Iraks bewaffnete Milizen signalisieren Entwaffnung unter Druck aus Washington und JerusalemIraks bewaffnete Milizen signalisieren Entwaffnung unter Druck aus Washington und Jerusalem
Zum ersten Mal erklären iranisch gestützte Milizen im Irak öffentlich ihre Bereitschaft, Waffen abzugeben. Doch hinter den Ankündigungen stehen Angst vor Militärschlägen, politische Taktik und ein Staat, der die Kontrolle über Millionen Waffen nie wirklich hatte.
Im Irak bahnt sich ein Moment an, der historisch sein könnte oder als nächste Illusion endet. Führende schiitische Milizen haben erstmals öffentlich erklärt, sie seien bereit, das Prinzip des staatlichen Gewaltmonopols anzuerkennen. Nach Jahrzehnten bewaffneter Parallelstrukturen klingt das nach einem Wendepunkt. Doch die Realität hinter diesen Worten ist komplexer und gefährlicher, als es offizielle Verlautbarungen vermuten lassen.
Rund neunzig Prozent der iranisch nahestehenden Milizen signalisierten Bereitschaft zur Entwaffnung oder zumindest zur Übergabe ihrer Waffen an staatliche Stellen. Zwei der radikalsten Gruppierungen verweigern sich bislang offen. Sie knüpfen ihre Zustimmung an das Ende jeder ausländischen Militärpräsenz im Nahen Osten. Diese Bedingung ist bewusst maximalistisch formuliert und zeigt, wie brüchig der angebliche Konsens ist.
Aus Sicht der Regierung in Bagdad steht viel auf dem Spiel. Der Irak ist übersät mit Waffenlagern, geheimen Depots und Milizstützpunkten. Schätzungen gehen von bis zu dreißig Millionen leichten Waffen außerhalb staatlicher Kontrolle aus. Hinzu kommen hunderttausende schwere Waffen, Drohnen, Raketenwerfer und gepanzerte Fahrzeuge. Kein anderer Staat der Region weist eine derart massive Entkopplung zwischen formaler Souveränität und realer Gewalt auf.
Der plötzliche Sinneswandel der Milizen kommt nicht aus innerer Überzeugung. Er ist das Ergebnis massiven äußeren Drucks. In Bagdad ist klar angekommen, dass Washington und Jerusalem ihre Drohungen ernst meinen. Die Vereinigten Staaten haben ihre militärische und finanzielle Kooperation an überprüfbare Entwaffnungsschritte geknüpft. Israel wiederum hat unmissverständlich signalisiert, dass es iranisch gesteuerte Strukturen im Irak künftig nicht mehr als unantastbar betrachtet.
Diese Drohkulisse wirkt. Milizenführer wissen, dass ihre Stellungen, Kommandostrukturen und Waffenlager längst bekannt sind. Der Preis des Widerstands könnte existenziell sein. Entwaffnung wird so zur Überlebensstrategie, nicht zum Ausdruck staatlicher Loyalität.
Gleichzeitig ruft die höchste schiitische Religionsautorität im Irak zur Einhaltung staatlicher Vorgaben auf. Dieser religiöse Rückhalt verleiht dem Prozess Legitimität, zumindest auf dem Papier. Doch religiöse Anweisungen ersetzen keine funktionierende staatliche Durchsetzungskraft. Die Geschichte des Irak ist reich an gescheiterten Entwaffnungsprogrammen, deren Ergebnis stets dasselbe war: Waffen verschwanden kurzzeitig, tauchten später wieder auf und wechselten lediglich die Organisationsform.
Viele Kämpfer der sogenannten Volksmobilisierungskräfte sind offiziell Teil des Sicherheitsapparats. In der Praxis blieb ihre Loyalität jedoch bei ihren ursprünglichen Kommandeuren. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen schiitischen Milizen in den vergangenen Jahren haben gezeigt, wie schnell staatliche Uniformen abgelegt werden, wenn interne Machtkämpfe eskalieren.
Ein weiteres Problem ist sozialer Natur. Hunderttausende bewaffnete Männer leben von dieser Struktur. Waffen bedeuten Einkommen, Status und Schutz. Eine echte Entwaffnung würde sie ihrer Lebensgrundlage berauben. Die Frage, ob sie integriert, entlassen oder sich selbst überlassen werden, ist politisch ungelöst. Ein abrupter Bruch birgt das Risiko neuer Gewalt in Form krimineller Banden und lokaler Warlords.
In den Machtzentren Teherans wird die Entwicklung mit Argwohn beobachtet. Der Einfluss Irans im Irak basiert nicht nur auf politischer Nähe, sondern auf bewaffneter Präsenz. Eine vollständige Entwaffnung würde diesen Hebel schwächen. Daher bleibt offen, ob die Zustimmung der Milizen ernst gemeint ist oder lediglich Zeit kaufen soll, um Waffen zu verstecken, Strukturen zu verschleiern und Personal neu zu positionieren.
Für den irakischen Staat ist dies eine Bewährungsprobe. Gelingt es Bagdad erstmals, Waffen tatsächlich einzusammeln, zu inventarisieren und unter klare Kontrolle zu bringen, könnte sich das Machtgefüge des Landes grundlegend verändern. Scheitert der Versuch, wird sich das Misstrauen der Bevölkerung weiter vertiefen und der Irak bleibt ein Staat mit Flagge, aber ohne Gewaltmonopol.
Die kommenden Monate entscheiden, ob Ankündigungen zu Taten werden. Noch spricht vieles dafür, dass Entwaffnung selektiv, symbolisch und politisch verhandelbar bleibt. Doch der internationale Druck ist real. Und diesmal wissen auch die Milizen, dass sie nicht mehr unbegrenzt pokern können.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Tasnim News Agency, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47998942
Samstag, 27 Dezember 2025