Wo waren die Polizei und die Nationalgarde?

Wo waren die Polizei und die Nationalgarde?


Militante Anhänger von US-Präsident Donald Trump haben am Dienstag das Kapitol in Washington gestürmt, nachdem sie mühelos eine Polizeikette durchbrochen hatten. Warum haben die Polizei und die Nationalgarde das nicht verhindert?

Wo waren die Polizei und die Nationalgarde?

Von Stefan Frank

Fassen wir die Ereignisse zusammen: Der Kongress war gerade zur Auszählung der Wahlmännerstimmen der Präsidentschaftswahl zusammengekommen. Einige republikanische Kongressabgeordnete legten Widerspruch gegen mehrere Wahlmännerstimmen ein. Das hatten demokratische Abgeordnete bei den letzten drei Malen, als ein Republikaner zum Präsidenten gewählt worden war – 2000, 2004 und 2016 – ebenfalls getan. Präsident Trump hatte seinen Stellvertreter Mike Pence vor der Sitzung aufgefordert, die Stimmen jener Bundesstaaten, in denen Trump Wahlbetrug vermutet, zurückzuweisen. Pence lehnte dies jedoch ab: „Es ist mein überlegtes Urteil, dass mein Eid, die Verfassung zu unterstützen und zu verteidigen, mich davon abhält, einseitig die Autorität zu beanspruchen, zu bestimmen, welche Wahlmännerstimmen gezählt werden sollen und welche nicht“, teilte Pence in einem von ihm unterschriebenen Brief mit. Daraufhin twitterte Trump:

„Mike Pence hatte nicht den Mut, das zu tun, was hätte getan werden sollen, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen: den Staaten die Möglichkeit zu geben, eine korrigierte Reihe von Tatsachen zu bestätigen, anstelle der betrügerischen oder falschen, die ihnen zuvor zur Bescheinigung gegeben wurden.“ 

Der Tweet wurde von Twitter gelöscht. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich in der Pennsylvania Avenue in Washington eine Menschenmenge zusammengefunden, um gegen die Bestätigung des Wahlergebnisses zu demonstrieren. Zu dieser Demonstration hatte Donald Trump aufgerufen. Ein Teil der Demonstranten machte sich später auf den Weg zum Kapitol. 

Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte, das Wahlergebnis in der vorliegenden Form sei zu akzeptieren, „der Wille des amerikanischen Volkes“ dürfe „vom Kongress nicht außer Kraft gesetzt“ werden. „Wenn wir ihn außer Kraft setzen, werden wir unserer Republik für immer Schaden zufügen.“ Ungefähr zu dieser Zeit durchbrachen militante Anhänger Trumps die spärliche Polizeikette, die zum Schutz des Kapitols abgestellt worden war, und drangen in die Sitzungssäle und in Abgeordnetenbüros ein. Die Wahldebatte im Senat musste unterbrochen werden.

Es gab Blutvergießen

Filmaufnahmen zeigen, wie Chaoten die Mauer unter der Balustrade des Kapitols erklettern und Fensterscheiben des Parlamentsgebäudes einschlagen. Berichten zufolge verhielten sich die Eindringlinge auch im Gebäude selbst extrem respektlos, indem sie beispielsweise Schreibtische durchwühlten oder sich auf den Stuhl des Senatsvorsitzenden und den Rednerstuhl im Repräsentantenhaus setzten. 

Es gab Blutvergießen. Unter bislang ungeklärten Umständen wurde eine Frau von einem Polizisten erschossen, drei weitere Personen starben bei nicht näher bezeichneten „medizinischen Notfällen“. Donald Trump rief seine Anhänger in einem Video auf:

„Ihr müsste jetzt nach Hause gehen. Wir müssen Frieden haben. Wir müssen Recht und Ordnung haben.“

Doch Trump war weit entfernt davon, sich entschieden gegen die Chaoten zu stellen, sondern sagte: 

„Wir lieben euch, ihr seid sehr besonders.“

Trotz dieser scheinbaren Verniedlichung der Krawallmacher wäre Trumps Appell an seine Anhänger, friedlich nach Hause zu gehen, wichtig zur Deeskalation gewesen – insofern war es sehr unglücklich, dass das Video von Twitter, Facebook und zeitweilig auch von YouTube gelöscht wurde. Twitter sperrte zudem Trumps Account. Der Präsident verurteilte erst einen Tag später die Invasion des Kapitols, sprach von einem „abscheulichen Angriff“ und sagte, er sei „empört über die Gewalt, die Gesetzlosigkeit und das Chaos“. Andere republikanische Politiker hingegen verurteilten die Ausschreitungen, noch während diese im Gange waren. Der texanische Senator Ted Cruz schrieb auf Twitter:

„Diejenigen, die das Kapitol stürmen, müssen JETZT aufhören. Die Verfassung schützt friedlichen Protest, aber Gewalt – von links oder rechts – ist IMMER falsch. Und diejenigen, die Gewalt anwenden, verletzen die Sache, von der sie sagen, dass sie sie unterstützen.“

Der Trump-Vertraute und ehemalige amerikanische Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, forderte ein hartes Durchgreifen der Polizei:

„Verwenden Sie das Videomaterial, identifizieren Sie jede Person, die Gewalt begeht – und verhaften und verfolgen Sie sie. Dies ist völlig inakzeptabel.“

Wie konnte es zu den Ausschreitungen kommen und warum wurden sie nicht sofort im Keim erstickt? Präsident Trump trägt eine Mitschuld, weil er seinen Anhängern suggeriert hatte, am Mittwoch in Washington sei der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort, um am Wahlergebnis in seiner vorliegenden Form noch etwas zu ändern. Zudem hatten in den Tagen zuvor einige Leute, die nicht mit Trump in Verbindung stehen, aber bei manchen von dessen Anhängern Akzeptanz finden, eine geradezu geisteskranke Demagogie betrieben. Sie gipfelte darin, dass Lin Wood, ein Rechtsanwalt aus Florida, der durch seine Klagen gegen die Stimmauszählung in Georgia eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, im Internet schrieb, Vizepräsident Mike Pence betreibe eine Verschwörung gegen Trump und werde sicherlich geständig sein („singen wie ein Vogel“), wenn er „dem Erschießungskommando“ gegenüberstehe. So aufgehetzt mögen viele der Chaoten auf dem Kapitol unter dem Eindruck gestanden haben, es sei das Jahr 1776 und gelte, die Briten zu vertreiben.

US-Städte versinken in Gesetzlosigkeit

Allerdings muss man die Situation auch in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang sehen:

1. Das Ausmaß der Gewaltkriminalität in amerikanischen Großstädten ist schockierend. Allein in Chicago wurden 2020 über 700 Menschen ermordet, darunter auch Kinder und zehn Polizisten. 

2. Seit fast einem Jahr verharmlosen, beschönigen und billigen die Massenmedien den Einsatz politischer Gewalt in amerikanischen Städten. So schrieb ein Journalist des öffentlichen amerikanischen Rundfunknetzwerks NPR im Hinblick auf die Ausschreitungen in Portland – bei denen es neben Brandschatzungen und Plünderungen zahlreiche Verletzte und einen Toten gab – dass der Begriff „Ausschreitungen“ „rassistisch“ sei, weswegen er lieber von „nächtlichen Protesten“ spreche. Besonders schockierend ist ein letztes Jahr erschienenes Buch des Linksextremisten Vicky Osterweil, in dem dieser unverhohlen zu Gewalt, Zerstörung, Plünderung und der Tötung von Polizisten aufruft. Osterweil durfte seine Thesen im NPR-Radio vorstellen, das New York Journal of Books schrieb, es sei „eine Reflexion über Gewalt als eine Form des sozialen Protests, die zu gesellschaftlichem Wandel führen kann.“

3. Im linken wie auch im rechtsextremen Spektrum gibt es seit Jahren militante Anarchisten, die die Republik, ihre Symbole und Vertreter bekämpfen. Einige Beispiele dafür: 2011 schießt ein Mann in Arizona der populären demokratischen Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords in den Kopf. Sie überlebt entgegen anfänglicher Prognosen. 2016 schießt ein Mann dem konservativen Prediger Tim Remington in den Kopf und den Rücken, nachdem dieser bei einer Wahlkampfveranstaltung mit dem republikanischen Senator Ted Cruz aufgetreten war. Auch Remington überlebt wie durch ein Wunder. 2017 schießt ein radikaler Anhänger des sozialistischen Senators Bernie Sanders minutenlang in Virginia mit einem Gewehr auf republikanische Kongressabgeordnete, die auf einem Baseballplatz Sport treiben. Nur weil das Feld umzäunt, das Tor verschlossen ist und die Sicherheitskräfte schnell eintreffen, gibt es lediglich Schwerverletzte, aber keine Toten. Wie sich herausstellte, hegte der Täter Hass auf Präsident Trump und alle Republikaner. Noch zwei Tage vor der Tat hatte er auf Facebook geschrieben: „Ich möchte sagen, Mr. President, du bist das größte Arschloch, das wir je im Oval Office hatten.“ Der Täter hatte auch eine Internetpetition unterschrieben, die dazu aufforderte, Trump und dessen Vize Mike Pence wegen „Verrats“ des Amtes zu entheben. 2018 unterbrechen linksgerichtete Demonstranten durch lautes Geschrei mehrmals die Sitzung des US-Senats, bei der der Richter Bratt Kavanaugh als Richter des Supreme Court bestätigt werden soll. Auch nationale Monumente sind Chaoten nicht heilig: Seit Beginn der „George-Floyd-Proteste“ im Mai 2020 wurden landesweit zahlreiche Denkmäler der Gründerväter und Abraham Lincolns zerstört, ebenso sowie die Nachbildung der Freiheitsglocke in Portland.

4. Die Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten, wie sie sich durch das Durchbrechen der Polizeikette vor dem Kapitol manifestierte, eskaliert. Sie wird vor allem vom linken Flügel der Demokraten geschürt, der die Polizei ganz abschaffen will. So will der Stadtrat von Minneapolis die Polizei so schnell wie möglich auflösen. Seattle richtete im Juni eine „polizeifreie Zone“ in der Innenstadt ein, in der Anarchie herrschte und Morde verübt wurden, ehe die Polizei Wochen später zurückkehrte. Seattle und andere Städte kürzten die Polizeietats, damit die Polizei keine Beamten mehr einstellen kann. New York City und andere Städte haben Gesetze beschlossen, die Festnahmen erschweren. So dürfen Polizisten in New York keinen Druck mehr auf den Rücken oder die Brust der festzunehmenden Person ausüben und bringen sich dadurch selbst in Gefahr. Die Folge ist offenbar eine Art Bummelstreik der Polizisten, die viel weniger Verhaftungen vornehmen als früher, weil diese ja politisch nicht gewollt sind. Das hat es sicherlich begünstigt, dass die Zahl der Schießereien in New York 2020 um 97 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist, die der Morde um 47 Prozent.

Der Krieg gegen die Polizei

Dieser politische Krieg gegen Polizisten hat in Washington auf ganz konkrete Weise zu der Katastrophe am Kapitol beigetragen. Wie amerikanische Zeitungen übereinstimmend berichten, war die Polizei den Chaoten nicht nur zahlenmäßig weit unterlegen, sondern auch von der Ausrüstung her völlig unvorbereitet. Der bekannte linksliberale Blog The Daily Beast hat dazu den pensionierten ehemaligen stellvertretenden Polizeichef von New York, Thomas Graham, befragt, der während seiner Dienstzeit für die Einheit zur Aufstandsbekämpfung zuständig war. Graham sagt:

„Dies war eine pissschlechte Planungsleistung. Sie waren aus irgendeinem Grund nicht vorbereitet. Sie waren nicht bereit, das Kapitol zu schützen. Schande über sie.“

Graham nennt konkrete Beispiele. So habe die Polizei die Demonstranten viel zu nahe ans Gebäude gelassen. So etwas dürfe niemals passieren. Zudem weist er auf eklatante Mängel bei der Ausrüstung der Polizeibeamten hin. The Daily Beast schreibt:

„Graham bemerkte, dass, soweit er sehen konnte, nur einige der Kapitolbeamten Schutzschilde hatten. Er sah nicht viele, die Schutzhelme trugen oder Schlagstöcke hielten. Es fehlte noch etwas anderes: der Anblick von Beamten mit Bündeln von Plastikhandschellen, mit denen sie bei einem Massenauflauf schnell zahlreiche Festnahmen durchführen können.“

Wie ist das zu erklären? Auf der Welle der grassierenden Anti-Polizeistimmung hat der Stadtrat von Washington D.C. im Juli 2020 nicht nur den Polizeietat um 15 Millionen Dollar gekürzt (während die Mordrate auf den höchsten Stand seit 15 Jahren stieg), und viele andere Sanktionen verhängt, um Polizisten den Dienst zu erschweren, sondern die Polizei auch unvorbereitet für den Einsatz gegen Mobs wie die vor dem Kapitol macht. Seit Juli explizit verboten ist der Polizei in Washington D.C. (MPD), seither:

„die Verwendung von Tränengas, Pfefferspray, Kampfausrüstung, Gummigeschossen und Schockgranaten durch MPD (oder Bundespolizei auf nicht bundesstaatlichem Land) als Reaktion auf Proteste.“

Dass die Polizei vor dem Kapitol hilflos war, war also politisch so gewollt. Das wird auch dadurch deutlich, dass Washingtons demokratische Bürgermeisterin Muriel Bowser die Nationalgarde (DCNG), die Vizepräsident Mike Pence auf Bowsers Ersuchen zum Kapitol entsandte, unbewaffnet dort sehen wollte. Wie Newsweek berichtet, schrieb Bowser in einem Brief:

„Während dieses Einsatzes darf kein DCNG-Personal bewaffnet werden, und zu keinem Zeitpunkt werden DCNG-Personal oder deren Gerät mit der Überwachung, Durchsuchung oder Beschlagnahme von US-Bürgern im Inland befasst sein.“

Am liebsten nur mit bloßen Händen in die Schlacht schicken

Die Chaoten hatten darum so leichtes Spiel, weil Bowser die Polizisten und Nationalgardisten am liebsten nur mit bloßen Händen in die Schlacht schicken wollte. So, wie sie ja auch das ganze letzte Jahr tatenlos zugesehen hat, wie militante „Antifas“ die Hauptstadt der USA buchstäblich in Brand gesetzt haben. Ähnliche Bilder gab es in dutzenden anderen Städten der USA. In Kenosha, Wisconsin, stand ein CNN-Reporter bei einem Live-Bericht vor zahlreichen brennenden Autos. Die eingeblendete Schlagzeile lautete: „Hitzige, aber zumeist friedliche Proteste nach Polizeischüssen.“ Erst jetzt, nach den Krawallen im Kapitol, sprechen Journalisten zum ersten Mal von einem „Mob“. Bislang war nur die Polizei der Feind, Krawallmacher galten als die Guten. In einem Bericht über die Haushaltsberatungen des Washingtoner Stadtrats im Juni 2020 heißt es:

„Fast alle der 90 Bürger und Aktivisten, die am Montagnachmittag vor dem Justizausschuss des Rates aussagten, forderten die Abgeordneten auf, nicht nur die von Bürgermeisterin Muriel Bowser vorgeschlagene Erhöhung des Budgets um 3,3% für die Polizeibehörde abzulehnen, sondern auch Ressourcen an andere Dienste weiterzuleiten und die vollständige Abschaffung der Polizei in Betracht zu ziehen.“

Hätte Washingtons Bürgermeisterin eine robuste Truppe von Polizisten und Nationalgardisten zum Kapitol entsandt – mit Schutzausrüstung, Schlagstöcken, Polizeihunden und in der Nähe geparkten Wasserwerfern – hätten sich Szenen wie die am Dienstag niemals abspielen können. Dann hätte es wahrscheinlich auch keine Toten gegeben, höchstens ein paar Leute mit Hundebissen und Tränengas in den Augen. Die erklärten Feinde der Polizei in Amerika tragen eine gehörige Mitverantwortung für das Chaos und Blutvergießen im Kapitol.

Und diejenigen, die Brandschatzungen, Plünderungen und Angriffe auf Polizisten als „nächtliche Proteste“ bezeichnen, haben die Chaoten dazu ermuntert. Wenn man sieht, wie wehrlos die Republik am Dienstag zeitweise war, darf man nicht vergessen, dass es eine politische Agenda gibt, sie wehrlos zu machen. Wird Amerika daraus lernen? Es steht zu befürchten, dass dieselben Politiker, Journalisten und „Aktivisten“, die sich jetzt fragen, warum das Kapitol nicht besser geschützt wurde, schon morgen wieder fordern werden, die Polizei abzuschaffen. Wer weiß, vielleicht werden sie sich durch die Ereignisse vom Dienstag sogar in ihrem blinden Hass auf die Polizei bestätigt fühlen.

 

Erstveröffentlicht bei der Achse des Guten


Autor: Stefan Frank
Bild Quelle: U.S.D.O.D/ Tyler Woodward via Wikimedia Commons


Samstag, 09 Januar 2021