Syrien nach Assad. Die Gefängnisse sind wieder voll.Syrien nach Assad. Die Gefängnisse sind wieder voll.
Die Tore der Foltergefängnisse wurden geöffnet, doch die Hoffnung währte nur kurz.
Ein Jahr nach dem Sturz Assads füllen sich Syriens Haftanstalten erneut – mit neuen Opfern und alten Methoden.
Als die Gefängnistore aufgestoßen wurden, glaubten viele Syrer, das Schlimmste liege hinter ihnen. Männer suchten nach Brüdern, Frauen nach Söhnen, Kinder nach Vätern, die unter Bashar al-Assad verschwunden waren. Die Bilder gingen um die Welt. Leere Zellen, verlassene Gänge, ein Symbol für das Ende eines Systems der Angst.
Ein Jahr später ist diese Hoffnung schwer beschädigt.
Die Haftanstalten des alten Syrien sind wieder in Betrieb. Dieselben Mauern, dieselben Keller, dieselben Zellen. Nur die Namen der Verantwortlichen haben sich geändert. Sicherheitskräfte der neuen Führung halten Tausende Menschen fest – oft ohne Anklage, ohne Akten, ohne Kontakt zur Außenwelt. Wer einmal verschwindet, bleibt häufig monatelang unauffindbar.
Betroffen sind nicht nur ehemalige Soldaten Assads, sondern ganze Bevölkerungsgruppen. Alawiten nach den Unruhen an der Küste. Drusen im Süden nach sektiererischer Gewalt. Sunniten, denen vage Nähe zum alten System vorgeworfen wird. Christen, die von Erpressung berichten. Schiiten, die an Kontrollstellen festgenommen werden, weil man ihnen Nähe zu Iran oder Hisbollah unterstellt. Das neue Syrien verhaftet quer durch alle Gemeinschaften.
Die Methoden sind erschreckend vertraut. Festnahmen ohne Haftbefehl. Verhöre ohne Anwalt. Überfüllte Zellen, kaum Nahrung, Krankheiten durch mangelnde Hygiene. Berichte über Schläge, Aufhängungen, systematische Demütigung. Todesfälle in Gewahrsam, die nicht registriert werden. Familien, die erst nach der Beerdigung erfahren, dass ein Angehöriger tot ist.
Die neue Führung unter Präsident Ahmed al-Sharaa hatte versprochen, mit der Vergangenheit zu brechen. Die berüchtigten Gefängnisse sollten geschlossen werden. Doch dutzende Einrichtungen aus der Assad-Zeit sind wieder aktiv. Einige, die offiziell als stillgelegt gelten, nehmen weiterhin Häftlinge auf. Andere wurden nie wirklich geschlossen.
Die offizielle Begründung lautet Sicherheit. Man müsse Täter des alten Systems zur Rechenschaft ziehen. Man müsse neue Gewalt verhindern. Doch Transparenz fehlt. Es gibt keine öffentlichen Listen der Inhaftierten, kaum formelle Anklagen, keine klaren juristischen Verfahren. Was bleibt, ist ein System der Willkür, das an dunkle Zeiten erinnert.
Besonders brisant ist ein Detail, das viele Syrer zutiefst verunsichert. In einigen Haftzentren sitzen neue Gefangene neben Menschen, die bereits während des Bürgerkriegs von Rebellengruppen festgesetzt wurden. Orte, die einst als Befreiungszonen galten, sind nun selbst Teil des Problems.
Hinzu kommt ein altes, schmutziges Geschäft. Erpressung. Familien berichten von Anrufen angeblicher Mittelsmänner. Forderungen nach Geld für Freilassung. Summen, die von wenigen hundert bis zu zehntausenden Dollar reichen. Manchmal wird gezahlt, manchmal nicht. Sicherheit bietet keine dieser Optionen. In einigen Fällen wurden Häftlinge trotz Zahlung erneut verschleppt oder tot zurückgegeben.
Die neue Führung räumt Fehlverhalten einzelner Sicherheitskräfte ein. Man spricht von Disziplinarmaßnahmen, von Aufbauproblemen, von institutionellen Lücken nach Jahrzehnten der Diktatur. Doch diese Erklärungen überzeugen immer weniger. Zu systematisch, zu flächendeckend, zu ähnlich sind die Berichte.
Für die internationale Gemeinschaft ist das eine unbequeme Realität. Der Westen wollte glauben, Syrien könne schnell stabilisiert werden. Die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump setzen auf Zusammenarbeit, um Extremismus einzudämmen. Doch Stabilität, die auf Angst gründet, ist brüchig. Ein Staat, der seine Gefängnisse füllt, während er von Versöhnung spricht, verliert Vertrauen – im Innern wie nach außen.
Niemand bestreitet das Ausmaß der Verbrechen der Assad-Jahre. Zehntausende Verschwundene, Massengräber, systematische Folter. Doch gerade deshalb ist die Messlatte für das neue Syrien hoch. Wer mit dem Anspruch antritt, ein Kapitel zu schließen, darf nicht dieselben Seiten neu beschreiben.
Viele Syrer spüren heute eine bittere Ernüchterung. Die Gesichter an den Schreibtischen mögen andere sein. Die Erfahrung in den Zellen fühlt sich für die Betroffenen erschreckend gleich an. Ein ehemaliger Häftling brachte es auf einen Satz, der sich einprägt. Er sei frei, sagte er, aber er lebe in einem größeren Gefängnis.
Syrien steht an einem Scheideweg. Der Wiederaufbau eines Landes beginnt nicht mit neuen Uniformen oder neuen Parolen. Er beginnt mit Rechtssicherheit, Transparenz und der Anerkennung der Würde jedes Einzelnen. Solange Gefängnisse wieder zu Orten der Angst werden, bleibt der Bruch mit der Vergangenheit unvollständig.
Die Gefängnistore wurden geöffnet. Dass sie sich wieder geschlossen haben, ist ein Warnsignal – für Syrien und für alle, die an einen schnellen Neuanfang glauben wollten.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Symbolbild KI generiert
Donnerstag, 25 Dezember 2025