäune repariert sind und Straßen wiederbelebt werden, muss etwas anderes geheilt werden: die Seele einer Region, die zu lange auf den nächsten Alarm gewartet hat.


Autor: Redaktion
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Freitag, 05 Dezember 2025

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