Ilhan Omar stimmte nicht für US-Resolution, die den Völkermord an den Armeniern verurteilt

Ilhan Omar stimmte nicht für US-Resolution, die den Völkermord an den Armeniern verurteilt


Die US-Abgeordnete, die Verbindungen mit dem Erdogan-Regime unterhält, verweigerte auch einer Resolution die Stimme, die die Türkei für ihren Einmarsch in Syrien sanktionieren wollte.

Ilhan Omar stimmte nicht für US-Resolution, die den Völkermord an den Armeniern verurteilt

Von Stefan Frank

Mit großer Mehrheit von Abgeordneten beider Parteien hat das US- Repräsentantenhaus am Dienstag für eine Resolution gestimmt, die den an den Armeniern verübten Massenmord im Osmanischen Reich als Genozid anerkennt. Nicht unterstützt wurde die Resolution von Ilhan Omar. Die wegen einer Reihe von antisemitischen Äußerungen auch innerparteilich umstrittene demokratische Abgeordnete stimmte ebenfalls gegen eine Resolution, die Sanktionen gegen die Türkei wegen des türkischen Einmarschs in Syrien fordert.

Der türkische Präsident Reccep Tayyip Erdogan bezeichnete die Resolution einerseits als „bedeutungslos“, andererseits aber als „größte Beleidigung des türkischen Volkes“, und ließ den amerikanischen Botschafter ins Außenministerium einbestellen. Vor der Abstimmung hatte die türkische Botschaft davor gewarnt, „über die Ereignisse von 1915 ein Urteil zu fällen“. „Behauptungen im Hinblick auf die Ereignisse von 1915 ruhen nicht auf rechtlichen und historischen Tatsachen“, hieß es in einer Stellungnahme. „Die Türkei widersetzt sich allen legislativen Schritten und anderen offiziellen Akten, die versuchen, ein Urteil über ihre Geschichte zu sprechen. Die Angelegenheit sollte Historikern überlassen werden.“

Völkermord gut dokumentiert

Der Völkermord an der christlich-armenischen Bevölkerung der Türkei, dem bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen, ist gut dokumentiert. Armin Theophil Wegner (1886-1978), der als Krankenpfleger in einer deutschen Sanitätsexpedition im Osmanischen Reich Augenzeuge war, die Ereignisse trotz strengsten Verbots fotografierte und die Fotos unter Lebensgefahr außer Landes schmuggelte, hielt bereits am 19. März 1919, wenige Monate nach Kriegsende, im Vortragssaal der Berliner Urania einen Lichtbildvortrag mit dem Titel „Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste“.

Auch heute, hundert Jahre später, hört und liest man zuweilen noch die Schutzbehauptung der türkischen Propaganda, wonach die Armenier einfach einem allgemeinen, kriegsbedingten Hunger zum Opfer gefallen seien. Wegners Vortrag ließ keinen Zweifel daran, dass die Austreibung keinen anderen Zweck verfolgte als organisierten Mord. So berichtete er, wie es schon in den Wohnorten der Armenier zu Massakern kam, und was den ganz wenigen widerfuhr, die das Ziel des von Wegner dokumentierten Todesmarschs durch die Wüste, das Dorf Deir es Sor, tatsächlich erreichten:

„Unterwegs nahm man ihnen die Leinewand ihrer Zelte, das letzte Tier, das sie bei sich hatten, ja, man riss ihnen die Kleider von den Gliedern und liess sie nackt weiter marschieren. Plötzlich in einem niederen Talkessel drang Feuer von Maschinengewehren auf sie ein. Die Befehle Talaats und Enver Paschas wurden gründlich zu Ende geführt. Als die Erschossenen zur Erde gesunken waren, gingen Gendarmen über die Leichenhaufen und riefen mit lauter Stimme: ‚Im Namen des Sultan, wer noch am Leben ist, erhebe sich, er soll verschont bleiben!’ Aber die Gnade, die man denen bereitete, die sich zögernd erhoben, war, dass man sie gleichfalls niedermetzelte.“

Auch Kinder, die in einem von der Schweizer Nonne Beatrice Rohner eingerichteten Armenierhilfswerk in Aleppo Unterschlupf gefunden hatten, wurden von den türkischen Behörden im März 1917 gewaltsam von dort herausgeholt um auch sie der Vernichtung zuzuführen: „Allzu lange aber sollte Schwester Beatrix ihre glücklich geretteten Zöglinge nicht bei sich behalten“, berichtete Wegner. „Eines Tages wurden sie ihr mit Gewalt von den türkischen Behörden genommen und weiter in die Wüste geschickt. Man wollte ja ein Exempel statuieren und den Armeniern beweisen, dass sie von keiner Seite Hilfe zu erwarten hatten.“

Überparteiliche Resolution

Die Resolution im US-Repräsentantenhaus wurde mit 405 zu 11 Stimmen angenommen. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sprach von einem „feierlichen Gedenken an eine der größten Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts“. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Adam Schiff (Demokraten), in dessen kalifornischem Wahlbezirk viele Armenier leben, twitterte:

„Das Haus hat gerade dafür gestimmt, den armenischen Völkermord anzuerkennen – eine Abstimmung, für die ich seit 19 Jahren gekämpft habe, auf die Zehntausende armenisch-amerikanischer Wähler seit Jahrzehnten gewartet haben. Wir werden uns nicht an Völkermordleugnung beteiligen. Wir werden nicht schweigen. Wir werden nie vergessen.“

Die Resolution erinnert in der Einleitung daran, auf welche Weise sich die Vereinigten Staaten im Lauf der Geschichte mit dem Völkermord befasst haben: Dass Henry Morgenthau, der damalige US-Botschafter im Osmanischen Reich, schon 1915 von einer „Kampagne der Rassenvernichtung“ gesprochen habe; dass US-Außenminister Robert Lansing ihn ermutigt habe, sich für ein Ende der Verfolgung der Armenier einzusetzen; dass sich US-Präsident Woodrow Wilson nach Kriegsende für die Einrichtung und Finanzierung von Hilfswerken im Nahen Osten eingesetzt habe; dass Raphael Lemkin, der 1944 den Begriff „Genozid“ prägte und einer der frühesten Verfechter der UN-Konvention zur Verhinderung und Bestrafung von Völkermord war, den Mord an den Armeniern als „definitives Beispiel für einen Genozid“ genannt habe. Erwähnt wird auch, dass Adolf Hitler 1939 in einer Rede vor Offizieren am Vorabend des Überfalls auf Polen sagte: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“

Der Kern der Resolution umfasst drei Forderungen:

  • Des Genozids soll durch „offizielle Anerkennung und Erinnerung“ gedacht werden,
  • Bestrebungen, die US-Regierung in irgendeiner Weise an der „Leugnung des Völkermords“ zu beteiligen, sollen „zurückgewiesen“ werden,
  • die Öffentlichkeit soll dazu „ermuntert“ werden, sich mit den „Tatsachen des Genozids an den Armeniern“ und ihrer „Relevanz“ für die heutige Zeit zu beschäftigen.

Schon zweimal – am 24. April 1975 und am 24. April 1985 – hatte es in den USA einen vom Kongress ausgerufenen nationalen Tag des Gedenkens „an die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen“ gegeben. Der 24. April gilt als der offizielle Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern, weil am 24. April 1915 die massenhaften Deportationen von Armeniern im Osmanischen Reich begannen.

Enttäuschung über Ilhan Omar

Dass Minnesotas Abgeordnete Ilhan Omar sich bei der Resolution der Stimme enthielt, sorgt unter den armenischstämmigen Bürgern des Bundesstaats für Unmut. Omar ist bekannt dafür, immer unter den Ersten zu sein, wenn es darum geht, Israel zu dämonisieren.

In einer schriftlichen Erklärung schreibt Omar, „die Anerkennung des Völkermords“ dürfe „nicht als Knüppel in einem politischen Kampf eingesetzt werden“. „Dies sollte auf der Grundlage eines akademischen Konsenses außerhalb der geopolitischen Interessen geschehen.“ Eine „echte Anerkennung historischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ müsse „sowohl die abscheulichen Völkermorde des 20. Jahrhunderts als auch frühere Massenmorde wie den transatlantischen Sklavenhandel und den Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern umfassen, bei denen Hunderte von Millionen Ureinwohnern in diesem Land ums Leben kamen.“ Aus diesem Grund habe sie sich enthalten.

Ein Reporter der Star Tribune, der auflagenstärksten Zeitung von Minnesotas größter Stadt Minneapolis (wo Omar ihren Wahlkreis hat), zitierte Pastor Tadeos Barseghyan von der armenischen Kirche St. Sahag in Minnesotas Hauptstadt St. Paul, der sagte, er sei „erfreut über das Votum, aber enttäuscht von Omars Enthaltung“. „Es geht um eine Anerkennung der Opfer und ihrer Nachfahren“, so Barseghyan. Das Argument, dass aufgrund politischer Entwicklungen gerade nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Resolution sei, hätten die Armenier schon zu oft gehört. „Gibt es einen richtigen oder falschen Zeitpunkt, um für die Gerechtigkeit aufzustehen, deren Verfechterin zu sein sie behauptet?“, fragte der Pastor im Hinblick auf Omar.

Omars Begründung, man müsse auch der Opfer der Sklaverei und der Massaker an den amerikanischen Ureinwohner gedenken, ist reiner Whataboutism, ein Ablenkungsmanöver, um nicht über das zur Debatte stehende Thema, in diesem Fall den Völkermord an den Armeniern, sprechen zu müssen. Zum einen hat der Genozid an den Armeniern nichts mit den anderen beiden Verbrechen zu tun, zum anderen hat sich der Kongress bereits in der Vergangenheit (2008 bzw. 2009) in Resolutionen mit der Sklaverei und der Tötung und Verfolgung der Ureinwohner befasst.

Der Hinweis auf andere Verbrechen ist keine moralische Begründung, nicht über den Völkermord an den Armeniern zu reden. Omar suchte nach einem Vorwand, um zu erklären, warum sie der Resolution nicht zugestimmt hat, ohne bekennen zu müssen, dass sie es sich mit ihren Unterstützern in der Türkei und ihrem Freund Erdogan nicht verscherzen will.

Die Omar-Erdogan-Verbindung

Es ist in diesem Zusammenhang von einiger Bedeutung, dass das Repräsentantenhaus ebenfalls am Dienstag eine Resolution verabschiedete, in der es Sanktionen gegen die Türkei wegen des Einmarschs in Syrien forderte. Wer war die einzige Abgeordnete der Demokraten, die der Resolution die Stimme verweigerte? Wiederum Ilhan Omar. Diesmal wählte sie die Begründung, sie finde Sanktionen im Allgemeinen „kontraproduktiv“ (außer wenn sie Israel betreffen).

Der NBA-Basketballer Enes Kanter – ein gebürtiger Türke, der für die Boston Celtics spielt und derzeit staatenlos ist, weil er vom Erdogan-Regime ausgebürgert wurde –gab daraufhin Ilhan Omar etwas von ihrer eigenen Medizin zu schmecken und richtete gegen sie den Vorwurf, sie sei gekauft (Omar hatte dies Anfang des Jahres pauschal jeglichen Unterstützern Israels im Kongress unterstellt und damit in ihrer eigenen Partei für Empörung gesorgt): Es sei eine „absolute Enttäuschung und Schande“, dass Ilhan Omar als einzige unter den Demokraten die Türkei-Resolution nicht unterstützt habe, twitterte Kanter. Omar „scheint auf der Lohnliste von Diktator Erdogan zu stehen und für dessen Interessen zu arbeiten, nicht aber für das amerikanische Volk und Demokratie!“

Einen Tag nach den beiden Abstimmungen wurde bekannt, dass Ilhan Omar im vergangenen Monat Geld von Halil Mutlu erhalten hat. Mutlu ist ein Cousin Erdogans, der in den USA über das von ihm geführte Turkish American Steering Committee (TASC) Lobbyarbeit für Erdogan macht. Das TASC ist jener Verein, vor dem Erdogan am 23. September während seines Aufenthalts in New York anlässlich der UN-Generalversammlung eine Rede hielt, in der er Israel einen „Holocaust“ im Gazastreifen vorwarf.

Das heißt nicht, dass Omar gekauft wäre. Solche Zahlungen zeigen nur, wer mit ihr sympathisiert und sie unterstützt. Wie Mena-Watch im März berichtete, hatte Omar im Wahlkampf Spenden von etlichen Lobbyorganisationen und Einzelpersonen erhalten, die mit Omars Wahlkreis in Minnesota nichts zu tun haben, dafür aber der Muslimbruderschaft nahestehen. Die islamistische Organisation CAIR, die für Omar die Werbetrommel rührt, hatte Treffen mit Spendern in Kalifornien organisiert. Auch die AKP des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist mit den radikal-islamischen Muslimbrüdern verflochten; Anfang Mai warnte die AKP die Vereinigten Staaten davor, die Muslimbruderschaft als Terrororganisation einzustufen – dies würde „die Demokratie schädigen“.

Es gibt also eine ideologische und organisatorische Verflechtung zwischen Ilhan Omar und dem Erdogan-Regime, die Omar davon abhielt, für die beiden Resolutionen zu stimmen. Freilich gibt es auch eine andere Erklärung: dass sie es einfach aus innerer Überzeugung getan hat – weil sie den türkischen Einmarsch in Syrien gut findet und nicht meint, dass die Ermordung der Armenier während des Ersten Weltkriegs ein Völkermord war und einer Resolution wert wäre.

Die Hypothesen schließen einander nicht aus, sie können durchaus beide richtig sein: Omar wird von Erdogan unterstützt, weil sie einander so ähnlich sind – politische Verbündete, wenn nicht gar Seelenverwandte.

 

Foto: Türkischer Präsident Erdogan und US-Abgeordnete Omar


Autor: Stefan Frank
Bild Quelle: Screenshot YT


Sonntag, 03 November 2019