Im Schatten der Angst: Hamas-Funktionäre flüchten in die digitale DunkelheitIm Schatten der Angst: Hamas-Funktionäre flüchten in die digitale Dunkelheit
Ein enthülltes internes Dokument zeigt, wie tief die Furcht vor gezielten Tötungen in der Führung der Hamas verankert ist. Die neuen Regeln lesen sich wie ein Handbuch für ein Leben im Untergrund – und wie ein Eingeständnis wachsender israelischer Reichweite.
Der Bericht aus dem saudischen Blatt Aschark al-Awsat legt ein Bild frei, das von Panik und Misstrauen geprägt ist. Die Führung der Hamas im Ausland, ohnehin gewohnt an Versteckspiel und wechselnde Aufenthaltsorte, sieht sich inzwischen gezwungen, selbst elementare Kommunikationsmittel aus ihrem Umfeld zu verbannen. Treffen dürfen nur noch an ständig wechselnden Orten stattfinden, unter strikten Bedingungen und ohne jede elektronische Spur. Die Anweisung, Telefone in einem Radius von mindestens siebzig Metern zu lagern und auch einfache Geräte wie Armbanduhren zu verbieten, zeugt von der Erkenntnis, dass moderne Ortungstechnologien jede Nachlässigkeit bestrafen. Räume ohne Klimaanlagen, ohne Router, ohne Fernsehgeräte, ohne jede Art von digitaler Verbindung sollen nun den Schutz bieten, den bewaffnete Eskorte und politisches Exil allein nicht mehr garantieren.
Der Auslöser dieser Nervosität ist klar benannt. Seit der Tötung des hochrangigen Hisbollah-Befehlshabers Ali Tabatabai wächst in der Hamas die Überzeugung, dass Israel die Jagd auf ihre Spitzenfunktionäre fortsetzen könnte. Versprechen anderer Staaten – ob aus den Reihen der Vermittler in Katar, der Türkei oder Ägypten – werden in den Kreisen der Terrororganisation kaum mehr ernst genommen. Das Misstrauen gilt nicht nur Diplomaten, sondern auch der eigenen organisatorischen Abschottung. Die Hamas geht davon aus, dass Israel über menschliche Quellen an überraschenden Orten verfügt: Reinigungskräfte, Techniker, Personen, die im Umfeld von Entscheidungsträgern arbeiten. Jede dieser Rollen kann Zugang bieten, und jedes Gerät könnte ein Fenster für Ortung, Analyse oder Beobachtung darstellen.
Die interne Anweisung verlangt darüber hinaus, alle Treffen sofort abzusagen, wenn sie in vertrauten Räumen geplant wurden. Dahinter steckt ein Prinzip, das in Organisationen dieser Art überlebensnotwendig ist: Routine schafft Angriffspunkte. Jeder feste Raum, jeder wiederkehrende Zeitpunkt, jede Gewohnheit erhöht das Risiko, von Gegnern kartiert zu werden. Die Regeln wirken auf den ersten Blick überzogen, doch sie spiegeln eine Realität wider, die sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft hat. Israel hat mehrfach gezeigt, dass die geografische Entfernung seiner Feinde kein Schutz mehr ist. Die Technologie zur Zielerfassung, so mahnt das Dokument selbst, kann selbst hinter dicken Mauern greifen und Treffer binnen Sekunden ermöglichen.
Schließlich warnt der Text ausdrücklich davor, sich auf ausgeschaltete Telefone zu verlassen. Geräte, die über Funknetzwerke kommunizieren, ob Smartwatch oder vermeintlich harmloses Zubehör, können verraten, wie viele Menschen sich in einem Raum aufhalten. Für eine Organisation, deren oberste Ebene kaum noch frei reisen kann und sich in Staaten mit wechselnder Loyalität aufhält, bedeutet dies eine Bedrohung, die weit über die militärische Dimension hinausgeht. Es ist ein Hinweis darauf, dass ihre Gegner nicht nur Waffen einsetzen, sondern Daten, Muster und jede Spur, die im digitalen Zeitalter entsteht.
Besonders brisant ist die Einschätzung eines Hamas-Mitglieds, wonach eine mögliche Operation nicht zwingend in einem arabischen Land stattfinden müsste. Diese Aussage deutet auf eine Verschiebung im Denken der Führung hin. Sie rechnet nicht nur mit israelischen Aktionen, sondern mit dem Szenario, dass auch außerhalb der traditionellen Konflikträume ein Angriff möglich sein könnte. Länder, die bislang als sichere Rückzugsräume galten, werden nun neu bewertet, und die Organisation erkennt, dass staatliche Grenzen für die Bedrohungslage kaum mehr Bedeutung haben.
All dies zeigt, wie sehr die Hamas selbst die eigene Verwundbarkeit spürt. Ein Terrorapparat, der jahrzehntelang auf Abschottung, Untergrundstrukturen und Beweglichkeit setzte, rutscht nun in ein Klima der Furcht, das die Handlungsfähigkeit seiner Führung einschränkt. Die neuen Vorgaben sind nicht nur ein technisches Regelwerk. Sie sind Ausdruck eines strategischen Gleichgewichts, das sich verschoben hat. Israel hat in den vergangenen Jahren seine Fähigkeit zur globalen Zielerfassung weiterentwickelt und damit den Schutzraum der Organisation empfindlich verkleinert. Die Führung der Hamas reagiert nun mit Maßnahmen, die eher an Geheimdienste aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erinnern als an eine moderne politische Bewegung.
Für die Zivilbevölkerung, die unter der Herrschaft dieser Organisation lebt, bedeutet diese Entwicklung wenig Gutes. Eine Führung, die sich immer weiter in den Schatten zurückzieht, entzieht sich auch der Verantwortung. Die Angst vor gezielten Tötungen lenkt nicht dazu, politische Lösungen zu suchen, sondern verstärkt die Isolation. Diese Isolation spiegelt sich nicht nur in geheimen Treffpunkten ohne jede Elektronik, sondern in einem Weltbild, das Misstrauen zur einzigen verlässlichen Konstante macht. Die Enthüllungen des Dokuments zeigen deshalb mehr als nur Sicherheitsanweisungen. Sie zeigen den inneren Zustand einer Organisation, die spürt, dass sie gejagt wird und dass ihre Machtfragmente brüchiger sind, als sie nach außen zugibt.
Autor: Redaktion
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Freitag, 05 Dezember 2025