Ägyptens Urlaubsimage und die dokumentierte Realität staatlicher RepressionÄgyptens Urlaubsimage und die dokumentierte Realität staatlicher Repression
Sonne, Strände und antike Monumente prägen das internationale Bild Ägyptens. Gleichzeitig zeigen aktuelle Zahlen und Gerichtsakten ein anderes, nüchtern belegbares Bild. Seit Monaten gehen die Behörden systematisch gegen Social Media Inhalte vor. Die Maßnahmen sind messbar, dokumentiert und Teil einer bewussten staatlichen Linie.
Ägypten gehört seit Jahren zu den beliebtesten Reisezielen für europäische Urlauber. Allein 2024 besuchten mehr als 14 Millionen Touristinnen und Touristen das Land. Der Tourismus ist eine der wichtigsten Devisenquellen des Staates. Entsprechend konsequent pflegt die Regierung das Bild eines sicheren, stabilen und kulturell offenen Urlaubslandes.
Parallel dazu lässt sich jedoch eine Entwicklung beobachten, die mit diesem Image kaum vereinbar ist. Nach Angaben ägyptischer Menschenrechtsorganisationen wurden seit August in mindestens 134 Gerichtsverfahren insgesamt 167 Personen festgenommen, weil sie Inhalte in sozialen Netzwerken veröffentlicht oder beworben haben, die von den Behörden als moralisch anstößig eingestuft wurden. Es handelt sich um die höchste Zahl solcher Verfahren seit dem Jahr 2020.
Besonders auffällig ist die Zusammensetzung der Betroffenen. Laut der Ägyptischen Initiative für Persönliche Rechte sind 107 der Festgenommenen Frauen. Der überwiegende Teil veröffentlichte Videos auf Plattformen wie TikTok oder Instagram. Darunter Tanzvideos, Schmink Tutorials oder Alltagsszenen. Inhalte, die international als banal gelten, werden in Ägypten unter Straftatbestände wie „Verletzung familiärer Werte“ oder „Förderung unsittlichen Verhaltens“ gefasst.
Das ägyptische Innenministerium dokumentiert diese Maßnahmen offen. Auf der offiziellen Facebook Seite werden regelmäßig Bilder von Festgenommenen veröffentlicht. Die Gesichter sind verpixelt, die Personen tragen Hauskleidung, umgeben von beschlagnahmten Mobiltelefonen, Kameras und Bargeld. Diese Veröffentlichungen erfolgen meist kurz nach den Festnahmen und werden als Erfolge der Sicherheitskräfte präsentiert.
Ein international bekannt gewordener Fall ist jener der Influencerin Mawada Al Adham. Sie wurde im Jahr 2021 von einem Strafgericht in Kairo zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete Menschenhandel. Grundlage war, dass sie in ihren Social Media Videos auch Minderjährige zeigte. Die Behörden werteten dies als Ausbeutung. Zuvor war sie bereits wegen Verletzung familiärer Werte verurteilt worden, später in diesem Punkt jedoch freigesprochen worden. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Auslegung des Menschenhandelsbegriffs als rechtlich problematisch.
Ein ähnlicher Fall betrifft Haneen Hossam, deren Verhaftung ebenfalls große Aufmerksamkeit erregte. Beide Verfahren stehen stellvertretend für eine Praxis, bei der moralische Kategorien strafrechtlich weit ausgelegt werden. Die rechtliche Grundlage dafür ist bewusst vage gehalten und ermöglicht den Behörden einen großen Interpretationsspielraum.
Betroffen sind nicht ausschließlich Frauen. Auch Männer wurden festgenommen, weil ihre Inhalte oder ihr äußeres Erscheinungsbild nicht dem von den Behörden definierten Rollenbild entsprachen. Dazu zählen das Tragen von Make up, Schmuck oder lange Haare. Nach Angaben von Human Rights Watch wurden in mehreren Fällen private Inhalte aus Chat Anwendungen als Beweismittel verwendet. In einzelnen Verfahren genügte bereits der Verdacht auf Homosexualität für Ermittlungen.
Die Bandbreite der betroffenen Berufsgruppen ist groß. Festgenommen wurden unter anderem Tätowierer, da Tätowierungen in Ägypten häufig als religiös oder moralisch problematisch gelten. Auch ein Komiker geriet ins Visier der Behörden, weil er ein Interview in Umgangssprache gab, das als vulgär eingestuft wurde. Die Verfahren zeigen kein einheitliches Muster, wohl aber eine klare Stoßrichtung.
Historisch betrachtet ist diese Entwicklung keine völlige Abkehr von früheren Zuständen. Ägypten war nie ein Land umfassender Meinungs oder Lebensfreiheit. Neu ist jedoch die Systematik und Sichtbarkeit des Vorgehens. Was früher selektiv oder informell geregelt wurde, wird heute öffentlich verfolgt und inszeniert. Social Media dient dabei nicht nur als Tatort, sondern als Bühne für staatliche Machtdemonstration.
Der Kontrast zum touristischen Selbstbild ist offensichtlich. Während ausländische Gäste in Badeorten feiern, tanzen und sich frei inszenieren, riskieren ägyptische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger für ähnliche Inhalte strafrechtliche Verfolgung. Dieser Widerspruch ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer klaren Prioritätensetzung. Freiheit wird als kontrolliertes Privileg verstanden, nicht als allgemeines Recht.
Die vorliegenden Zahlen und dokumentierten Verfahren lassen wenig Raum für Interpretationen. Sie zeigen keine Einzelfälle, sondern ein strukturiertes Vorgehen. Ägypten präsentiert nach außen Stabilität und Offenheit, setzt im Inneren jedoch auf gesellschaftliche Disziplinierung. Das Urlaubsimage bleibt intakt, weil die Realität dahinter selten Teil der internationalen Wahrnehmung wird.
Die Fakten liegen vor. Sie widersprechen nicht dem touristischen Bild, sie existieren parallel zu ihm. Genau darin liegt die Brisanz.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot instagram/mawada_eladhm
Samstag, 27 Dezember 2025