Hamas schreibt Geschichte um – und westliche Öffentlichkeit schaut zuHamas schreibt Geschichte um – und westliche Öffentlichkeit schaut zu
Zwei Jahre nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 veröffentlicht die Hamas erneut ihre eigene Version der Ereignisse. Während Täter ihre Gewalt ideologisch verklären, haben Medien und Teile der Gesellschaft längst begonnen, diese Umdeutung zu normalisieren. Der Skandal ist nicht das Dokument. Der Skandal ist seine Wirkung.
Zwei Jahre nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 legt die Hamas erneut ihr eigenes Geschichtsbild vor. Der Titel ist Programm: „Our Narrative… Al-Aqsa Flood: Two Years of Steadfastness and the Will for Liberation“. Schon der Name signalisiert, worum es geht. Nicht um Aufarbeitung, nicht um Verantwortung, sondern um Umdeutung. Um die bewusste Transformation eines Massakers in einen angeblich historischen Befreiungsakt.
Das Dokument umfasst 42 Seiten, gegliedert in acht Kapitel. Es beschreibt den 7. Oktober nicht als Terrorangriff, sondern als welthistorischen Moment. Als moralisch gerechtfertigte Zäsur. Als Auftakt eines angeblichen Widerstands. Dass an diesem Tag israelische Zivilisten ermordet, Frauen vergewaltigt, Kinder getötet und Hunderte Menschen als Geiseln verschleppt wurden, kommt darin nicht vor. Weder konkret noch indirekt. Die Hamas vermeidet jede Auseinandersetzung mit dokumentierten Verbrechen. Kein Wort zu sexueller Gewalt. Kein Wort zu gezielten Tötungen von Familien. Kein Wort zu Geiseln.
Stattdessen spricht sie von „Al-Aqsa Flood“. Ein Begriff, der Gewalt ästhetisiert, religiös auflädt und Täter moralisch reinwäscht. Es ist dieselbe Wortwahl, die bereits das erste „Our Narrative“-Papier Anfang 2024 geprägt hat. Auch dieses Dokument wurde weltweit verbreitet, online geteilt, gedruckt und in westlichen Universitäten verteilt. Nicht heimlich, sondern offen. In Hörsälen, auf Demonstrationen, in studentischen Gruppen. Es wurde diskutiert, zitiert, teilweise verteidigt.
Die neue Version knüpft nahtlos daran an. Sie beschreibt Motive, Kontexte, angebliche Untersuchungen des eigenen Handelns und stellt die Hamas als rationalen politischen Akteur dar. Sie reklamiert diplomatische Aktivitäten, formuliert Prioritäten für die nächste Phase des Krieges und wiederholt politische Forderungen. Ein palästinensischer Staat mit Jerusalem als Hauptstadt. Rückkehr der Flüchtlinge. Alles präsentiert in der Sprache von Legitimität, nicht von Gewalt.
Was fehlt, ist entscheidend. Das Dokument vermeidet jede konkrete Benennung der eigenen Taten. Es ignoriert internationale Berichte, Augenzeugen, Videoaufnahmen, forensische Belege. Es tut so, als habe es keine Opfer gegeben, sondern nur einen historischen Akt. Diese Leerstelle ist kein Versehen. Sie ist Kern der Strategie.
Doch der eigentliche Skandal liegt nicht allein bei der Hamas. Eine Terrororganisation handelt, wie Terrororganisationen handeln. Sie lügt, verzerrt, rechtfertigt. Der eigentliche Skandal ist, dass diese Narrative im Westen auf fruchtbaren Boden fallen. Dass sie nicht sofort als das benannt werden, was sie sind: Propaganda. Dass Medien sie referieren, einordnen, kontextualisieren, ohne die moralische Grenze klar zu ziehen.
Schon wenige Wochen nach dem 7. Oktober 2023 begann diese Verschiebung. Der Terrorangriff rückte aus dem Zentrum der Berichterstattung. Die Hamas verschwand zunehmend als handelnder Akteur. Stattdessen wurde Israels Reaktion isoliert betrachtet. Bilder lösten Chronologie ab. Emotion ersetzte Verantwortung. Diese Entwicklung setzte früh ein. Lange bevor Waffenruhen diskutiert wurden. Lange bevor Jahre vergingen.
Heute, im Jahr 2025, ist diese Umdeutung weit fortgeschritten. Demonstrationen zum Jahrestag des Angriffs zeigen nicht Trauer um die Opfer, sondern Solidarität mit der Erzählung der Täter. Plakate, Parolen und Slogans greifen Begriffe wie „Al-Aqsa Flood“ auf, ohne Widerspruch. Medien berichten darüber, als handle es sich um legitime politische Meinungsäußerungen. Der Ursprung der Gewalt wird zur Fußnote.
Die Verantwortung der Medien ist dabei zentral. Journalismus endet nicht bei der Wiedergabe von Narrativen. Wer ein Propagandadokument beschreibt, ohne klar zu benennen, was es verschweigt, beteiligt sich an der Verzerrung. Wer Forderungen zitiert, ohne den Kontext des Massakers präsent zu halten, normalisiert Gewalt. Wer Tätererzählungen und Opferrealität auf eine Ebene stellt, verwischt die Grenze zwischen Analyse und Relativierung.
Besonders fatal ist die Sprache. Wenn Terror als „Operation“ bezeichnet wird, wenn Massaker als „Ereignisse“ beschrieben werden, wenn Geiselnahmen sprachlich neutralisiert werden, entsteht eine moralische Grauzone, die es nicht geben darf. Die Hamas nutzt diese Grauzone gezielt. Ihr neues Dokument ist kein Zeichen von Standhaftigkeit. Es ist der Versuch, Geschichte neu zu schreiben, bevor sie sich verfestigt.
Dass diese Strategie funktioniert, zeigt die Reaktion. Oder vielmehr das Ausbleiben einer klaren Reaktion. Es gibt Empörung, aber sie bleibt fragmentiert. Es gibt Kritik, aber sie bleibt leise. Und es gibt eine breite Öffentlichkeit, die den Unterschied zwischen Täter und Opfer zunehmend aus dem Blick verliert.
Der 7. Oktober 2023 war ein Einschnitt. Nicht nur für Israel, sondern für die Wahrheit. Zwei Jahre später ist nicht die Zeit das größte Problem, sondern das Vergessen. Nicht durch Unwissen, sondern durch bewusste Umdeutung. Die Hamas liefert ihre Version. Die Frage ist nicht, warum sie das tut. Die Frage ist, warum ihr dabei so viele zusehen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Donnerstag, 25 Dezember 2025