Interne Kritik als Vergehen: Wie Hamas in Katar einen palästinensischen Aktivisten zum Schweigen zwangInterne Kritik als Vergehen: Wie Hamas in Katar einen palästinensischen Aktivisten zum Schweigen zwang
Ein Hamas-Funktionär, der sich weigert, über die Zukunft der eigenen Waffen zu sprechen – und ein palästinensischer Unterstützer, der in Katar öffentlich gedemütigt wird, weil er genau diese Schwäche kritisierte. Der Fall zeigt, wie rücksichtslos die Terrororganisation gegen Stimmen aus den eigenen Reihen vorgeht.
Der jüngste Streit innerhalb der Hamas begann mit einer scheinbar harmlosen Frage: Ist die Organisation bereit, ihr Waffenarsenal in Gaza abzubauen? Für viele Palästinenser war diese Frage keine Provokation, sondern die natürliche Folge eines Krieges, der die Region in Schutt und Asche gelegt hat. Für die Führung der Hamas jedoch wurde sie zum Auslöser einer Jagd auf einen Kritiker – ein Vorgang, der offenlegt, wie unbarmherzig die Organisation heute gegen jede Form von innerer Abweichung vorgeht.
Auslöser war ein Interview aus dem Oktober. Mohammed Nazzal, Mitglied der politischen Führung der Hamas und seit Jahren in Doha ansässig, wurde gefragt, ob die Organisation bereit sei, ihr Waffenarsenal zu begrenzen. Seine Antwort war ausweichend: Er könne weder Ja noch Nein sagen, schließlich sei die Bewaffnung „eine nationale Frage“ und nicht nur Angelegenheit der Hamas. Hinter dieser Formulierung stand keine diplomatische Vorsicht, sondern die klare Weigerung, auch nur theoretisch auf bewaffnete Macht zu verzichten.
Doch gerade diese Ausweichung brachte Kritik hervor – auch von Menschen, die der Hamas sonst ideologisch sehr nahe stehen. Einer von ihnen war Mahmoud al-Aileh, ein palästinensischer Forscher, der in Katar lebt und sich öffentlich als Unterstützer der Hamas bezeichnet. Für ihn war Nazzals Unschärfe ein politisches Problem, ein Zeichen mangelnder Klarheit gegenüber der eigenen Bevölkerung. In sozialen Netzwerken schrieb er, ein Mann in einer solchen Position dürfe sich nicht hinter Allgemeinplätzen verstecken, wenn es um die zentrale Frage der Zukunft gehe.
Kritik, die zur persönlichen Bedrohung wird
Was danach geschah, führte vielen Palästinensern vor Augen, wie eng die Hamas ihre Reihen inzwischen geschlossen hält. Nazzal reagierte nicht mit einem politischen Gegenargument, sondern mit einer offiziellen Beschwerde bei den Behörden in Katar. Ein hochrangiger Funktionär der Terrororganisation nutzte also den Staatsapparat eines Gastlandes, um einen einzelnen palästinensischen Aktivisten wegen eines kritischen Posts unter Druck zu setzen.
Aus dem Kreis der Hamas hieß es später, Nazzal habe auf einer „öffentlichen Rehabilitierung“ bestanden. Andere Quellen berichteten, er habe zeitweise sogar finanzielle Entschädigung gefordert. Vermittlungsversuche von Hamas-nahen Persönlichkeiten sollen gescheitert sein, weil Nazzal auf einer vollständigen Unterwerfung al-Ailehs beharrt habe.
Schließlich gab dieser nach. In einer langen Erklärung auf X entschuldigte er sich für seine Kritik, bezeichnete sie als „Fehler der Stunde“ und lobte Nazzals angeblich untadeligen Charakter. Ein Text, der weniger wie eine persönliche Einsicht wirkt als wie das erzwungene Ergebnis massiven Drucks – und genau als solches von vielen gelesen wurde.
Empörung – und Furcht
Der Vorgang hat selbst im Umfeld der Hamas für Empörung gesorgt. Aktivisten aus Gaza und dem Exil fragten öffentlich, wie eine politische Bewegung, die sich als Stimme des Volkes bezeichnet, zugleich damit drohen kann, das Volk vor arabischen Gerichten zum Schweigen zu bringen. Jamil Maqdad, ein bekannter Pro-Hamas-Kommentator, schrieb: „Seit wann verfolgt unsere Führung juristisch eigene Leute? Was ist aus dem Recht geworden, uns zu äußern?“
Diese Frage trifft den Kern. Die Hamas präsentiert sich gern als authentische Vertretung eines leidenden Volkes, als Stimme der Unterdrückten, als Bewegung, die Kritik an Mächtigen zu ihrem Selbstverständnis zählt. Doch der Fall Nazzal gegen al-Aileh zeigt, wie wenig Raum in dieser Organisation für echte Diskussion bleibt. Wer sich widersetzt – selbst aus Loyalität –, wird zum Risiko, das ausgeschaltet werden muss.
Angst als Werkzeug politischer Kontrolle
Katar, seit Jahren ein zentrales Exilzentrum der Hamas, spielt in diesem Vorgang eine besondere Rolle. Das Emirat ermöglicht der Organisation eine komfortable Führungsstruktur fernab der Realität in Gaza – und bietet zugleich den Rahmen, in dem interne Konflikte mit staatlichen Mitteln ausgetragen werden können. Die Botschaft ist klar: Kritik ist nicht nur schlecht gesehen, sie kann existenzielle Folgen haben.
Für Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich in Katar oder anderswo bewegen, ist das Signal unmissverständlich. Wer es wagt, interne Schwächen der Hamas öffentlich anzusprechen, könnte der nächste sein, der „zur Ordnung gerufen“ wird – nicht durch Debatte, sondern durch Einschüchterung.
Ein Blick auf die Zukunft
Der Konflikt zeigt mehr als nur eine persönliche Fehde. Er offenbart eine Struktur, in der Machtfragen hinter moralischen Fassaden verborgen werden. Während die Hamas sich in der internationalen Öffentlichkeit gern als widerstandsfähige, geeinte Bewegung darstellt, herrscht in ihrer inneren Wirklichkeit ein Klima, das von wachsender Paranoia geprägt ist. Mit jeder Niederlage, jedem politischen Druck, jedem diplomatischen Rückzug wird der Raum für inneren Widerspruch kleiner.
Was al-Aileh erlebt hat, ist deshalb kein Randphänomen, sondern ein Symptom: Die Hamas duldet keine offene Diskussion darüber, wohin sie das palästinensische Volk führt und welchen Preis es dafür zahlt. Wer nachfragt, wer Klarheit fordert, wer auf Widersprüche hinweist, wird diszipliniert.
Die Frage, wer in Gaza und im Exil überhaupt noch ungestraft reden darf, bleibt offen. Ihre Antwort sagt viel darüber aus, wie wenig „Volksvertretung“ in einer Organisation steckt, die Kritik als persönliche Beleidigung und nicht als politische Notwendigkeit versteht.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Freitag, 12 Dezember 2025