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Eine wachsende Gemeinschaft – und ein Stillstand, der das ganze Land herausfordert

Eine wachsende Gemeinschaft – und ein Stillstand, der das ganze Land herausfordert


Die neuen Zahlen zur ultraorthodoxen Bevölkerung werfen ein Schlaglicht auf ein Ungleichgewicht, das Israel seit Jahren spürt und dessen Folgen sich weiter verschärfen. Während die Gemeinschaft rapide wächst, bleiben Erwerbsbeteiligung und Wehrdienst der Männer nahezu unverändert – mit Folgen für Gesellschaft, Wirtschaft und die Wehrgerechtigkeit im Land.

Eine wachsende Gemeinschaft – und ein Stillstand, der das ganze Land herausfordert

Die Jüdische Gemeinde Israels verändert sich sichtbar, und zwar schneller als jede andere Bevölkerungsgruppe. Laut dem aktuellen Bericht des Israel Democracy Institute zählt die haredische Gemeinschaft inzwischen rund 1,45 Millionen Menschen. Fast drei Fünftel sind unter 19 Jahren, ein Wert, der weltweit zu den höchsten gehört. Diese enorme Jugendlichkeit ist nicht nur statistische Fußnote, sondern prägt die Zukunft des Landes: Sie bedeutet wachsende Klassengrößen, steigende Kosten für Sozialleistungen und steigenden Druck auf einen Arbeitsmarkt, der heute schon unter strukturellen Spaltungen leidet.

Während die haredische Bevölkerung wächst, verändert sich ihre soziale Realität hingegen kaum. Das gilt besonders für die Männer. Seit einem Jahrzehnt stagniert ihre Erwerbsbeteiligung im unteren Fünfziger-Prozentbereich. Die Gemeinschaft lebt damit in einem Spannungsfeld: Hohe Fertilität – etwa 6,5 Kinder pro Frau – trifft auf eine Wirtschaftsstruktur, in der zu wenige Männer erwerbstätig sind, um den Lebensstandard zu sichern. Frauen gleichen dieses Defizit teilweise aus, denn ihre Erwerbsquote nähert sich inzwischen jener nicht-haredischer Jüdinnen. Doch das Lohnniveau bleibt niedrig, und zwei Einkommen ersetzen häufig nicht das strukturelle Gefälle.

Gleichzeitig wächst das religiöse Bildungssystem rasant weiter. Mehr als 420.000 Schülerinnen und Schüler lernen in haredischen Einrichtungen, ein Fünftel aller Kinder in Israel. Die Zahl der Yeshiva- und Kollel-Studenten ist binnen zehn Jahren um 83 Prozent gestiegen – auf nahezu 170.000. Offizielle Rückgänge in den Zahlen für 2024 entpuppen sich als statistische Verzerrung: Zehntausende Studierende tauchen schlicht nicht in der Bildungsstatistik auf, weil sie nicht staatlich finanziert werden. Das tatsächliche Wachstum bleibt ungebremst.

Besonders brisant wird das Thema, sobald es um die Wehrpflicht geht. Die israelische Gesellschaft erwartet zu Recht, dass die Last der Landesverteidigung gerecht verteilt wird. Doch die Zahlen zeigen Stillstand: 3.060 Absolventen haredischer Bildungseinrichtungen traten 2024 in die Armee ein – praktisch dieselbe Zahl wie vor zehn Jahren. Bei einer Gemeinschaft, die weiter wächst, bedeutet das nicht Stabilität, sondern einen Rückgang. Hinzu kommt, dass über die Hälfte dieser Rekruten nicht in haredi-spezifischen Einheiten dient, sondern in allgemeinen Tracks – ein Hinweis darauf, dass viele von ihnen die Gemeinschaft bereits verlassen haben oder sich nicht mehr klar mit ihr identifizieren.

Diese Realität verschärft die gesellschaftlichen Spannungen. Während viele Israelis andere Aufgaben zurückstellen, ihre Berufskarrieren unterbrechen und ihre Familien monatelang allein lassen, um zu dienen, wächst der Anteil jener, die diesem nationalen Konsens fernbleiben. In einer Zeit, in der das Land sich militärisch wie politisch permanenten Herausforderungen gegenübersieht, ist das mehr als ein statistisches Detail. Es ist eine Frage des Zusammenhalts.

Auch ökonomisch zeigt der Bericht eine Schieflage, die an Tiefe gewinnt. Ein Drittel der haredischen Familien lebt unterhalb der Armutsgrenze – im Vergleich zu 14 Prozent in der nicht-haredischen jüdischen Bevölkerung. Gleichzeitig besitzen drei Viertel der Familien eine eigene Wohnung, ein Wert, der weit über dem israelischen Durchschnitt liegt. Das Bild ist widersprüchlich: Hohe Eigentumsquote, aber niedrige Einkommen; großes Bevölkerungswachstum, aber stagnierende Integration in den Arbeitsmarkt; eine Gemeinschaft voller junger Menschen, aber mit strukturellen Barrieren, die den Wohlstand bremsen.

Israel steht damit vor einer nüchternen Realität: Die Zukunft dieses Landes hängt auch davon ab, ob es gelingt, die haredische Gemeinschaft stärker in Arbeitsmarkt, Bildung und Landesverteidigung einzubinden, ohne ihre religiöse Identität zu bedrohen. Das ist keine Frage von Ideologie, sondern von Tragfähigkeit. Eine Gesellschaft kann nur dann geschlossen reagieren – ob auf Bedrohungen von außen, wirtschaftliche Turbulenzen oder innere Belastungen –, wenn sie das Gefühl teilt, dass die Lasten gerecht verteilt sind.

Parallel zu Fortschritten in Technologie-Ausbildung, Hochschulzugang und Internetnutzung zeigt der Bericht, dass zentrale Bereiche seit Jahren auf einem Plateau verharren. Das Land spürt die Folgen bereits heute, und diese werden nur deutlicher werden, je schneller die junge haredische Bevölkerung wächst. Israel braucht den Mut zur Debatte und die Entschlossenheit zur Umsetzung – nicht gegen eine Gemeinschaft, sondern für die gemeinsame Zukunft eines vielfältigen Landes, das seine Stärke aus Verantwortung und Zusammenhalt zieht.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Adam Jones from Kelowna, BC, Canada - Haredi (Orthodox) Jewish Couples at Bus Stop - Outside Old City - Jerusalem, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35364967


Montag, 22 Dezember 2025

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