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Kein Hunger, aber ein Narrativ bleibt: Wie der UN-Index IPC seine Gaza-Bewertung revidiert und Israel trotzdem belastet

Kein Hunger, aber ein Narrativ bleibt: Wie der UN-Index IPC seine Gaza-Bewertung revidiert und Israel trotzdem belastet


Der maßgebliche UN-Ernährungsindex zieht seine Hungerwarnung für Gaza zurück. Von einer Hungersnot ist keine Rede mehr. Doch statt diese Korrektur klar zu benennen, hält der Bericht an politisch aufgeladenen Formulierungen fest. Israel weist die Vorwürfe scharf zurück und spricht von einem Bericht, dessen Schlussfolgerungen längst feststanden.

Kein Hunger, aber ein Narrativ bleibt: Wie der UN-Index IPC seine Gaza-Bewertung revidiert und Israel trotzdem belastet

Der Internationale Index für Ernährungssicherheit IPC, der im Auftrag der Vereinten Nationen arbeitet, hat seine Bewertung der Lage im Gazastreifen grundlegend geändert. In dem am Freitag veröffentlichten Bericht kommt das Gremium erstmals seit Beginn der Kämpfe zu dem Ergebnis, dass in keinem Gebiet des Gazastreifens eine Hungersnot festgestellt wurde. Damit korrigiert der IPC seine eigene Analyse aus dem August, in der noch von akutem Hunger die Rede war und eine Ausweitung dieser Lage prognostiziert wurde.

Diese Prognose hat sich nicht erfüllt. Der aktuelle Bericht räumt ein, dass weder in Gaza-Stadt noch in Deir al-Balah oder Khan Yunis die Kriterien für eine Hungersnot erreicht wurden. Der IPC führt diese Entwicklung ausdrücklich auf die Waffenruhe, die reduzierte Intensität der Kämpfe sowie die massive Ausweitung humanitärer und kommerzieller Lieferungen zurück.

Trotz dieser klaren Kehrtwende bleibt der Ton des Berichts problematisch. Statt den Widerruf der Hungerdiagnose deutlich in den Mittelpunkt zu stellen, spricht der IPC weiterhin von „anhaltender Ernährungsunsicherheit“ und warnt vor einer „fragilen Lage“. Begriffe, die politisch anschlussfähig sind und international weiter Druck erzeugen, obwohl die zentrale Behauptung früherer Berichte faktisch widerlegt ist.

Israels Reaktion: Zahlen ignoriert, Realität verzerrt

In Jerusalem fiel die Reaktion entsprechend scharf aus. Der Koordinator für Regierungsaktivitäten in den Gebieten erklärte, der Bericht ignoriere in auffälliger Weise die tatsächlichen Mengen an Nahrungsmitteln, die während der Waffenruhe in den Gazastreifen gelangt seien. Die Schlussfolgerungen wirkten, so der Vorwurf, „verzerrt und vorab formuliert“.

Auch das Außenministerium kritisierte, dass sich der IPC fast ausschließlich auf Lieferungen von UN-Organisationen stütze. Diese machten jedoch lediglich rund 20 Prozent aller Hilfslieferungen aus. Der Großteil der Versorgung erfolge über andere internationale Akteure sowie über kommerzielle Kanäle, die im Bericht kaum oder gar nicht berücksichtigt würden.

Nach israelischen Angaben passieren täglich zwischen 600 und 800 Hilfstransporter die Übergänge in den Gazastreifen. Rund 70 Prozent dieser Fahrzeuge transportieren Lebensmittel. Allein während der Waffenruhe seien fast 30.000 Lkw mit mehr als 500.000 Tonnen Nahrungsmitteln nach Gaza gelangt. Das sei ein Vielfaches dessen, was der IPC selbst in früheren Berechnungen als notwendig bezeichnet habe.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor, der im Bericht zwar erwähnt, aber nicht konsequent eingeordnet wird: die Verteilung innerhalb des Gazastreifens. Israel betont seit Monaten, dass nicht der Zugang zu Lebensmitteln das Kernproblem darstellt, sondern deren Weitergabe an die Zivilbevölkerung. Bewaffnete Hamas-Einheiten übernehmen systematisch Hilfsgüter, verkaufen sie weiter oder nutzen sie zur Machtsicherung. Dieses strukturelle Problem wird im IPC-Bericht zwar angedeutet, jedoch nicht als zentrales Hindernis benannt.

Was sich tatsächlich geändert hat

Der Vergleich mit dem August-Bericht macht die Kehrtwende besonders deutlich. Damals hatte der IPC eine Hungersnot in Gaza-Stadt festgestellt und deren Ausweitung vorhergesagt. Heute wird diese Einschätzung ausdrücklich zurückgenommen. Die Kriterien für Hunger, so der Index nun selbst, seien nicht erfüllt worden.

Der Bericht räumt zudem ein, dass die verbesserte Versorgungslage unmittelbar mit der erhöhten Zahl an Lieferungen zusammenhängt. Auch Preisentwicklungen widersprechen der früheren Dramatik: Nach israelischen Angaben sind die Lebensmittelpreise im Gazastreifen zwischen Juli und November um mehr als 80 Prozent gesunken. Ein Befund, der mit der These eines flächendeckenden Mangels kaum vereinbar ist.

Gleichzeitig hält der IPC an alarmierenden Zahlen fest, etwa zur Zahl der Menschen in verschiedenen Stufen der Ernährungsunsicherheit oder zur erwarteten Unterversorgung von Kindern. Diese Zahlen beruhen jedoch auf Modellrechnungen und Annahmen, nicht auf der Feststellung einer realen Hungersituation. Genau hier liegt der Kern der Kritik: Die Korrektur erfolgt, aber sie wird rhetorisch abgefedert, um das bisherige Narrativ nicht vollständig aufzugeben.

Zwischen Analyse und politischer Wirkung

Der aktuelle IPC-Bericht markiert einen Wendepunkt, der international bislang zu wenig Beachtung findet. Die Behauptung, Israel verursache eine Hungersnot in Gaza, war eines der wirksamsten politischen Schlagworte der vergangenen Monate. Sie diente als moralische Keule, als juristischer Hebel und als mediales Dauerthema.

Dass diese Behauptung nun offiziell zurückgezogen wird, verändert die Faktenlage grundlegend. Umso auffälliger ist, wie vorsichtig und verklausuliert dieser Rückzug formuliert wird. Statt Klarheit zu schaffen, bleibt Raum für Interpretationen, die den alten Vorwurf in abgeschwächter Form weitertragen.

Für Israel steht damit mehr auf dem Spiel als eine statistische Debatte. Es geht um Glaubwürdigkeit, um die Instrumentalisierung humanitärer Begriffe und um die Frage, ob internationale Organisationen bereit sind, eigene Fehlannahmen offen zu korrigieren. Der IPC-Bericht zeigt, dass sich die Realität nicht dem Narrativ angepasst hat. Die Frage ist nun, ob das Narrativ endlich der Realität folgt.


Autor: Redaktion
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Freitag, 19 Dezember 2025

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