Israel richtet den Blick nach Norden und bereitet sich auf eine Entscheidung vorIsrael richtet den Blick nach Norden und bereitet sich auf eine Entscheidung vor
Während die Luftwaffe weiter gezielte Schläge gegen Ziele der Hisbollah ausführt, arbeitet die israelische Armee im Hintergrund an einem umfassenden Szenario für den Ernstfall. Raketen, Kommandostrukturen und Schlüsselpersonen der Terrororganisation stehen im Fokus. Die Frage ist nicht mehr, ob Israel reagieren muss, sondern wann und in welchem Umfang.
In Jerusalem wird kaum noch verborgen, dass sich Israel auf eine mögliche großangelegte militärische Operation im Süden des Libanon vorbereitet. Die laufenden Angriffe der Luftwaffe sind Teil eines begrenzten Vorgehens, doch parallel dazu baut die Armee einen umfangreichen Zielkatalog auf. Er umfasst Terrorinfrastruktur, Waffenlager, operative Kader und insbesondere jene Strukturen, die mit dem Raketenprojekt der Hisbollah verbunden sind. Die Botschaft ist eindeutig: Israel beobachtet nicht nur, es plant.
Nach Einschätzung der Sicherheitsdienste verfügt die Hisbollah trotz zahlreicher Rückschläge weiterhin über ein beachtliches Arsenal. Dazu gehören Raketen mit großer Reichweite, präzisionsfähige Systeme sowie logistische Netzwerke, die eine längere Auseinandersetzung ermöglichen würden. Gleichzeitig arbeitet die Organisation weiter an ihrer militärischen Stärkung. Genau diese Kombination gilt in Israel als nicht hinnehmbar. Die Erfahrung vergangener Jahre hat gezeigt, dass Aufschub am Ende einen höheren Preis fordert.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die jüngsten Aussagen des neuen Hisbollah-Generalsekretärs Naim Qassem an Bedeutung. In einer Rede präsentierte er die bekannte Linie der Organisation, verpackt in martialische Bilder. Man werde sich verteidigen, selbst wenn der Himmel auf die Erde falle, sagte er. Die Waffen seien unantastbar und würden nicht im Sinne Israels abgegeben. Qassem stellte klar, dass jede Diskussion über eine sogenannte Verteidigungsstrategie nur unter der Voraussetzung geführt werde, dass Israel seine militärischen Aktivitäten vollständig einstelle.
Aus israelischer Sicht sind diese Worte kein Zeichen von Dialogbereitschaft, sondern ein weiteres Indiz dafür, dass die Hisbollah nicht bereit ist, ihre Rolle als bewaffneter Staat im Staat aufzugeben. Qassem spricht von Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee, doch gleichzeitig macht er deutlich, dass keine staatliche Autorität über den Waffen der Organisation stehen darf. Damit bestätigt er genau das Problem, das Israel und viele internationale Akteure seit Jahren benennen.
Die libanesische Realität spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Armee des Landes gilt als zu schwach, um der Hisbollah Grenzen zu setzen. Politisch ist Beirut tief gespalten, wirtschaftlich geschwächt und kaum in der Lage, eigene Souveränität durchzusetzen. Für Israel bedeutet das, dass es auf der anderen Seite der Grenze keinen verlässlichen staatlichen Akteur gibt, der die Hisbollah kontrollieren könnte. Diese Leerstelle hat die Terrororganisation systematisch genutzt.
In den israelischen Sicherheitskreisen wächst daher der Druck, die aktuelle Phase nicht verstreichen zu lassen. Dort ist von einem Zeitfenster die Rede, das sich nicht beliebig oft öffnet. Die Überlegung ist klar: Eine harte militärische Schwächung der Hisbollah könnte nicht nur die unmittelbare Bedrohung reduzieren, sondern langfristig auch politische Bewegung im Libanon ermöglichen. Ohne die militärische Dominanz der Hisbollah wäre ein anderes Kräfteverhältnis denkbar.
Hinzu kommt der regionale Kontext. Israel blickt nicht nur nach Norden, sondern auch nach Teheran. In Jerusalem geht man davon aus, dass ein erneuter direkter oder indirekter Konflikt mit dem Iran in den kommenden Monaten nicht ausgeschlossen ist. In einem solchen Szenario wäre es aus israelischer Sicht entscheidend, dass die Hisbollah nicht in der Lage ist, eine zweite Front mit voller Wucht zu eröffnen. Prävention ist hier kein Schlagwort, sondern strategische Notwendigkeit.
Die Entscheidung über eine großangelegte Operation ist noch nicht gefallen. Sie hängt von politischen Abwägungen, internationalem Druck und der weiteren Entwicklung an der Grenze ab. Doch die Richtung ist klarer geworden. Israel signalisiert, dass es die fortgesetzte Aufrüstung der Hisbollah nicht länger als gegeben hinnimmt. Der Aufbau des Zielkatalogs ist mehr als Routine. Er ist ein Zeichen dafür, dass sich das Land auf einen Wendepunkt vorbereitet.
Ob dieser Wendepunkt in den kommenden Wochen oder später erreicht wird, ist offen. Sicher ist nur, dass die Lage im Norden für Israel nicht mehr als eingefroren gilt. Die Waffen der Hisbollah, ihre Rhetorik und ihre Nähe zu Iran verdichten sich zu einer Bedrohung, die Jerusalem nicht ignorieren kann. Der Blick nach Norden ist deshalb kein Alarmismus, sondern Ausdruck einer nüchternen sicherheitspolitischen Rechnung.
Autor: Redaktion
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Dienstag, 16 Dezember 2025