American Alzheimer

American Alzheimer


Angesichts des Ergebnisses der Zwischenwahl zum US-Kongress hat sich gezeigt, das drei von vier Amerikanern jederlei Geschlechts inzwischen vergessen haben, dass es ihnen vor rund zwei Jahren wesentlich besser ging als heute.

American Alzheimer

Von Ramiro Fulano

Doch zunächst zu etwas ganz anderem. Als in der glücklosen und später aufgegebenen Wild-West-Stadt Wyatt – irgendwo in den unermesslichen Weiten des amerikanischen Nordkontinents – im Jahre 1902 die ersten Bürgermeisterwahlen durchgeführt wurden (auf Anordnung der Regierung des Bundesstaates), waren die damals rund 82 staubigen Seelen (m, w, d, x) – die überwiegend von Viehzucht, Jagd und Fallenstellen lebten – aufgerufen, im zur Wahlkabine umfunktionierten Plumpsklo des Saloons (ihrer einzigen öffentlichen Einrichtung) Stimmzettel auszufüllen. Nachdem sie dieses vielleicht etwas anrüchige Geschäft erledigt hatten, versammelten sich die üblichen Verdächtigen wie gewohnt an der Theke ihres public houses, nur, um diesmal nicht von der dicken Molly am Klavier und der ebenso leichtbekleideten langen Becky auf der Violine unterhalten zu werden. Sondern, um der Auszählung von Wahlzetteln mit einer hygienisch vielleicht etwas zweifelhaften Provenienz beizuwohnen, während der selbsternannte Wahlausschuss seine Berechnungen auf der Preistafel hinter der Bar als Strichliste kontabulierte.

Doch nachdem die Stammgäste im schweren Glanz der untergehenden Novembersonne und im Zustand zunehmender Trunkenheit über mehrere Stunden verfolgt hatten, wie sich immer mehr Striche und Schrägstriche zu Zeilen und Kolumnen formierten, stellte der Wahlvorstand schließlich mit zunehmender Gewissheit fest, dass er sich A) verzählt oder verrechnet hatte (was natürlich nicht sein konnte). Oder dass B) Wyatt bei ihren ersten freien Wahlen nolens volens einen Patt produziert hatte (vielleicht auch beides, aber für derlei Grundschul-Logik war man inzwischen zu betrunken). Nachdem die Gäste der Schankwirtschaft erst eine Weile diskutiert und schließlich gestritten hatten – immerhin stand der pünktliche Beginn des Abendprogramms mit der dicken Molly und der langen Becky auf dem Spiel – löste die Fallenstellerin und Goldgräberin Jolanta Jones – zunehmend lastimiert von der ganzen Affäre – die Angelegenheit, indem sie einen der Stammgäste erschoss. Der Wahlzettel des Toten wurde anschließend für ungültig erklärt und endlich hatte man ein brauchbares Wahlergebnis. Der minderbegabte Hufschmied wurde zum ersten freigewählten Bürgermeister der Gemeinde gekürt und zu guter Letzt konnten die Anwesenden den Feierabend genießen, während Becky und Molly ihre Instrumente bespielten.  

So oder so ähnlich dürfen Sie sich den Ursprung von Freedom & Democracy vorstellen, meine Damen und Herren. Und deshalb darf oder sollte es Sie nicht wundern, was derzeit in den USA geschieht. Denn so oder so ähnlich ist es dort alle zwei Jahre. Nur, dass die staubigen Seelen inzwischen nicht mehr 82 zählen. Und die starren auch nicht mehr wie gebannt auf eine Kreidetafel hinter der Bar, sondern auf eine Mattscheibe, die in allen Farben des Regenbogens flimmert, während ganz allmählich – oft im Verlauf vieler Wochen und Monate – wie durch Zauberhand ein Wahlergebnis entsteht. Dass es selbst in wesentlich weniger entwickelten Weltgegenden möglich ist, über Nacht – und oft innerhalb weniger Stunden – eine mathematisch belastbare Stimmauszählung zu generieren, scheint sich an der Quelle der postmodernen Demokratie noch immer nicht in ausreichendem Maße herumgesprochen zu haben. In quälender Langsamkeit werden mal hier, mal dort Kandidaten jederlei Geschlechts zu Siegern gekürt, während die allgemeine Öffentlichkeit recht bald das Interesse an der leidigen Angelegenheit und dem tatsächlichen Resultat verliert. Und diesmal schaffen keine Goldgräber und Fallensteller wie die schießfreudige Jolanta Jones das Problem als Lady Liberty im Handstreich aus der Welt, denn dafür gibt es inzwischen Behörden, Ministerien und Gerichte, die offensichtlich nur sehr allmählich bestimmen können, welches Resultat wahr und wahrhaftig  „stimmt“. Aber daran will man nichts ändern, denn nur so ist es amerikanisch.

Doch nicht nur seine Ursprünge, auch das wahrscheinliche Wahlergebnis geben zu denken. Vorausschickend muss man sagen, dass rund die Hälfte aller Wahlberechtigten aus den unterschiedlichsten Gründen nicht an den Wahlen teilnehmen. Von denen, die ihre Stimme abgeben, wählen viele dafür umso emsiger. Anders als die ersten beiden Absätze meiner Ausführungen gehört es keineswegs ins Reich der Legende, dass selbst bereits Verstorbene in den USA ihre Stimme abgeben, und oft sogar mehr als nur einmal. Allein im Wählerverzeichnis der „Demokratischen“ Partei soll es mehr Tote geben als auf dem Friedhof von Chicago (immerhin der größte Friedhof der Welt). Eine Pflicht, sich im Wahllokal auszuweisen, existiert in den USA ebenso wenig wie ein landesweit verbindlicher Standard über solche Lappalien wie Wahlbenachrichtigung, Briefwahl, Stimmzettel und Auszählung. Mit anderen Worten: Wenn es um Freedom & Democracy geht, kann in den USA jeder machen, was er will. Wie und in welcher Form sich derlei falsch verstandene Freiheit in einem Wahlergebnis niederschlägt, das man bestenfalls als mehr oder weniger wahrscheinliche Schätzung ansehen darf, ist selbst den meisten Amerikanern nicht bewusst. Aber es interessiert sie auch nicht.

Denn entweder hat rund die Hälfte der Wahlberechtigten inzwischen vergessen, dass es ihnen vor nicht einmal rund zwei Jahren wirtschaftlich wesentlich besser ging als heute. Oder diese Hälfte ist davon überzeugt, nichts Besseres als Joe Biden verdient zu haben. Einen vergesslichen und geistesabwesenden älteren Herren, der in der Schattigen Pinie von den Golden Girls (oder in irgendeinem anderen Altersheim) besser aufgehoben wäre als im Amtssitz des US-Präsidenten an der Pennsylvania Avenue. Und das ist eine Ansicht, zu der man allein aufgrund seiner bisherigen Verdienste gelangen kann. Eine galoppierende, zweistellige Inflation, eine eskalierende Energie- und Nahrungskrise sowie die Aussicht auf einen nuklearen Schlagabtausch mit Russland hätten noch zu Zeiten von Uncle Joes Amtsvorgänger Donald J. Trump als epochaler Skandal gegolten. Doch im Biden-Regime sind Hunger und Krieg der Normalzustand. Und das Beste daran: Rund  die Hälfte aller amerikanischen Wählerinnen und Wähler sind der Meinung, nichts Besseres verdient zu haben. Immerhin sind sie angesichts des wahrscheinlichen Wahlergebnisses dafür, dass es auch in den nächsten zwei Jahren mit den USA weiter bergab geht (und wahrscheinlich auch nach 2024). Manche Leute sind noch immer viel zu gut vor den praktischen Folgen ihrer Politik isoliert.

Natürlich gibt es in der polypolaren Welt der Gegenwart genug staatliche und nicht-staatliche Akteure, die der vermutlichen Mehrheit diesen Wunsch nur zu gerne erfüllen würden: Die VR China steht in den Startlöchern, um als inzwischen größte Wirtschaftsmacht der Erde nach der ökonomischen auch die politische weltweite Führungsrolle zu übernehmen. Zum ersten Mal seit 250 Jahren wäre damit ein Staat der mächtigste der Erde, in dem nicht einmal jene rudimentären demokratischen Mindeststandards gelten, für die die Amerikaner zusammen mit  ihren Alliierten noch vor 80 Jahren in den Krieg gegen Nazi-Deutschland gezogen sind. All das geschieht, ohne bei der linksalternativ-gleichgeschalteten Kaste des Bewusstseins in Medien, Politik und Staat auch nur die geringsten Selbstzweifel auszulösen. Im Gegenteil: Die Reaktion auf die Corona-Pandemie hat bewiesen, dass Social-Credit-Scores à la VR China und andere Maßnahmen totalitärer Gängelung mit „europäischen Werten“ bestens vereinbar sind. Aber die Linke lief schon immer Gefahr, die Befreiung der Freiheit mit der Befreiung von der Freiheit zu verwechseln.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass ein US-Präsident mit zweifelhaften kognitiven Qualitäten (vulgo: mit einem Kopf voller Kartoffelbrei) kein isolierter Ausreißer, keine bedauernswerte Abweichung von der amerikanischen Norm darstellt. Sondern: Er ist diese Norm. Mehr als die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler fühlen sich bestens repräsentiert von Uncle Joe und seiner Politik – und das bestimmt nicht ohne Grund. Vielleicht ist Demenz ansteckend, aber den Wählerinnen und Wählern seiner Partei scheint es nicht anders zu gehen als dem US-Präsidementen selbst: Sie können sich an nichts mehr erinnern. Sie haben alles vergessen: den kolossal vergeigten Rückzug aus Afghanistan, die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise. All das finden sie inzwischen ganz normal und wünschen sich – zumindest laut offiziellem Wahlergebnis – auch in den nächsten Jahren mehr desgleichen. Hat eine Nation von rund 320 Millionen Einwohnern ihren politischen Verstand verloren? Und wenn ja, warum? Das sind die Fragen, die man sich von nun an stellen muss, wenn man nach Washington blickt.

Natürlich wird das amerikanische nicht das erste und nicht das letzte Imperium der Weltgeschichte sein, das nach einem steilen und erfolgreichen Lauf in der Obskurität und Bedeutungslosigkeit versinkt. Aber es ist das mit weitem Abstand mächtigste und aufgrund seines gigantischen Nuklearwaffenarsenals auch das gefährlichste. Es ist allein der abgrundtiefen Unfähigkeit eines unermesslich blöden hannöverschen Sonnenkönigs in London verdankt, dass es überhaupt zur Staatsgründung der USA kommen konnte. Allein, es ist dies der historisch einmalige Fall, dass eine Kolonie bei weitem mächtiger als ihr Mutterland wurde. Wenn Washington infolge seiner fortschreitenden Dekadenz eines Tages durchdreht wie ein tollwütiger Hund, wonach es momentan aussieht, könnte das höchst unangenehme, wenn nicht sogar tödliche Folgen für die gesamte Menschheit haben. Als kleiner Vorgeschmack, quasi als Gruß aus der Küche, wurde in diesem Sinne bereits die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines serviert, mit dem die USA der nominell mit ihnen verbündeten Berliner Hampel-Koalition vor wenigen Wochen in den Rücken gefallen sind.

Wehe, wenn sie losgelassen sind.


Autor: Ramiro Fulano
Bild Quelle: U.S. Commission on Civil Rights, Public domain, via Wikimedia Commons


Freitag, 11 November 2022

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