Was einem US-Demokraten und Pastor zum Judenstaat einfällt

Was einem US-Demokraten und Pastor zum Judenstaat einfällt


In der Vergangenheit fiel der demokratische Kandidat für die Senatswahl in Georgia durch antiisraelische Tiraden auf, kurz vor der entscheiden Stichwahl im Januar gibt er sich geläutert.

Was einem US-Demokraten und Pastor zum Judenstaat einfällt

Von Stefan Frank

Der Wahlkampf zur Stichwahl zum US-Senat in Georgia, die am 5. Januar stattfindet, hat im Dezember ein neues Thema gefunden: Äußerungen über Israel, die Raphael Warnock, einer der beiden Kandidaten der Demokraten, in den letzten Jahren gemacht hat – und die er jetzt, wo sie zum Wahlkampfthema geworden sind, nicht mehr so gemeint haben will.

Die Stichwahl, bei der beide dem Bundesstaat Georgia zustehenden Sitze im US-Senat neu vergeben werden, ist die Fortsetzung der Senatswahl vom 3. November und nötig, weil in der ersten Runde keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Laut Georgias Wahlgesetz können bei den Wahlen zum Senat beliebig viele Kandidaten derselben Partei antreten, was zur Folge hat, dass sie sich gegenseitig Stimmen wegnehmen und nicht immer schon in der ersten Runde ein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht.

Im ersten Rennen hatte der republikanische Senator David Perdue gegen den demokratischen Herausforderer Jon Ossof ein Ergebnis von 49,7 zu 47,9 Prozent erzielt. Im zweiten Rennen lag die republikanische Senatorin Kelly Loeffler (26 Prozent), die starker Konkurrenz vonseiten des innerparteilichen Konkurrenten und Trump-Vertrauten Doug Collins (20 Prozent) ausgesetzt war, hinter Raphael Warnock, der 33 Prozent erreichte. Auf die zahlreichen anderen Kandidaten der Demokraten entfielen zusammen etwa 16 Prozent.

Bei der Stichwahl wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen um beide Senatssitze prognostiziert, wenige Tausend Stimmen könnten den Ausschlag geben.

Von der Kanzel gegen Israel

In einer Fernsehdebatte, die am 6. Dezember stattfand, warf die republikanische Senatorin Kelly Loeffler ihrem Gegner Warnock vor, „antiisraelisch“ zu sein und Israel als „Apartheidstaat“ bezeichnet zu haben. Warnock ist Pastor der historischen Ebenezer Baptist Church in Atlanta, in der der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King jr. einst Hilfsprediger war, dessen Vater Pastor. In einer Predigt von 2018 sagte Warnock mit Bezug auf die Angriffe der Hamas auf den Grenzzaun, die damals gerade stattfanden:

„Wir haben gesehen, wie die Regierung von Israel unbewaffnete palästinensische Schwestern und Brüder wie Beutevögel erschossen hat.“ (hier ab 20:40)

Warnock behauptete dies 14 Tage nachdem die Hamas erklärt hatte, 50 der 62 am Grenzzaun Getöteten seien ihre Kämpfer gewesen.

2019 reiste Warnock zusammen mit anderen schwarzen Pastoren aus den USA und aus Südafrika in die palästinensischen Autonomiegebiete und nach Jerusalem; anschließend unterzeichnete er ein Manifest, in dem Israels angebliche Unterdrückung der arabischen Bevölkerung in eine Reihe gestellt wurde mit dem Apartheidsregime in Südafrika, der DDR, der Sklaverei in den Südstaaten der USA und sogar dem Holocaust. Zudem wurde Israelis darin unterstellt, von „Hass“ getrieben zu sein und alle möglichen Verbrechen zu verüben.

Die arabischen Palästinenser kamen hingegen ausschließlich als „Opfer“ vor, die einzig von dem Wunsch nach „Rückkehr“ beseelt seien (die sie sich offenbar als friedliches Nachhausekommen vorstellen, nicht als Gewalt und ethnische Säuberung). So heißt es in dem Dokument:

„Wir besuchten ein Flüchtlingslager von displaced persons, die immer noch die Schlüssel ihrer vor über 70 Jahren beschlagnahmten Wohnungen haben. Wir trafen Männer, Frauen und Kinder, die selbst oder deren Familienmitglieder Opfer staatlicher Gewalt in der Form von Verhaftung, Verhör, Tränengas, Schlägen, erzwungener Geständnisse oder Tod wurden.“

Das alles, wird suggeriert, widerfuhr diesen „Opfern“ aus heiterem Himmel, völlig ohne Anlass. Indem alle Maßnahmen, die die israelische Polizei ergreift, pauschal und ungeprüft für unrechtmäßig erklärt werden, wird Israel jegliches Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen.

Die Morde an Juden bleiben in dem Manifest ebenso unerwähnt wie Gewalt gegen Juden. Auch die palästinensischen Organisationen, deren erklärter Existenzzweck es ist, Juden zu töten, werden nicht erwähnt. Warum es in „Palästina“ auch nach über 70 Jahren noch „Flüchtlingslager“ gibt, deren Bewohner „nach Palästina“ „zurückkehren“ wollen, ist keine Frage, die die Pastoren beschäftigte – auch nicht, warum die allermeisten derer, die angeblich vor über 70 Jahren zu displaced persons wurden, deutlich jünger als 70 sind.

Der Palästinensischen Autonomiebehörde, die mit ihren „Märtyrerrenten“ ein Kopfgeld auf jeden Juden ausgesetzt hat und sogar die Mörder von Kindern belohnt, bescheinigten die Pastoren Friedenswillen:

„Wir hörten und wertschätzten, dass die Führer der Palästinensischen Autonomiebehörde eine bewusste Entscheidung getan haben, bewaffneter Lösungen des Konflikts zu entsagen und beten, dass dies auf gleiche Weise beantwortet wird.“

Die Einzigen, die partout nicht friedlich sein wollen, sind also die Juden, die den angeblichen Friedenswillen von Mahmud Abbas (der sich in Wahrheit seit Jahren weigert, auch nur zu verhandeln) noch nicht beantwortet hätten.

Was die „bewaffneten Lösungen des Konflikts“ betrifft: Offenbar hat niemand Warnock und seine Reisegruppe darauf hingewiesen, in welcher Tradition es steht, die Tötung von Juden als – wie auch immer geartete – „Lösung“ zu bezeichnen. Die Wahl dieses Wortes macht zudem klar, dass das, was Warnock & Co. für eine Lösung halten, sich nicht im Ziel vom Terrorismus der PLO unterscheidet, sondern nur bei der Wahl der Methoden.

Nur bei Juden heißt es „Hass“

So geht es weiter im Text. Nur den Juden wird „Hass“ unterstellt, die Palästinenser spürten bloß „Verzweiflung“ und „Entschlossenheit“:

„Wir spürten die dicke Dichte israelischer Angst, aus der Hass und die Unterstützung drakonischer Sicherheitsmaßnahmen erwachsen, und die palästinensische Angst, die zu einer paradoxen Kombination aus Verzweiflung und hoffnungsvoller Entschlossenheit in einer zermürbenden und entmenschlichenden Existenz führt.“

Wenn also Palästinenser Angst haben, wird daraus entweder Hoffnung oder Verzweiflung, Hass gibt es bei ihnen nicht. Haben hingegen Juden Angst (etwa davor, mit Raketen beschossen oder auf der Straße erstochen oder absichtlich mit dem Auto überfahren zu werden), dann sind sie diejenigen, die irrational sind und müssen sich vorhalten lassen, „Hass“ zu erzeugen.

Der Täter ist immer der Jude. Das machen die Unterzeichner mit zahlreichen Vergleichen deutlich: Die „Mauern“, die die Palästinenser angeblich „einmauern“, erinnerten an die „Berliner Mauer“, schreiben sie. Die „starke Militarisierung der West Bank“ erinnere „an die militärische Besatzung Namibias durch das Apartheidsüdafrika“.

Man sieht: Die Vergleiche sind völlig willkürlich. Nehmen wir die „Mauer“ (in Wahrheit ist die israelische Sperranlage zum größten Teil ein Zaun; nur da, wo erwiesenermaßen die Gefahr besteht, dass Scharfschützen Menschen töten können, wurde eine Mauer gebaut). Bei einer Mauer könnten die Pastoren auch an die Jerusalemer Stadtmauer denken, deren Wiederaufbau in der Bibel als Gottes Werk bezeichnet wird: „Und als alle unsere Feinde das hörten, fürchteten sich alle Völker, die um uns her wohnten, und der Mut entfiel ihnen; denn sie merkten, dass dies Werk von Gott war.“ (Nehemia 6,16). Aber nein, es muss die „Berliner Mauer“ sein, woran Warnock und die anderen Unterzeichner sicherlich den Wunsch geknüpft haben werden, dass Israel eines Tages ebenso verschwindet wie einst die DDR.

Wenn jemand eine „starke Militarisierung“ beobachtet, könnte er fragen, was dem wohl vorausgegangen sein mag. Wenn man partout irgendwelche historischen Analogien ziehen will, warum dann nicht die israelischen Soldaten mit jenen US-Soldaten vergleichen, die gegen die Südstaaten oder gegen Hitler kämpften? Die Analogieschlüsse im von Warnock unterzeichneten Dokument aber legen etwas anderes nahe: Israel stehe in einem Kontinuum des Bösen.

Je weiter sich das Manifest seinem Ende nähert, desto irrer werden die Vergleiche. Schließlich heißt es:

„Wir geben zu, dass Schweigen angesichts von Ungerechtigkeit Mitschuld ist. In der Tat gab es viele Christen, die still waren und ihre Ohren vor dem Geräusch des tödlichen Apartheid-Stiefels im Leben südafrikanischer Schwarzer verschlossen.

Es gab ganze Gemeinschaften von Christen, die nicht nur die unermessliche Entmenschlichung der Menschen durch Sklaverei billigten, sondern von diesem Übel profitierten … Gemeinden und Nachbarn in Europa schwiegen und waren mitschuldig am Schrecken des Holocaust. Wir werden und können nicht schweigen.“

Die angeblichen israelischen Missetaten wären demnach entweder mit dem Holocaust vergleichbar oder zumindest die Vorstufe dazu. Wenn das so wäre, müsste die Reaktion darauf entsprechend ausfallen. Die extremen Vergleiche dienen also dazu, extreme Maßnahmen gegen Israels Bevölkerung zu legitimieren. Können Christen den Holocaust an den Juden auch nicht ungeschehen machen, so sollen sie doch jetzt zumindest die Juden davon abhalten, die Palästinenser in Viehwaggons zu pferchen und nach Auschwitz zu transportieren, so die Logik der Antisemiten.

Warnocks plötzlicher Sinneswandel

Pfarrer Raphael Warnock hat das unterschrieben und fühlte sich fast zwei Jahre lang gut damit, einer von denen zu sein, die nicht schweigen, wenn Hass auf Juden geschürt wird, sondern dabei mitmachen. Erst acht Tage bevor am 14. Dezember die Frühwahlperiode der Stichwahl um Georgias Sitz im Senat begann, die er gern gewinnen möchte, verspürte er einen leichten Sinneswandel.

„Ich glaube nicht, dass Israel ein ‚Apartheidstaat ist, wie einige suggeriert haben“, sagte er in der Fernsehdebatte. Die Kommentare seien „im Kontext des Schutzes von Menschenrechten der Palästinenser“ gemeint gewesen, auch habe er „eine wachsende Anerkennung der Hamas und der Gefahr, die sie für das israelische Volk bedeutet“.

2016 hatte Warnock in einer Predigt erklärt, die Position des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu lasse sich wiedergeben mit: „Besatzung heute, Besatzung morgen, Besatzung für immer.“ Damit sollte Netanjahu in die Nähe von George Wallace (1919-1998), dem berüchtigten einstigen Gouverneur von Alabama gerückt werden, der ein glühender Verfechter der Rassentrennung war und 1963 in seiner Antrittsrede sagte: „Rassentrennung heute, Rassentrennung morgen, Rassentrennung für immer“.

Demokraten und Republikaner sind sich einig, dass die bevorstehende Wahlentscheidung die wichtigste Senatswahl in der Geschichte der USA ist. Denn von ihr hängt ab, ob die Demokraten außer dem Weißen Haus und dem Repräsentantenhaus auch den Senat kontrollieren werden. Das würde ihnen gestatten, weitreichende Gesetzesvorhaben und institutionelle Veränderungen durchzuführen.

Eine der ersten Handlungen eines von den Demokraten beherrschten Senats wäre die Aufnahme von Washington D.C. als 51. Bundesstaat. Das hat das Repräsentantenhaus im Juni bereits beschlossen. Puerto Rico könnte bald darauf der 52. Bundesstaat werden, eine entsprechende Vorlage liegt bereits im Repräsentantenhaus und wartet auf die Abstimmung. Die Aufwertung des District Columbia und Puerto Ricos zu Bundesstaaten würde den Demokraten vier sichere weitere Senatssitze bescheren und ihre Mehrheit im Senat auf sehr lange Sicht zementieren.

Wie die Kirchen zu Israel stehen

Laut einer PEW-Umfrage besuchen 42 Prozent der Erwachsenen in Georgia mindestens einmal in der Woche einen Gottesdienst, nur 24 Prozent selten oder nie. Der Glaube und geistliche Fragen spielen im Wahlkampf also eine Rolle – umso mehr, als Warnock Pastor ist und seine spirituellen Standpunkte bei ihm also keine reine Privatsache sind.

Was ihre Stellung zu Israel betrifft, sind die protestantischen Kirchen in Amerika in zwei gegensätzliche Lager gespalten. Das eine – proisraelische – Lager glaubt, dass Gott den Bund, den er mit den Juden geschlossen habe, nie widerrufen habe; dass sich die zahlreichen biblischen Prophezeiungen der Rückführung der Juden in ihre historische Heimat – „Der Israel zerstreut hat, der wird’s auch wieder sammeln und wird sie hüten wie ein Hirte sein Herde.“ (Jeremia 31,10) – mit der Gründung des Staates Israel erfüllt hätten.

Sie glauben, dass sich die Nichtjuden am Ende der Tage vor Gott dafür zu verantworten hätten, wie sie die Juden behandelt haben: „Denn siehe, in jenen Tagen und zur selben Zeit, da ich das Geschick Judas und Jerusalems wenden werde, will ich alle Völker zusammenbringen und will sie ins Tal Joschafat hinabführen und will dort mit ihnen rechten wegen meines Volks und meines Erbteils Israel, weil sie es unter die Völker zerstreut und sich mein Land geteilt haben.“ (Joel 4,4).

Christen, die die Israel betreffenden Prophezeiungen als erfüllt ansehen bzw. ihre Erfüllung in der Zukunft erwarten, werden von ihren Gegnern oft als „christliche Zionisten“ bezeichnet (bei manchen ist es auch eine Selbstbezeichnung). Warnocks Kirche gehört dem National Council of Churches (NCC) an, der sagt:

„Christlicher Zionismus ist eine gefährliche Bewegung, die die Lehren der Kirche verzerrt, Furcht und Hass auf Muslime und nichtwestliche Christen schürt und negative Folgen für den Nahostfrieden hat.“

Der NCC lehnt es ab, Jerusalem als Israels Hauptstadt zu bezeichnen und unterstützt ausdrücklich die Erklärung Kairos Palästina, in der ein umfassender Boykott Israels gefordert wird. Weil Israel aber in Georgia – dessen Bevölkerung laut der PEW-Umfrage zu 38 Prozent aus Evangelikalen besteht – sehr beliebt ist, wirbt Raphael Warnock nun mit einem Brief um Wähler, in dem er schreibt:

„Ohne Vorbehalt können Sie sich darauf verlassen, dass ich mit der jüdischen Gemeinde und Israel im US-Senat zusammenarbeite.“

Es ist auffällig: In den USA geben sich viele Politiker nie so israelfreundlich wie kurz vor einer Wahl. Barack Obama, der heutzutage Israels Geschichte umschreibt, um die israelische Staatsgründung zu einem Akt des Bösen zu machen und der den Tempelberg zu einem „islamischen Heiligtum“ erklärt, das Juden nicht betreten dürften, hatte wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl 2012 noch emphatisch erklärt, dass Jerusalem die „ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben“ werde; kurz vor der Wahl 2008 hatte er sich ähnlich geäußert.

Und Ilhan Omar, die durch antisemitische Äußerungen berüchtigte Abgeordnete im Repräsentantenhaus, hatte weniger als drei Monate vor ihrer Wahl, am 6. August 2018, bei einer Podiumsdiskussion in der Beth-El-Synagoge in Minneapolis’ Vorort St. Louis Park beteuert, „BDS“ abzulehnen, da die Kampagne einer Lösung des arabisch-israelischen Konflikts „abträglich“ sei. Wenige Tage nach der Wahl gab sie zu, doch eine „BDS“-Unterstützerin zu sein.

Jay Bailey, Pastor der Solid Rock Church in Warm Springs und Georgias Direktor von Christians United for Israel, der größten Pro-Israel-Organisation der USA, kommentierte Warnocks Brief so: „Ich glaube an die Kraft der Umkehr. Aber Warnocks scharfe Wendung und das bequeme Timing lassen das verdächtig erscheinen.“ Und für seine „widerlichen Verdammungen Israels“ entschuldigt habe sich Warnock immer noch nicht.

 

MENA Watch -


Autor: Stefan Frank
Bild Quelle: Raphael Warnock, Public domain, via Wikimedia Commons


Mittwoch, 16 Dezember 2020